Seehofers Flüchtlingspolitik:Zeichen von Größe oder Akt der Verzweiflung?

Diskusion um dritte Startbahn am Münchner Flughafen

Seit wann sagt denn Markus Rinderspacher (rechts) Horst Seehofer, wo's langgeht?

(Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Bayerns Ministerpräsident Seehofer hat völlig überraschend die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Freien Wählern und Grünen zu einem Flüchtlingsgipfel in die Staatskanzlei eingeladen.
  • Zuvor hatte er dem Parlament sieben Punkte präsentiert, wie er sich eine Reduzierung der Zahlen vorstellen könne.

Von Wolfgang Wittl

Es war kurz vor halb sieben am Dienstagabend, die Landtagssitzung näherte sich unweigerlich ihrem Ende, da gab Horst Seehofer der Landtagspräsidentin einen kleinen Wink. Zuvor hatte er mit den Fingerkuppen auf dem Tisch getrommelt, dann begann er, sich auf einem kleinen Zettel Notizen zu machen. Nun wollte der Ministerpräsident selbst ans Rednerpult treten, eine ungewöhnliche Situation. Noch erstaunlicher war allerdings, was er sagte. Eine halbe Stunde sprach Seehofer, es war eine zweite, diesmal inoffizielle Regierungserklärung innerhalb weniger Tage - und es war die bessere.

Völlig überraschend lud Seehofer die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Freien Wählern und Grünen zu einem Flüchtlingsgipfel in die Staatskanzlei ein. Es gehe darum, "wirksame und rechtsstaatliche Lösungen" zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen zu finden, sagte Seehofer. Sieben Punkte legte er dem Parlament dar, wie er sich eine Reduzierung vorstellen könne - angefangen von einer konsequenten Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht bis zur Wiederherstellung von EU-Recht. In Fragen von Humanität, Solidarität und Integration parteiübergreifende Lösungen zu finden, sei nicht das Problem, sagte Seehofer: "Aber wir müssen jetzt auch über die Knackpunkte reden."

Am Freitag nächster Woche soll das Treffen stattfinden. Er werde sich dafür viel Zeit nehmen, kündigte der Ministerpräsident an. Alle Fraktionsvorsitzenden erklärten am Mittwoch einvernehmlich, dass sie den Termin wahrnehmen. Und dass es höchste Zeit für dieses Gespräch sei. "Das hätte er schon früher haben können", sagte Margarete Bause, die Fraktionssprecherin der Grünen. Die am häufigsten gestellte Frage lautete daher, warum die Einladung ausgerechnet jetzt erfolgte. Warum sucht Seehofer plötzlich den Schulterschluss mit der Opposition?

Es sei kein Angebot, das wegen "Handlungsunfähigkeit der Regierung" gemacht werde, stellte Seehofer klar. Entscheiden könne die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit durchaus selbst, doch es gehe ihm um die Verantwortung um das Land. Er befürchte eine gesellschaftliche Spaltung, eine Radikalisierung der Gesellschaft. Daher sei es wünschenswert, wenn alle demokratischen Kräfte zur Problemlösung beitragen würden. Vielleicht dachte er an die steigenden Umfragewerte der AfD? Vielleicht an die wachsende Zahl von Teilnehmern an Pegida-Märschen, die Kritiker auch mit Seehofers Wortwahl begründen?

Seehofer weist solche Vorwürfe zurück. Nicht derjenige sei an diesen Entwicklungen schuld, der die Probleme benenne, sondern die Politik, die keine Lösungen finde. Erst am Nachmittag hatte er Kanzlerin Angela Merkel erneut scharf dafür kritisiert, dass beim Thema Transitzonen nichts vorangehe. Man könne statistisch sehr wohl nachvollziehen, wie der Stand von Flüchtlingen in Deutschland bis zum 4. September gewesen sei, dem Tag also, an dem Merkel die Grenzen öffnete, und was seitdem los sei, sagte Seehofer im Landtag.

Seit Wochen wird in Bayern gemosert, die da oben in Berlin kriegten nichts auf die Reihe. Und mit jedem Tag tut Seehofer sich schwerer, Gehör zu finden. Die Drohungen von "Notwehr" und einer Verfassungsklage gegen die eigene Regierung verpufften. Nun sagte der CSU-Chef in Richtung SPD-Landtagsfraktion, sein Gesprächsangebot sei "wirklich ernst gemeint, vor allem an den Koalitionspartner in Berlin". Die oft gehänselte Bayern-SPD als Vermittler zur Bundes-SPD? Manch einer sieht darin bereits einen Akt der Verzweiflung Seehofers.

Tatsächlich treibt Seehofer das Thema um wie kaum ein anderes in seiner politischen Vita. Auch seine Umgebung spürt das. Vormittags im Kabinett rüffelte er den von ihm geschätzten Innenminister Joachim Herrmann, weil sogar Bayern bei der Abschiebung zu zögerlich vorgehe. Im Landtag wiederholte er seine Kritik öffentlich. In der Staatskanzlei gründet Seehofer jetzt eine "Stabsstelle Flüchtlinge", um noch mehr direkten Einfluss nehmen zu können. Die Leitung übernimmt der bisherige Regierungssprecher Rainer Riedl. Wenn Seehofers Ansicht zufolge schon in Berlin zu wenig vorangeht, soll wenigstens Bayern sein Möglichstes tun.

Die Frage wird sein, wie weit die Opposition ihm bei der Begrenzung von Flüchtlingen folgt. Er habe den Eindruck, Seehofers Drohkulisse sei in sich völlig zusammengebrochen, sagt SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. "Die Drehtür für Flüchtlinge muss sich auch in Bayern schneller drehen", fordert FW-Chef Hubert Aiwanger mit Blick auf Abschiebungen. Bause sagte, sie werde gern über Seehofers sieben Punkte diskutieren, "aber das werden nicht die einzigen sein".

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