Niederlage gegen Irland:Die wollen nur spielen

Irland - Deutschland

Hä, wir haben verloren? Wie konnte das passieren? Und was heißt das jetzt in der Tabelle? Volland, Müller und Bellarabi wundern sich über das 0:1 in Irland.

(Foto: dpa)

Von Christof Kneer, Dublin

Die Mixed Zone heißt vermutlich so, weil sich dort alles mischt. Dort treffen großartige Fußballer auf Reporter, die in der Regel keine großartigen Fußballer waren und deshalb den großartigen Fußballern Fragen stellen müssen. Die Fußballer lassen diese Prozedur mehr oder weniger routiniert über sich ergehen, und am Ende der Mixed Zone biegen sie dann ab in Richtung jenes Mannschaftsbusses, in den es die Reporter nie geschafft haben.

Auch an diesem erstaunlich warmen Abend in Dublin hat es ein paar klassische Interviewsituationen gegeben - wie konnte das passieren mit dem Gegentor? Haben Sie eine Erklärung für die zweite Halbzeit? Solche Sachen. Nicht vorbereitet waren die Reporter aber darauf, dass sie plötzlich selbst interviewt wurden. Jonas Hector kam vorbei und stellte Fragen zur Tabellensituation in der Gruppe, auch Mats Hummels recherchierte eng am Mann. "Spielen Irland und Polen am letzten Spieltag gegeneinander?", fragte er die Reporter, und: "Falls wir verlieren und sie spielen unentschieden, sind wir dann Dritter?"

Korrekte Antwort: Ja, Mats, dann seid ihr Dritter.

Deutschland war unwissend

Er habe "ganz ehrlich" nicht gewusst, was als Tabellendritter passiert, sagte Hummels dann noch, bevor er zu jenem Bus marschierte, in den es die Reporter nicht geschafft haben. Es war ein Satz, der hervorragend passte zu jenem aus Sicht der deutschen Elf vollkommen unwirklichen Abend. Die Deutschen haben ja einiges nicht gewusst an jenem Abend; sie haben zum Beispiel nicht gewusst, dass Tore nicht von selbst fallen, nur weil man schön spielt; sie haben ebenfalls nicht gewusst, dass der Gegner auch das Recht hat, Tore zu schießen, selbst wenn er dramatisch unterlegen ist. Und vor allem war dem Weltmeister aus Deutschland ganz und gar unbekannt, dass er ein Spiel verlieren kann, das man gar nicht verlieren kann.

"Eine der unnötigsten Niederlagen der vergangenen Jahre" hat Bundestrainer Joachim Löw später leicht pikiert jenes 0:1 in Dublin genannt, das seiner Mannschaft nun am Sonntag in Leipzig ein unerwartetes Endspiel gegen Georgien beschert.

Nach wie vor braucht die DFB-Elf einen letzten Punkt, um sicher als einer der beiden Gruppenbesten die Teilnahmeberechtigung für die EM in Frankreich zu erwerben (der Gruppendritte, das als Anmerkung für Sportlaien und Fußball-Nationalspieler, müsste im November noch zwei Relegationsspiele gegen einen anderen Gruppendritten bestreiten).

Noch eine schlechte Nachricht

"100 lange Bälle" hätten die Iren gespielt, sagte Löw mit einem Gesichtsausdruck, als habe ihm jemand ein benutztes Taschentuch in die Hand gedrückt, "99-mal haben wir alles richtig gemacht, nur einmal nicht, und daraus ist das Tor entstanden". 100 lange Bälle hat außer Löw übrigens niemand gezählt an diesem Abend, auch nicht 99. Es waren eher 19 oder neun. Aber einer davon war eben dieser Torwartabschlag, den Shane Long am anderen Ende des Feldes ins Tor drosch (70.). Er sehe das mit den langen Bällen ein bisschen anders, hat Irlands Coach Martin O'Neill später vergnügt gesagt, aber Löw sei Weltmeister, der dürfe das.

Es lässt sich aber in der Tat nachvollziehen, warum dieser Abend Löw irritiert haben muss. Das Spiel seiner Elf war ein Rückfall in die vorpragmatischen Zeiten, die seit der WM in Brasilien überwunden zu sein schienen. Vor dieser WM stand Löws Elf ja stets im Verdacht, dass sie manchmal zu schön spielt, um wahr zu sein. Mit sehr konkretem Coaching hat Löw diese Elf dann zum Titel geführt, und nun bekam er in Dublin im 90-minütigen Schnelldurchlauf völlig überraschend noch mal die unterschiedlichen Entwicklungszyklen seines Teams vorgeführt.

