Judo-Bundesligafinale:"Wir sind gewarnt"

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Während Seriensieger Abensberg in der vorolympischen Saison passt, wird Großhadern zum ersten Mal seit 2001 deutscher Mannschaftsmeister. Trainer Ralf Matusche über den Stellenwert von Titel Nummer elf, eine neue Ära des TSV und die öffentliche Randlage des Sports

Interview von Julian Ignatowitsch

Vierzehn Jahre mussten sie warten. Schlimmer noch: 13 Mal nacheinander mussten sie dem TSV Abensberg gratulieren. Nun aber haben die Männer des TSV Großhadern ihre Durststrecke beendet und in Esslingen zum ersten Mal seit 2001 den Meistertitel der Judo-Bundesliga gewonnen - zum elften Mal insgesamt. Trainer Ralf Matusche, 52, ist seit 35 Jahren im Verein, holte in den Achtzigerjahren selbst mehrmals den Titel und betreut seit 1990 zahlreiche Spitzenathleten, auch als Landestrainer. Ein Gespräch über den jüngsten Erfolg, mediale Präsenz und Schwierigkeiten bei der Nachwuchsarbeit.

SZ: Herr Matusche, Großhadern ist zum elften Mal deutscher Meister im Judo. Noch Kopfweh von der Siegesfeier?

Ralf Matusche: Nein, nein. Aber wir haben schon noch gefeiert, waren in München unterwegs. Wie lange die anderen gemacht haben, weiß ich nicht. Ich bin dann irgendwann gegangen.

Manche Athleten mussten nach dem Finale gegen Esslingen direkt weiter zu den nächsten Terminen. Lässt der Zeitplan nicht mal ein bisschen Luft zum Jubeln?

Das Pensum bleibt enorm. In dieser Woche findet schon das nächste Turnier in Paris statt. Selbst wenn ein Spitzenathlet da nicht hinfährt, muss er die Zeit für intensives Training nutzen. Nehmen Sie unseren Karl-Richard Frey, der ist am Samstag mit nach München gefahren (Frey wohnt in Köln, Anm. d. Redaktion), hat sich hingelegt, als wir angekommen sind, und ist dann gar nicht mehr zum Feiern hochgekommen, weil er zu kaputt war. So ein Kampftag ist extrem anstrengend: Um 6 Uhr Abfahrt, um 8.30 Uhr Wiegen, um 10 Uhr Kampfbeginn, dann geht das bis 18 Uhr abends. Frey hat vier Kämpfe gemacht, die Spannung ist den Tag über hoch. Da ist man abends platt. Deswegen sage ich auch: Mehr Termine in der Bundesliga wären eine Katastrophe!

Aber der Stress hat sich gelohnt. Großhadern ist endlich wieder Meister. Spüren Sie Genugtuung?

Genugtuung würde ich es nicht nennen. Wir sind glücklich! Es war mal wieder Zeit, dass wir einen Titel gewinnen. Wir sind sicher auch der verdiente Sieger, das spiegeln die Ergebnisse wider.

Vor der Finalrunde hatte das Team allerdings Probleme. Die Saison vor den Olympischen Spielen war besonders schwierig.

Teilweise waren wir sehr dünn besetzt. Es war nicht leicht, eine schlagkräftige Truppe aufzustellen. Wir waren auch mal nur zu neunt unterwegs, zum Beispiel beim Vorrundenkampf in Leipzig. Da darf dann nichts schief gehen, weil ja mindestens neun Kämpfer zum Einsatz kommen müssen. Das war eine aufreibende Sache.

Großhaderns Roy Meyer (rechts) verewigt den Erfolg auf dem Smartphone, Niklas Blöchl (vorne) ist noch ganz gebannt vom Augenblick. (Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

Rekordmeister TSV Abensberg hat wegen der absehbar hohen Belastungen in dieser Saison erst gar kein Bundesligateam gemeldet. War der Weg damit frei für Großhadern?

Es war dadurch sicher einfacher, ja. Trotzdem hätten wir mit der Aufstellung aus dem Finale diesmal auch gegen Abensberg eine gute Rolle gespielt. Wir waren sehr stark aufgestellt. Die Entscheidung zum Rückzug hat Abensberg getroffen. Wir waren immer der Meinung, dass wir mit einem großen Kader die Belastung in der Bundesliga bewältigen können. Die Liga hat auch ihren Stellenwert, wie man an der medialen Präsenz sieht, gerade in der Region. Außerdem ist sie für die Weiterentwicklung der jungen Athleten sehr hilfreich, um Erfahrungen auf Topniveau zu sammeln.

Im Finale standen bei Großhadern allerdings nur zwei Athleten vom eignen Stützpunkt auf der Matte. Die Matchwinner wie Frey, Alexander Wieczerzak oder Colin Oates kommen aus ganz Deutschland und Europa. Ist das überhaupt ein echter Großhaderner Titel?

