Kurzkritik:Ohne Larmoyanz

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Bei Jon Spencer und seinem Trio wird jede Musik zum Blues

Von DIRK WAGNER, München

"2015. Und noch immer ist der Blues die Nummer eins", ruft der mittlerweile 50-jährige Gitarrist und Sänger Jon Spencer von der Bühne. Und sein seit 1991 aktives New Yorker Trio The Jon Spencer Blues Explosion belegt die vollmundige Behauptung im rappelvollen Ampere mit einem Programm, das den Blues aus allen Spielarten einer US-amerikanischen Rockmusik saugt. Sei es der Punk der Dead Boys oder der Hip-Hop der Beastie Boys. Worüber Jon Spencer und Judah Bauer auch ihre Gitarrenriffs legen, es wird alles zu Blues. Kein larmoyanter, verzweifelter Blues freilich, sondern ein pulsierender, raumgreifender, auf den der Drummer Russell Simins einprügelt, als wollte er den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Sehr schnell verschwinden da die zu Konzertbeginn kurz sichtbaren Alterserscheinungen der Band in jene altbewährte schwitzige Leidenschaft der Blues Explosion, die den Rock'n'Roll noch immer als Sexualtrieb gegen die eigene Todessehnsucht auslebt. Gerade mal, dass Jon Spencer selbst sich nicht am Mikroständer rekelt wie eine Stripperin an der Stange einer Tabledance Bar. Die Art, wie er seine Oberlippe übers Mikrofon stülpt, die Weise, wie er immer wieder in die Knie fällt, und die Regelmäßigkeit, mit der er beschwörend den Bandnamen gleich einem Slogan ins Mikro röhrt, all das holt den Rock'n'Roll in seinen sündigsten Momenten ab: in Elvis Presleys verruchtem Hüftschwung zum Beispiel, in Jim Morrisons exzessiver Bühnenshow oder in der provokanten Selbstzerstörung des jungen Iggy Pop.

Gefährlich wie einst der "Midnight Rambler" der Rolling Stones gebärdet sich da so manche Slide-Gitarre von Bauer, über die Spencer auch mal das psychedelische Fiepen seines Theremins fiebern lässt. Ein Exzess, der sich auch vom Zwischenapplaus des Publikums nicht unterbrechen lässt. Und so gehen auch die Songs nahtlos in einander über: schnell, druckvoll und eigentlich schon mehr an Punk als an Blues erinnernd. Doch genau das macht ihn ja 2015 so spannend.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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