Deutschland überschreitet eine unsichtbare Grenze

In der ersten halben Stunde sah Löw eine technisch geradezu skandalös begabte DFB-Elf, die den Gegner bis an die Grenze der Charakterlosigkeit demütigte, weil sie ihn einfach nicht mitspielen ließ; Löw sah eine Elf, der man jederzeit zutraute, dass sie sich in vollendeter Lässigkeit zum EM-Sieg kombiniert. Aber irgendwann im Spiel überschritt seine Elf eine unsichtbare Grenze - es war jene Grenze, die zielbewusste Dominanz von pausenhofartigem Gedaddel trennt. Nach einer halben Stunde wirkten Löws Profis wie die großen Schüler, die gegen die unterlegenen Fünftklässler kicken und deshalb versprechen, dass bei ihnen nur die schönen Tore zählen, am besten nur die, bei denen man das Bällchen bloß noch mit dem Füßchen ins Netzchen schieben muss.

So musste Löw eine Elf erleben, die sich selbst aus diesem Spiel hinausdaddelte; die vor lauter Kreiseln irgendwann vergaß, dass da vorn noch ein Tor steht, in das laut Regelwerk hineinzuschießen ist.

Plötzlich waren wieder Anflüge jenes längst überwunden geglaubten, ziellosen Begabtenfußballs zu sehen, den schwach durchblutete Supertechniker wie Mesut Özil und Marco Reus mitunter zum Besten gaben, gelangweilt assistiert vom grundsätzlichen großartigen Toni Kroos, dessen Spiel einen kurzen Einblick in die Zukunft gewährte. Jetzt ahnt man, wie Kroos spielen wird, wenn er 31 ist (womit er immerhin den kurzfristig ausgefallenen Bastian Schweinsteiger altersgerecht ersetzte).

Mahnung oder Versehen?

Ob dieses Spiel nun als Mahnung taugt oder nur als kleines Versehen, das sich erklären lässt, weil Löw und sein Team diesmal besonders wenig Vorbereitungszeit hatten? Wahrscheinlich beides. Wer Löw und sein Team kennt, weiß, dass sie sich vor einem Turnier unnachahmlich in einen Tunnel hineindenken können, in dem kein Platz ist für Daddeleien und Schlampereien aller Art. Aber in Irland dürfte Löw auch wieder gesehen haben, wie wichtig es ist, dass er seinen Eliteschülern taktisch und personell richtige Hilfestellungen gibt.

Es bekommt seiner Elf nicht unbedingt, wenn er Spieler auf die Flügel stellt, die wie Reus oder Özil gern ins Zentrum ziehen. In Dublin herrschte in der Mitte allerhöchstes Verkehrsaufkommen, während die Außenverteidiger Ginter und Hector damit überfordert waren, dass das Flügelspiel fast ausschließlich in ihrer Verantwortung lag - zumal auch der beeindruckend formschwache Flügelspieler Schürrle nach seiner Einwechslung im Zentrum herumstürmte.

Reus und Özil hätten "in den Halbräumen immer wieder die Positionen tauschen" sollen, sagte Löw später, während Özil in der Mixed Zone erklärte, der Trainer habe ihn in der ersten Hälfte auf die rechte Seite geschickt, "das muss ich akzeptieren". Was die Taktik anbelangt, haben die Spieler ihren Trainer in der Kürze der Vorbereitung womöglich etwas missverstanden, aber für den nächsten Gegner muss das keine gute Nachricht sein.

Am Sonntag wird zwar Mario Götze fehlen, der sich in Dublin verletzte - bittere Diagnose, auch für den FC Bayern: Muskelsehnenausriss (Adduktoren), bis zu zwölf Wochen Pause. Aber die Georgier dürfen nicht damit rechnen, dass die Deutschen wieder nur spielen wollen. Sie werden das Spiel extrem ernst nehmen, denn dank ihrer erfolgreichen Recherchen bei den Reportern kennen die Spieler jetzt sogar den exakten Tabellenstand in der Gruppe D.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: