WM-Viertelfinals:Tristesse in Europa

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Selten konnten die Franzosen die Sturmläufe der schwarz gekleideten Neuseeländer wie diesen von Ma'a Nonu stoppen. (Foto: Facundo Arrizabalaga/dpa)

Im WM-Halbfinale werden wohl mindestens drei Mannschaften aus der südlichen Hemisphäre stehen. Und die Franzosen befinden sich nach der deutlichen Niederlage vor einem Umbruch.

Von Tobias Schächter, London/München

Jetzt also geht die Rugby-WM in ihre entscheidende Phase. Bei einem so epischen Turnier über sechs Wochen in einem so harten Sport passiert viel, bis die K.-o.-Runden losgehen. Das Gejammer über das Ausscheiden von Gastgeber England ist noch nicht verklungen. Aber nun starteten die Viertelfinals mit Siegen von Südafrika gegen Wales im Londoner Rugby-Tempel Twickenham (23:19) und dem deutlichen 62:13 von Neuseeland in Cardiff gegen Frankreich. Am Sonntag wird die Runde der letzten acht Mannschaften mit den Begegnungen zwischen Irland gegen Argentinien und Australien gegen Schottland komplettiert werden.

Für die Experten standen die Begegnungen der besten acht 15er-Mannschaften der Rugby Union-Variante unter der Überschrift: Die vier besten Teams aus Europa gegen die vier besten der südlichen Hemisphäre. Seit der Erfindung der Rugby-WM 1987 und ihrer Austragung alle vier Jahre gewann in England 2003 nur ein europäisches Team den Titel. Nach dem Einzug von Südafrika und dem großen Titelfavoriten und Titelverteidiger Neuseeland ins Halbfinale haben wohl nur die Iren berechtigte Hoffnungen, die Phalanx der Teams von der südlichen Halbkugel zu durchbrechen. Die Schotten haben gegen Australien nur Außenseiterchancen.

Südafrika auf Kurs

Im ersten Viertelfinale am Samstagnachmittag setze sich Südafrika gegen Wales nach einem harten Kampf durch. Die Springboks, wie die Mannschaft vom Kap genannt wird, hat damit alle Kritiker in der Heimat ruhig gestellt. Nach einer sensationellen 32:34-Niederlage zum Auftakt gegen 1:1000-Außenseiter Japan, standen die Spieler und ihr Trainer Heyneke Meyer in der Heimat in der Kritik. Doch sie zogen aus der peinlichen Niederlage die richtigen Schlüsse und konzentrierten sich auf die Basics dieses Sports. Schnörkellos und mit einer starken Defensive gewannen die Springboks seither jedes Spiel.

Die Waliser, die mit einem epischen Sieg gegen den großen Nachbarn England das Ausscheiden des Gastgebers begründeten, hatten in der Vorrunde einfach zu viel Kraft und zu viele verletzte Spieler gelassen. Fünf ihrer besten Profis fielen im Verlauf der Vorrunde mit Verletzungen aus, der Aderlass konnte nicht mehr kompensiert werden. "Wir haben alles gegeben, aber am Ende waren wir nicht gut genug", konstatierte Warren Gatland, der neuseeländische Trainer der Waliser nach der knappen Niederlage, bei der seine Mannschaft in der Halbzeit noch 13:12 geführt hatte.

Ablösung von Frankreichs Trainer schon vor WM beschlossen

Die Franzosen klammerten sich in der Neuauflage des WM-Finales von vor vier Jahren an ihre guten Ergebnisse gegen die wegen ihrer schwarzen Kleidung All-Blacks genannten Neuseeländer. Bei Weltmeisterschaften besiegten die Les Bleus die All-Blacks zweimal grandios. Aber der Generation von 2015 fehlten Inspiration und die Durchschlagskraft früherer französischer Mannschaften. Und so endet die vierjährige Ära des Trainers Philipp Saint-Andre mit einem weiteren schlechten Abschneiden bei einem großen Turnier.

Die Ablösung des umstrittenen Trainers zum 1. November war schon vor der WM beschlossen. Bei vier Teilnahmen beim prestigeträchtigen Six-Nations-Turnier, dem jährlichen Wettbewerb der sechs besten Teams Europas, vergleichbar mit einer Fußball-EM, gelang den Franzosen mit Saint-Andre nie ein Platz unter den ersten drei. Vor dem Spiel gegen Neuseeland wurden Gerüchte lanciert, dass die französischen Spieler sich angeblich gegen den wenig charismatischen Saint-Andre aufgelehnt hätten. Manche vernuteten darin nur ein Manöver, um Neuseeland in Sicherheit zu wiegen. Wie auch immer: Das alles spielt nach dem frühen Aus nun keine Rolle mehr, ab November übernimmt der 61 Jahre alte Guy Noves die Mannschaft. Vielleicht, so Kritiker, wäre eine Ablösung von Saint-Andre vor der WM besser gewesen.

Noves wird aber die Probleme des französischen Rugbys erben. Die heimische Top 14-Liga ist die finanzstärkste Europas und lockt die besten Spieler aus dem Ausland. Die Stars blockieren aber die Plätze für den einheimischen Nachwuchs, was auch Auswirkungen auf die Nationalmannschaft hat. Die Zustände im französischen Rugby wurden in den letzten Jahren immer wieder mit denen im englischen Fußball verglichen: Der Ausbau der heimischen Liga zum Marktführer führt zum Qualitätsverlust der nationalen Auswahl. Den Preis haben die Franzosen nun bei dieser WM bezahlt.

© SZ vom 18.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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