Altstadt:Was mit dem Franziskaner verloren geht

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Auch Michail Gorbatschow war schon zu Gast in der urigen Schenke und FJS führte Besprechungen im Hinterzimmer. (Foto: Catherina Hess)
  • Die Spekulationen um ein baldiges Ende der Gaststätte "Zum Franziskaner" reißen nicht ab.
  • Der Wirt soll seinen Vertrag aufgelöst haben, damit ein neuer Eigentümer das Altstadt-Gebäude in eine Ladenpassage verwandeln kann.
  • Dabei ist die Geschichte des Wirtshauses beeindruckend.

Von Wolfgang Görl

Soeben hat die Dame im Lodenjanker ihre Zeche (zwei Weißwürste, ein kleines Bier - macht Zehnfünfzig plus Trinkgeld) beglichen, da raunt sie dem Kellner noch etwas ins Ohr: "Also das ganze Theater mit der Schließung - das geht doch nicht durch. Der macht sich ja Feinde ohne Ende." Tja, was soll der Kellner da antworten?

Offenkundig spricht die Dame von seinem Chef, dem Wirt, und da kann man als kleiner Angestellter, bei allem Respekt vor der Meinung des Gastes, nicht einfach in dieselbe Kerbe hauen. Der Kellner entschärft den Loyalitätskonflikt dergestalt, dass er ansatzweise den Kopf nickt, was als Zustimmung ebenso gedeutet werden kann wie als Dankeschön fürs Trinkgeld oder als unkontrolliertes, womöglich krankhaftes Zucken. Dann macht er sich flugs davon.

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Wer in der Traditionsgaststätte Zum Franziskaner an der Residenzstraße bedient, wird sich daran gewöhnen müssen, teils besorgte, teils kritische Bemerkungen seiner Gäste entgegenzunehmen. Dem Wirtshaus, das eine jahrhundertealte Geschichte hat, droht das Ende - das jedenfalls wäre die Folge eines Millionendeals, über den seit Wochen in München spekuliert wird.

Wie der Deal aussieht

Demnach soll Eduard Reinbold, der Wirt und Pächter des Franziskaners, seinen bis 2022 laufenden Vertrag auflösen, damit der Eigentümer, die zum Imperium der Familie August von Finck gehörende Nymphenburg Immobilien AG, das knapp 1000 Quadratmeter große Altstadt-Gebäude baldmöglichst in eine Ladenpassage verwandeln kann, die weitaus mehr Profit abwerfen würde als ein Wirtshaus.

Und wie es der Zufall will, hat Reinbold von der nämlichen Immobilien AG bereits ein interessantes Objekt erworben: den Löwenbräukeller, von dem sich die Fink'sche Gesellschaft zu einem, wie es heißt, besonders günstigen Preis getrennt hat. Den Kauf der Bierburg am Stiglmaierplatz dementiert Reinbold nicht, wohl aber die in der Stadt umherschwirrende Vermutung, er wolle den Franziskaner in absehbarer Zeit räumen: "Ich habe einen gültigen Pachtvertrag mit Löwenbräu, über eine vorzeitige Auflösung wurde nie geredet."

Mittlerweile will Reinbold gar nichts mehr zu der leidigen Angelegenheit sagen, und überhaupt bittet er um Verständnis, dass er gerade gar keine Zeit für ein Hintergrundgespräch habe. Der Abbau seines Schützen-Festzelts auf der Wiesn, die Oktoberfest-Bilanz und andere geschäftliche Dinge, das alles raube Zeit und Nerven, da habe er beim besten Willen keine Minute übrig.

Weil Verständnis mit gestressten Wiesnwirten zur geistigen Grundausstattung eines jeden München-Reporters gehört, geht das natürlich in Ordnung. Schade ist es trotzdem, denn "Edi" Reinbold, der seit April 1966 als Franziskaner-Wirt amtiert, könnte beispielsweise erzählen, wie Franz Josef Strauß im Oktober 1976 "in einem Hinterzimmer des Münchner Bierlokals ,Franziskaner'" (so berichtete der Spiegel) den angolanischen Guerilla-Führer Holden Roberto empfing, um über Waffenlieferungen zu sprechen.

