Arbeitsmarkt:Flüchtlinge - jetzt ist Tempo gefragt

Lernwerkstatt für Flüchtlinge in der Bayernkaserne

Herausforderung Massenmigration: Lernwerkstatt für Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München

(Foto: dpa)

Natürlich kosten Sprachkurse und Ausbildungen für Migranten viel Geld. Doch das ist es wert - denn ihre Arbeitslosigkeit wäre noch teurer.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die längste Zeit dieses Jahres war die Ausgangslage am deutschen Arbeitsmarkt ganz anders als jetzt. Die Bundesrepublik eilte von einem Beschäftigungsrekord zum nächsten. Sie durfte sich international als Vorbild fühlen, wie man sich aus einer schwierigen Lage befreit - noch vor einer Dekade suchten fünf Millionen Deutsche eine Stelle.

Seit ein paar Wochen wird klar, dass Deutschland vor der nächsten großen Herausforderung steht. Die Ankunft von schätzungsweise einer Million Flüchtlingen in diesem Jahr und der völlig offene weitere Zustrom verändern die Lage völlig. Es drohen vor allem zwei Fehler: erstens die Chancen zu verschenken, die Migration einer alternden Gesellschaft bietet. Und zweitens die Schwierigkeiten zu ignorieren, die die Eingliederung der Ankommenden aufwerfen wird.

Die Chancen liegen angesichts einer Bevölkerung, die in den kommenden Dekaden um zehn bis 15 Millionen Menschen schrumpfen könnte, auf der Hand. Die Sozialkassen bedürfen neuer Beitragszahler, sonst bricht ein System zusammen, in dem Junge Alte finanzieren. Gleichzeitig finden sich in manchen Regionen und Branchen schon jetzt zu wenig Fachkräfte. Allerdings, und da beginnen die Schwierigkeiten, etwa 80 Prozent der Ankommenden sind nach deutschen Vorgaben keine Fachkräfte - noch nicht. Es handelt sich ja um keine gesteuerte Zuwanderung, mit der Staaten wie Kanada zur Hälfte Migranten mit Unidiplom ins Land holen und der sich Deutschland stets verweigerte, sondern um humanitäre Zuflucht. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Masse der Asylsuchenden lange ohne Stelle bleibt - oder nur in McJobs unterkommt.

Verhindern lässt sich das nur, wenn sich Deutschland daran orientiert, wie es die Massenarbeitslosigkeit der Jahrtausendwende überwand: mit einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Unternehmen und Gewerkschaften, nicht mit ideologischen Grabenkämpfen.

Das deutsche System war die längste Zeit darauf ausgerichtet, Gründe für die Ablehnung von Asylbewerbern zu suchen und sie vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Das muss sich fundamental ändern, wenn es nicht ins Desaster führen soll. Um keine Zeit zu verlieren, sollte die berufliche Eignung mindestens der aussichtsreichen Asylbewerber schon in dem Moment erfasst werden, da sie das erste Mal mit deutschen Behörden in Kontakt kommen. Dann können Jobberater mit der Integration beginnen. Sprachunterricht muss es so schnell wie möglich geben und nicht erst nach langen Wartezeiten. Wer das für teuer hält, hat recht; lange Arbeitslosigkeit wird noch viel teurer.

Mehr Geschwindigkeit ist auch bei den Beschäftigungsmöglichkeiten gefragt. Die Bundesregierung hat die Arbeitsverbote zwar gelockert, aber nicht genug. Dass Flüchtlinge eine Stelle nur annehmen dürfen, wenn sich kein deutscher Bewerber im Computer findet, egal ob der willens oder vermittelbar ist, zerstört Jobchancen. Und dass vielen Ankommenden Zeitarbeit nun doch erst nach 15 Monaten erlaubt werden soll, ist ebenfalls falsch.

Ausbildung ist enorm wichtig, aber schnelle Schmalspur-Lehrgänge bringen nichts

Am wichtigsten aber wird es sein, möglichst vielen Flüchtlingen eine Qualifizierung zu ermöglichen. Das ist eine riesige Aufgabe für Unternehmen und Bildungseinrichtungen, aber völlig ohne Alternative. Ungelernte gleich welcher Herkunft haben immer geringere Aussichten. In diesem Zusammenhang ist davor zu warnen, die Flüchtlinge durch Schmalspur-Lehrgänge zu schleusen, damit es möglichst schnell geht. Ausbildungen dauern in Deutschland im Regelfall drei Jahre, um den Betreffenden für eine komplexer werdende Berufswelt zu befähigen. Kein Kunde wird akzeptieren, dass sein Auto nach der Reparatur liegen bleibt, weil der Mechaniker nur die Hälfte beherrscht.

Arbeitsministerin Andrea Nahles ruft die Betriebe auf, Flüchtlingen in großem Stil über Praktika einen Einstieg zu ermöglichen. Das klingt bestechend. Allerdings muss Nahles dafür sorgen, dass die Firmen bei aufkommenden Schwierigkeiten Unterstützung erhalten. Wenn die Betriebe rätseln, ob sie bei solchen Praktika wirklich keinen Mindestlohn zahlen müssen, wenn sie Bürokratie erleben, sollte Nahles für gesetzliche Klarheit sorgen. Das ist nicht immer ihre Stärke.

In einem Punkt hat Nahles Recht: Es ist jetzt nicht der Moment, den Mindestlohn generell aufzugeben. Es war schwierig genug, beschämende Bezahlung in Deutschland einzudämmen. Allerdings sollte die Ministerin flexibler sein, als Dogmatiker wünschen. Befristete Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge, die sich besonders schwer vermitteln lassen, sind eine Überlegung wert. Die Massenmigration ist eine historische Situation, die einige besondere Antworten erfordern wird.

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