Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte:"Eindeutig Terrorismus"

In Deutschland brennen wieder Flüchtlingsunterkünfte. Doch viele zögern, die Taten als rechten Terrorismus zu bezeichnen. Sie liegen falsch.

Von Markus C. Schulte von Drach

461 rechte Straftaten gegen Asylunterkünfte hat das Bundeskriminalamt allein in den ersten drei Quartalen 2015 gezählt. Unter den Verbrechen waren etliche Brandanschläge, auch solche, bei denen Flüchtlinge in Lebensgefahr gerieten.

Während in den Medien immer wieder der Begriff "Terror" fällt, halten sich Politiker mit dem Begriff zurück. So warnte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel unlängst zwar vor der Gefahr eines neuen Rechtsterrorismus. Sie denkt dabei allerdings an die Entstehung einer Organisation wie dem NSU, und nicht an die sich derzeit häufenden Anschläge.

Handelt es sich nun um Terrorismus? Und wenn ja, wieso wird dies von manchen so ungern ausgesprochen? Fragen an Robin Schroeder vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

SZ.de: Die Zahl der rechten Angriffe auf Asylunterkünfte und Flüchtlinge ist in diesem Jahr bereits doppelt so hoch wie 2014. Rechte Täter verbreiten Angst und Schrecken. Handelt es sich bei diesen Straftaten aber schon um Terrorismus?

Robin Schroeder: Aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive ist die Antwort klar: Bei politisch motivierten Angriffen auf Flüchtlinge und Brandanschlägen auf bewohnte Asylunterkünfte, bei denen die Täter die Verletzung oder den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf nehmen, handelt es sich eindeutig um Terrorismus. Nahezu alle wissenschaftlichen Definitionen von Terrorismus lassen sich auf diese Anschläge anwenden.

Was genau macht die Angriffe auf Asylunterkünfte zu Terrorismus?

Es gibt etliche Definitionen, aber einige Elemente tauchen in den meisten Definitionen immer wieder auf. So ist das Motiv der Gewalt politisch und nicht persönlich wie etwa Selbstbereicherung oder Rache. Außerdem werden die Opfer willkürlich gewählt, solange sie eine bestimmte Gruppe repräsentieren, die für etwas stehen, was der Täter ablehnt. In diesem Fall stehen die einzelnen Asylbewerber für die Flüchtlinge in Deutschland insgesamt. Ausnahmen von dieser willkürlichen Opferwahl stellen vor allem gezielte Attentate auf politische Amtsträger wie Henriette Reker in Köln dar.

Außerdem ist entscheidend, dass Terrorismus ein Kommunikationsakt ist.

Gewalt als Kommunikationsmittel?

Der Schaden, das Leid der Opfer eines Brandanschlags ist für den Terroristen ein zweitrangiger Effekt. Mit einem Anschlag soll eine Botschaft an größere Zielgruppen kommuniziert werden. Hier sind es zum einen die Flüchtlinge, denen signalisiert wird: Wir wollen euch nicht hier haben, verschwindet, sonst kann es auch euch treffen.

Dann ist es Kommunikation in Richtung Regierung: Wir sind nicht einverstanden mit eurer Politik und bereit, dagegen gewaltsam Widerstand zu leisten, bis ihr da oben eure Politik ändert.

Und Terrorismus richtet sich an mögliche Sympathisanten in der Bevölkerung. Terroristen wollen mit ihren Taten polarisieren, radikalisieren und auch mobilisieren. Und dass es zu Nachahmern kommt, zeigt gerade der BKA-Bericht. Deshalb ist es so problematisch, wenn nicht klar von Terrorismus gesprochen wird.

Wieso wird das offenbar von vielen vermieden?

Wahrscheinlich in erster Linie aufgrund der juristischen Dimension. Im deutschen Recht gibt es zwei Paragrafen, die hier von Bedeutung sind: Der Paragraf 129a Strafgesetzbuch verbietet die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Terroristische Akte sind demnach Straftaten wie Mord oder auch Brandstiftung, die im Namen einer solchen Vereinigung begangen werden. Eine klare Definition des Begriffs Terrorismus als solchen lässt sich hieraus nicht ableiten. Auf die Menschen, die gegenwärtig die Flüchtlingsheime anstecken, lässt sich dieser Paragraf schwer anwenden, weil sie eben nicht in einer terroristischen Vereinigung organisiert sind.