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Generell nutzte Strauß das Wirtshaus an der Residenzstraße gerne als eine Art Nebenstaatskanzlei, gelegentlich auch als Rückzugsort, um - unbehelligt von "Filzpantoffel-Politikern" und "Schmeißfliegen" - mal mit sich alleine zu sein. Bei der CSU hat sich die Vorliebe für den Franziskaner erhalten, weshalb vor einigen Jahren ein Christsozialer die Überalterung der CSU-Stadtratsfraktion mit den Worten beklagte, wer einmal drin sei im Stadtrat, bleibe drin, solange er zwischen Franziskaner und Rathaus ohne fremde Hilfe hin- und herlaufen könne

Keineswegs aber dient das Wirtshaus ausschließlich kommunalpolitischen Gschaftlhubern, die dort die Fortsetzung der Politik mit alkoholischen Mitteln betreiben. Viele Musikfreunde runden den Opernabend mit einem gepflegten Tafelspitz und einem Schoppen Wein beim Franziskaner ab, was für sie ebenso zum Kunstgenuss gehört wie der Tristan-Akkord. Apropos Oper: Auf dem heutigen Max-Joseph-Platz stand einst das Franziskaner-Kloster, das dem Wirtshaus seinen Namen gab und ebenso wie das benachbarte Ridler-Frauenkloster im Zuge der Säkularisation abgebrochen wurde. Auf der Freifläche hinter dem Kloster errichtete Carl von Fischer in den Jahren 1811 bis 1818 das Königliche Hof- und Nationaltheater.

Wie alt das Lokal ist

Zu dieser Zeit war das Wirtshaus schon mindestens 370 Jahre alt. Die Geschichte der Gaststätte lässt sich bis 1447 im Grundbuch zurückverfolgen, wahrscheinlich ist das Lokal sogar noch älter. Schon im 14. Jahrhundert, schreiben Astrid Assél und Christian Huber in ihrem Buch "München und das Bier", betrieb der Brauer Seidel Vaterstetter an der Residenzstraße 9 einen Bräustadel, aus dem später die Franziskanerbrauerei hervorging.

Im Jahr 1797 erwarb Karl Wild die Brauerei, der wenig später starb, woraufhin dessen Witwe Elisabeth den aus Donauwörth stammenden Metzgerssohn Markus Buhl heiratete, der den bescheidenen Betrieb zu modernisieren und zu erweitern versuchte. Die Verlagerung der Brauerei, deren Dampf- und Lärmentwicklung die Noblesse der neuen königlichen Prachtbauten beeinträchtigte, gelang aber erst August Deiglmayr, der in den 1840er-Jahren die Brauereirechte erworben hatte. Deiglmayr verlagerte die Brauerei in die Hochstraße, wenige Jahre später übernahm Josef Sedlmayr den Betrieb.

Zurück blieb die Schänke in der Residenzstraße, die als Tafernwirtschaft weitergeführt wurde. 1888 übernahm die Löwenbrauerei das Wirtshaus und baute 1913 den rückwärtigen Teil zur Perusastraße aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Gaststätte in Trümmern, und es dauerte bis zum April 1950, ehe sie wiedereröffnet wurde. Dass der neue Franziskaner da und dort auch ins Exquisite lappte, stellte der Berufsspaziergänger Sigi Sommer in den Siebzigern fest, der das Lokal als "Nobel-Schenke des gemäßigten Abendlandes" feierte, in dem "durchlaufend nummerierte" Steinpilze aus den "Edeltannen-Dickichten des Försters vom Silberwald" serviert würden.

Das Franziskaner ist wie das Rathaus-Glockenspiel

Was für eine Geschichte: die mittelalterliche Brauerei, die Gassenschänke, die Mönche, die königliche Nachbarschaft, F.J.S. und der Guerillaführer oder der Gorbatschow, der dort ebenfalls gerne einkehrte. Der Franziskaner, sagt ein Stammgast, der seinen Tisch im Studentensaal hat, gehört zu München wie das Rathaus-Glockenspiel. Was aber, wenn dieses Wirtshaus, dessen Ursprünge älter sind als die Frauentürme, tatsächlich verschwände?