Wir hatten in dieser Saison quasi zwei unterschiedliche Mannschaften, die gekämpft haben: Zum einen die Mannschaft aus der Vorrunde und dem Viertelfinale, das war schwerpunktmäßig unser Nachwuchs, unsere eigenen Leute. In der Finalrunde hat die Mannschaft dann schon anders ausgesehen: Spitzenathleten aus der ganzen Welt. Da sind unsere Jungen dann nicht mehr so zum Zug gekommen. Allerdings: Wenn unsere jungen Athleten vorher nicht einen so guten Job gemacht hätten, wären wir gar nicht erst in die Finalrunde gekommen. Deshalb steckt schon viel Großhadern in diesem Titel.

Der Auftritt in der Finalrunde war dominant: 10:3 im Halbfinale gegen Hamburg, 10:3 im Finale gegen Esslingen. Kann ihre Mannschaft jetzt die Rolle von Abensberg einnehmen und an die goldenen Zeiten in den Achtzigern anknüpfen, als Großhadern sechs Mal Meister wurde?

Fakt ist, dass das Team größtenteils so zusammenbleibt. Da wir einen sehr starken 95er-Jahrgang haben - mit David Karle, Niklas Blöchl oder Lukas Vennekold - die jetzt in den Erwachsenenbereich wechseln und in der Bundesliga künftig noch mehr kämpfen werden, ist die Situation sogar noch besser. Aber ein Selbstläufer wird es nicht. Als wir 2001 das letzte Mal Meister geworden sind, haben wir in der darauffolgenden Saison nicht mal die Finalrunde erreicht. Unsere Frauen wären dieses Jahr als Titelverteidiger beinahe abgestiegen. Wir sind also gewarnt.

Wie viel Strahlkraft hat denn so eine Meisterschaft? Kann Großhadern bei den Mitgliedern jetzt wieder mit mehr Zulauf rechnen?

Die Meisterschaft hat da keine Auswirkung. Am ehesten merkt man das bei den Olympischen Spielen, wenn die Deutschen gut sind und Judo verstärkt in den Medien auftaucht. Dann sind im Herbstkurs für Anfänger schon mal 20 Kinder mehr da. Auch die Bundesligakämpfe sind dann besser besucht. Beim Finale in Esslingen an diesem Wochenende waren ja nur 900 Zuschauer.

„Materialmordend“: Trainer Ralf Matusche. (Foto: Claus Schunk)

Was den schweren Stand der Sportart Judo in der Öffentlichkeit zeigt. Was kann man machen?

Die Mitgliederzahlen im Judobund sind rückläufig, aber damit haben die meisten Sportverbände zu kämpfen. Es gibt mehrere Gründe dafür: G8 ist sicherlich ein Aspekt. Die Kinder sind länger in der Schule, das macht es den Vereinen schwerer. Dazu ist Zweikampfsport bei den Eltern nicht mehr so angesagt. Wir müssen viel mehr Aufwand betreiben, etwa mit Werbeveranstaltungen in Schulen und Kindergärten, damit wir die Zahlen zumindest auf dem aktuellen Stand halten können.

Die finanzielle Lage ist dadurch auch schwierig. Muss sich München Sorgen um den Stützpunkt in Großhadern machen?

Nein. Wir sind zusammen mit Köln der stärkste Stützpunkt. Bei uns trainieren momentan fast 30 Bundeskaderathleten. Aber wenn ich höre, dass jetzt wieder 30 Prozent mehr Medaillen bei gleichen finanziellen Zuwendungen durch den Bund gefordert werden, dann muss ich sagen: Da beißt sich was.

Mit Blick auf die Sommerspiele: Wie stehen die deutschen - und bayerischen - Chancen?

Wir sind gut aufgestellt bei den Männern. Mit Frey, der für uns in der Liga kämpft, haben wir einen echten Medaillenkandidaten im Schwergewicht. Auch Wieczerzak oder Igor Wandtke sind Anwärter. Sebastian Seidl vom bayerischen Stützpunkt ist bereits qualifiziert, Tobias Englmaier hat auch gute Chancen.

Ist das eigentlich ärgerlich? Als Spitzenjudoka betreibt man fast genauso viel Aufwand wie als Fußballer beim FC Bayern München, nur der Ertrag ist eklatant niedriger.

Es ist schade. Wenn ein Profi-Fußballer eine Trainingseinheit am Tag absolviert, dann lachen Judoka, Schwimmer oder Geräteturner darüber. Und vom finanziellen Aspekt kommen wir natürlich ganz anders weg. Aber wen das ärgert, der hätte Fußballer werden sollen. Wir Kampfsportler jammern nicht.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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