Dann gibt es aber noch Paragraf 2 im Antiterrordateigesetz (ATDG), der rechtswidrige Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange als Terrorismus einordnet.

International ausgerichtet? Lässt er sich dann in Bezug auf Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte anwenden?

Das ist die Frage. Ich bin der Meinung: Ja. Die Flüchtlingskrise beschäftigt nicht nur die deutsche Innenpolitik, sondern die EU- beziehungsweise die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes. Und einige Themen, die mit der Flüchtlingskrise direkt verbunden sind - etwa die Schließung von Grenzen oder die Festlegung von Aufnahmequoten in den EU-Mitgliedstaaten - sind auch außenpolitische Fragen. So lassen sich auf der Grundlage des Paragrafen 2 ATDG politisch motivierte Gewaltverbrecher, die nicht Mitglied einer als terroristisch eingestuften Organisation sind, auch rechtlich als Terroristen definieren. Aber das lässt eben auch anders interpretieren.

Juristische Probleme mit Terrorismus

Wieso ist Terrorismus im deutschen Recht nicht klarer definiert?

Man hat versucht, die Definition von Terrorismus möglichst aus dem Strafrecht herauszuhalten, weil es heikel ist, Menschen aufgrund einer Geisteshaltung strafrechtlich zu verfolgen. Im deutschen Recht ist es daher zweitrangig, ob jemand, der eine Bombe legt und dadurch vorsätzlich Menschen tötet, als Terrorist betrachtet wird. Es kommt vor allem auf den Straftatbestand Mord an. Er ist ein Mörder und so ist die Justiz voll handlungsfähig. Es sollte aber klar gesagt werden, wenn es sich um eine politisch motivierte rechtsradikale Straftat handelt. So etwas darf nicht ignoriert oder verharmlost werden.

Aber auch wenn es schwierig ist, auf juristischer Ebene von Terrorismus zu sprechen - auf sozialwissenschaftlicher Ebene geht es eindeutig, und wir sollten es auch tun. Vielleicht hebt es bei dem einen oder anderen ja die Hemmschwelle, wenn klar ist, dass politisch motivierte Straftaten wie Brandanschläge auf bewohnte Flüchtlingsunterkünfte faktisch Terrorismus sind.

Dem BKA zufolge kommt der überwiegende Teil der Täter aus der Nachbarschaft der Flüchtlingsheime. Das klingt nach eher spontanen Verbrechen. Und nur ein Drittel hatte Kontakt zur rechten Szene. Bei Terrorismus denkt man ja eher an organisiertes Vorgehen, an Gruppen wie al-Qaida, den NSU, die RAF.

Diese Menschen verstehen sich selbst tatsächlich wohl eher als "Wutbürger", die meinen, es müsste endlich mal gehandelt werden. Man müsste Zeichen setzten. Viele Pegida-Demonstranten begrüßen die Anschläge vielleicht sogar. Dass es sich um Terrorismus handelt, wird von beiden Seiten ausgeblendet. Aber wer Terror verbreitet und terroristische Akte begeht, der ist ein Terrorist.

Auch wenn er keiner Terrororganisation angehört?

Dass eine Organisation nicht notwendig ist, wissen wir von den sogenannten "Einsame-Wolf-Terroristen". Denken Sie an den Kosovo-Albaner, der in Frankfurt zwei US-Soldaten erschossen hat. An den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon. Das Ottawa-Shooting. Das waren Einzeltäter, die sich vor allem über das Internet radikalisiert haben, ohne einer extremistischen Organisation anzugehören.

Und auch manche Rechte radikalisieren sich immer weiter, am Stammtisch, in kleinen Gruppen, im Internet. Jemand postet etwas Fremdenfeindliches, bekommt große Resonanz und denkt plötzlich, er müsse für die schweigende Mehrheit in Aktion treten. Als Freiheitskämpfer oder Retter des christlichen Abendlandes. Deshalb wird der Paragraf 129a Strafgesetzbuch an dieser Stelle dem heutigen Terrorismus in vielen Fällen nicht mehr gerecht.

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