Ja mei, würden die Fortschrittsgläubigen sagen, Urbanität bedeute nun mal Wandel, und wenn München Weltstadt sein wolle, dürfe es dem alten Plunder nicht nachtrauern. Aber bedauern darf man vielleicht schon, dass Wirtshäuser und Läden, die typisch sind für München, plattgemacht werden zugunsten von hippen Einkaufsparadiesen, in denen die immer gleichen Konzerne die immer gleichen Waren feilbieten, egal ob in Rom, Ulan Bator oder im Graggenauer Viertel. Aber vielleicht ist dies das Schicksal der alten europäischen Städte wie München: Dass ihre historischen Gebäude, entseelt und entkernt, nur noch als Kulisse dienen für den zügellosen Kommerz.

Doch noch gibt es den Franziskaner, noch pflegt der Wirt eine nicht ganz billige Gastronomie zwischen Saurem Zipfel und Rucolasalat mit Rinderstreifen und Balsamico-Dressing. Wer unter der Woche mittags dort einkehrt, findet sich in multikultureller Gesellschaft wieder: In der Schwemme sitzt eine chinesische Familie, der Mann trinkt Weißbier, die Frau blättert im Reiseführer, womöglich liest sie nach, wo sie sich gerade befindet.

Drei Italiener studieren die multilinguale Speisekarte (Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch), auf der Spezialbegriffe der hiesigen Sprachinsel wie "Obatzda" oder "Schmankerlpfandl" unübersetzt bleiben und zum besseren Verständnis mit Fotos veranschaulicht werden. An der Wand werben Schiefertafeln für "Fleischpflanzerl mit Kartoffelgurkensalat" zu 6,90 Euro, was zumindest für die Herrschaften, die gerade im "Poststüberl" Mittag machen, leicht verständlich ist.

Es handelt sich um einen nicht ganz vollständigen Querschnitt der Münchner Bürgerschaft, zumindest jener, die um diese Zeit nicht arbeiten muss: Da ist der weißhaarige Herr mit der Goldrandbrille, Typ höherer Beamter im Ruhestand, der, um seinen dunklen Anzug zu schützen, eine große Serviette um den Hals knotet, ehe er seine Leberknödelsuppe zu löffeln beginnt. Danach noch ein Trumm Leberkäs, man gönnt sich ja sonst nichts. Am Nebentisch kämpft eine grauhaarige Dame ebenfalls mit dem Leberkäs, dem Herr zu werden sie eine gute Viertelstunde benötigt und dazu etliche Schluck Weißbier.

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Der Rolls-Royce unter den Leberkäsen

Am Fenster sitzt eine Fünferrunde, deren Mitglieder mit Ausnahme eines Menschen, der offenbar noch im Gestern lebt, unentwegt ins Smartphone starren, von dem sie nicht einmal beim Trinken den Blick abwenden. Auch hier ist das Handy längst der wichtigste Kommunikationspartner, und man mag sich kaum vorstellen, wie in früheren Zeiten die Menschen im Wirtshaus saßen und gezwungen waren, miteinander zu reden. Es muss furchtbar gewesen sein.

Auch Elize Heuser hat sich einen Leberkäs genehmigt, "der ist sehr gut hier" - ein Befund, den viele Gäste teilen, ja, einige sagen sogar, der Franziskaner-Leberkäs sei der Rolls-Royce unter den Leberkäsen, was im Übrigen auch preislich zutrifft. Aber wer schaut angesichts der wunderbaren Kruste schon auf den Preis? Elize Heuser jedenfalls nicht. Die Dame wohnte früher in München, mittlerweile hat sie sich in Kitzbühel niedergelassen, einer Münchner Enklave in Tirol.

Einmal pro Woche zieht es sie in die alte Heimat zurück. An solchen Tagen fällt das häusliche Frühstück aus, gefrühstückt wird stattdessen im Franziskaner, das klassische Leberkäs-Dejeuner, ehe es zum Shoppen geht. Elize Heuser fände es furchtbar, verschwände dieses ehrenwerte Wirtshaus. "Das wäre mit Sicherheit ein Verlust für München." Und dass es womöglich einem "Klamottenladen" weichen muss, "nur weil die mehr bezahlen" - was soll man dazu sagen? Frau Heuser fällt nur eines ein: "Schade, schade, schade."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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