Europäische Bankenaufsicht:Angst vor schlechten Noten

European Central Bank President Mario Draghi Announces Interest Rate Decision

Hüterin des Geldes: die Europäische Zentralbank in Frankfurt.

(Foto: Ralph Orlowski/Bloomberg)

Die neue europäische Bankenaufsicht lehrt Manager das Fürchten. Einige fühlen sich bereits gegängelt. Doch es gibt auch viel Lob für die neue Institution.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Es ist nur ein paar Jahre her, da haben sich so manche Bankbosse in Europa vor Lachen auf die Schenkel geklopft, sobald die Experten von der Finanzaufsicht auftauchten. Man nahm die Aufpasser nicht ernst, zumal man wusste, dass die eigene Regierung der nationalen Bankenindustrie möglichst viel Freiraum lassen wollte. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Danièle Nouy, 65, sitzt im 14. Stock des Japan-Towers in Frankfurt. Die Chefin der Europäischen Bankenaufsicht arbeitet dort mit den 900 Kollegen im räumlichen Provisorium. Erst nächstes Jahr folgt der Umzug in den dann renovierten alten Euro-Tower nebenan.

Ein Jahr ist die Französin jetzt im Amt. Die Bankenaufsicht funktioniert und entwickelt im Tagesgeschäft ganz behutsam ihre Identität. Die Aufgabe, eine gemeinsame Bankenkontrolle in der Eurozone aufzubauen, ist alles andere als trivial. 19 Nationalstaaten haben über Jahrzehnte eine eigene Verwaltungspraxis gelebt. Diese Gewohnheiten müssen aufgebrochen werden, um überall die gleichen Spielregeln zu haben. Das dauert. Doch eines hat Nouy schon jetzt erreicht. Die Bankenchefs haben Respekt vor der Europäischen Zentralbank (EZB), wo die Bankenaufsicht angesiedelt ist. Manche zittern sogar.

So überprüft die Behörde die Qualifikation jedes neu berufenen Bankenvorstands sowie der Aufsichtsräte der 124 größten europäischen Kreditinstitute und deren zahlreichen Töchter. Außerdem prüft sie die Geschäftsmodelle der Institute. "Das sind wirklich Gespräche auf Augenhöhe, die Aufseher haben gute Fragen gestellt", berichtet ein deutscher Bankvorstand, dessen Institut in den vergangenen Monaten durchleuchtet worden ist. Die EZB hat in ihrem ersten Jahr über 1000 dieser "Fit and proper-Tests" durchgeführt. "Wir müssen erreichen, dass die Banken unseren Bürger noch besser dienen", sagt Nouy.

Die zierliche Französin schreibt die Geschichte der Europäischen Integration fort. Die gemeinsame Bankenaufsicht gilt vielen nur als erster Schritt. Weitere müssten folgen: die gemeinsame Einlagensicherung, eine europäische Fiskal- und Wirtschaftspolitik und auch ein Europäisches Finanzministerium. Wenn es in Nouys Behörde gut läuft, dann macht das Mut für Europas Einigung. Die Französin steht auch deshalb unter Druck.

Die Kontrolleure sollen faule Kredite in den Bilanzen aufspüren

Die Skepsis war groß zum Start der Europäischen Bankenunion im November 2014. Doch kaum jemand bestritt die Notwendigkeit, es zu tun. Denn während die US-Banken längst der Krise enteilt waren, haderten vor allem die Institute aus den südeuropäischen Ländern weiter mit den Altlasten. Das wiederum blieb auch den internationalen Investoren nicht verborgen, die Europas Banken weniger Kapital für die Kreditvergabe zur Verfügung stellten. Die vergangenen Monate verbrachte die EZB nicht nur damit, die besagten Banker-Führerscheine auszustellen. Sie durchleuchtete die Bilanz jeder einzelnen Großbank, um zu wissen, wo gefährlich faule Kredite liegen.

"Es ist gut, dass es nun eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht gibt, wo nationale Vorbehalte außen vor bleiben", sagt Europapolitiker Sven Giegold von den Grünen. "Nationale Aufseher waren ja meist Vertreter der Finanzministerien. In der Folge spielten bei den Entscheidungen auch immer Standortpolitik und Arbeitsplätze eine Rolle", so der Finanzexperte. Die Finanzstabilität sei da zu kurz gekommen.

Sogar Banker verteilen Lob. "Von höchsten Respekt" für die "Bewältigung der Mammutaufgabe" spricht Michael Kemmer vom Lobbyverband der privaten Geschäftsbanken. Und auch sein Kollege Gunter Dunkel, der für die Landesbanken spricht, und an der Spitze der NordLB steht, lobt die Behörde, "die zweifelsfrei einen guten Job gemacht hat".

Doch die Aufsicht zu loben, gehört bei Bankern zum Einmaleins der guten Rhetorik. Wer ihnen genauer zuhört, erfährt höflich verpackte Kritik. Kemmer moniert, die kleinen Banken dürften nicht denselben hohen Anforderungen unterliegen wie eine international agierende Großbank: "Ansonsten droht eine Überforderung". Außerdem bemängeln viele Institute, dass die EZB nicht transparent sei bei der Überprüfung der Geschäftsmodelle. Zwar erhalten die Banken hinterher Schulnoten von eins (für sehr gut) bis fünf (für: muss abgewickelt werden) aus denen sich individuell errechnet, wie viel Kapital die Banken vorhalten müssen. Die Institute aber können nicht nachvollziehen, wie die Aufsicht zu ihren Annahmen kommt.

Manche kritisieren, dass die Aufseher schon mal über das Ziel hinausschießen

Auch dass die Aufsicht schon mal übers Ziel hinausschießen kann, wurde bereits deutlich, als die EZB im Frühjahr mit einem Brief für einen Aufschrei in der Branche sorgt. Darin forderte sie die Banken auf, mindestens 50 Prozent auf ausfallgefährdete Anleihen der österreichischen Krisenbank Heta abzuschreiben. Die Aufseher wollten sicherstellen, dass alle Institute angemessenen mit den Risiken umgehen. Viele Banker jedoch hielten die Vorgabe für eine fragwürdige Einmischung in internationale Bilanzierungsregeln.

Auch bei den Fit-and-Proper-Tests gab es bereits Unmut: So erhielt der neue Deutsche-Bank-Chef John Cryan seinen Führerschein schon nach wenigen Wochen, während der Chef der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) so lange warten musste, dass er seinen Job erst zwei Monate später antreten konnte, als geplant. Formalrechtlich könnte ein neuer Vorstandschef die Lizenz zwar auch nach Amtsantritt entgegennehmen, das würde sich jedoch keiner trauen, sagen die Banker.

Die EZB möchte die gleichen Regeln für alle, doch das ist leichter gesagt als getan. "Man kann nicht behaupten, dass die EZB auf Basis eines einheitlichen Rechtsrahmens operieren kann", sagt Manuel Lorenz, Kapitalmarktexperte der Anwaltskanzlei Baker&McKenzie. Gerade bei den Richtlinien gebe es nationale Umsetzungsspielräume, die zu unterschiedlichen Regeln in jedem Land führten. "Dazu kommt die jahrelange unterschiedliche Auslegungspraxis, die sich bei den nationalen Aufsichtsbehörden etabliert hat."

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat eine andere Praxis als die französischen Kontrolleure. "Bei vielen nationalen Finanzaufsichtsbehörden erhalten die Banken von den verantwortlichen Mitarbeitern schnell und unbürokratisch klare Ansagen", so Lorenz. Doch diese informelle und zeitsparende Aufsichtspraxis muss sich bei der EZB erst entwickeln. "Bislang ist es wohl so, dass sich die EZB-Aufseher noch nicht trauen, den Banken verbindliche Auskünfte zu geben, weil das gleich so aussehen würde, als ob die Kompetenz des EZB-Rats und des SSM-Aufsichtsgremiums infrage gestellt würde.", sagt Jurist Lorenz. Also müssten alle Entscheidungen, egal wie groß ihre Wirkung ist, von den Gremien abgesegnet werden. Das kostet Zeit.

Die Europäische Bankenaufsicht wird als Single Supervisory Mechanism (SSM) bezeichnet. Nouy ist die Chefin, doch jede Entscheidung dieses Gremiums muss aus juristischen Gründen dem EZB-Rat vorgelegt werden. Allerdings entscheidet das oberste Notenbankgremium auch über die Geldpolitik. Hier droht ein Interessenkonflikt, wie der Fall Griechenland zeigte. Die EZB-Bankenaufseher sagten, das griechische Bankensystem sei stabil, doch gleichzeitig machte der EZB-Rat durch die Bewilligung der geldpolitischen Notkredite an griechische Banken diese Stabilität erst möglich. Eigentlich müsste die Bankenaufsicht daher außerhalb der EZB angesiedelt sein, doch dazu müssten die Europäischen Verträge geändert werden.

Im Regelfall greift die EZB bei den Banken aber durch. Weil sie der Deutschen Bank nach Durchleuchtung des Geschäftsmodells deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen und informell wohl auch eine Dividendensperre auferlegen wird, sah sich die Bank gerade zu einer Rekordabschreibung gezwungen. Die Botschaft der Kontrolleure: Viele der riskanten Geschäfte lohnen sich nicht mehr.

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