TSV 1860 München:Der Löwe schlummert

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Rubin Okotie versinkt in der Bandenwerbung und sein Verein im Tabellenkeller: Seit zwölf Spielen haben die Löwen nicht gewonnen. (Foto: MIS/imago)

Zwölf Spiele, kein Sieg: Noch nie hat eine Mannschaft mit einer Startbilanz wie der TSV 1860 München noch den Zweitliga-Klassenerhalt geschafft. Und der neue Trainer ist weiter arbeitsunfähig.

Von Benedikt Warmbrunn, Fürth/München

Den ungewöhnlichen Weg hat Kurt Kowarz noch nie gescheut. 1988, er war ein 30-jähriger Torwart, hatte er sich von der Landesliga bis in die zweite Bundesliga gespielt, war aber seit Wochen schon arbeitslos. Weil er deshalb besonders viel Zeit hatte, las er den Kicker besonders gründlich. Dort entdeckte er eine Anzeige, in der der Bundesligist 1. FC Nürnberg einen Ersatztorwart suchte. Kowarz bewarb sich, absolvierte erfolgreich ein Probetraining, spielte elfmal in der Bundesliga, freundete sich mit Stammtorwart Andreas Köpke an, produzierte mit ihm schließlich den Standardwerk-Film "Professionelles Torwarttraining mit Andreas Köpke und Kurt Kowarz", der sich bis heute verkauft.

Kurt Kowarz war also bereits viele Jahre lang Fußballprofi, als er merkte, dass auch der ungewöhnliche Weg zum Erfolg führen kann.

Am Freitagabend betreute Kowarz, heute 57 Jahre alt und seit vielen Jahren im Trainergeschäft, erstmals eine Zweitliga-Mannschaft, den TSV 1860 München. Der Weg dorthin war wieder ungewöhnlich gewesen. Und er führte zumindest kurzfristig nicht zum Erfolg.

Cheftrainer Möhlmann fehlt wegen einer Gallenblasen-Operation

Bei der SpVgg Greuther Fürth, seinem langjährigen Arbeitgeber, hätte eigentlich erstmals Benno Möhlmann ein Auswärtsspiel für 1860 coachen sollen. Doch nachdem er am Montag zuvor erschöpft bei der Heimniederlage gegen den Karlsruher SC auf seinem Stuhl saß, wurde er im Krankenhaus untersucht. Es folgten eine Gallenblasen-Operation und mehrere Tage im Krankenbett. Und so kamen die 90 Minuten des Kurt Kowarz.

Der eigentliche Torwarttrainer hatte bereits den TSV Rain/Lech in der Bayernliga sowie den TSV Untermeitingen in der Bezirksliga als Cheftrainer verantwortet, daher entschied Möhlmann, dass Kowarz mit seiner Erfahrung die Ansprachen halten sollte, und nicht sein Assistenztrainer Sven Kmetsch. Möhlmann gab vom Krankenbett die Aufstellung vor, auch die taktische Ausrichtung, den Rest überließ er seinem Trainerteam. Er werde während der 90 Minuten nur stehen, das kündigte Kowarz an. Und er werde den Löwen in sich "zum Ausdruck bringen", auch das sagte er.

Nun, dieser Löwe in ihm schlummerte vermutlich. Kowarz stand zwar tatsächlich die meiste Zeit im Spiel gegen Fürth, überwiegend allerdings mit vor der Brust verschränkten Armen. Eine Handbewegung als Anweisung oder ein angelegter Zeigefinger an der Wange, das waren lange die auffälligsten Regungen. Bis er sich in der zweiten Halbzeit zweimal aufregen musste.

Nach 47 Minuten erzielt Stiepermann das Fürther Siegtor

Im ersten Durchgang hatte sich der TSV 1860, der ja in den ersten elf Spielen nicht einmal gewinnen konnte, zunächst sehr schwer getan, von zwei unsicheren Mannschaften (auch Fürth hatte zuletzt zweimal mit je fünf Gegentoren verloren) waren die Gäste besonders angespannt. "Da hat die Mannschaft nicht das gemacht, was wir ihr vorgegeben haben", sagte Kowarz stellvertretend für das Gespann Möhlmann-Kmetsch-Kowarz. Dann aber löste sich die Nervosität auf, und der TSV 1860 spielte knapp 25 Minuten lang erstaunlich forsch nach vorne. Jedoch nutzte er keine seiner Chancen. "Das war teilweise fahrlässig", sagte Kowarz später, weiter mit der Stimmlage des kühlen Beobachters.

Fürth traf zu Beginn der zweiten Halbzeit durch Marco Stiepermann (47.). Der TSV 1860 traf weiter nicht, weshalb Kowarz' Debüt an der Zweitligaseitenlinie 0:1 (0:0) endete. Zweimal immerhin brachte er den Löwen in sich zum Ausdruck, einmal forderte er einen Elfmeter, ein anderes Mal mischte er sich unter eine Rangelei. Der Klub hat nun keines der ersten zwölf Spiele gewonnen hat, bleibt auf einem Abstiegsplatz - noch nie gelang einem Team mit dieser Bilanz der Klassenerhalt in der zweiten Liga. "Im Moment fehlt das Selbstvertrauen", klagte Stürmer Rubin Okotie. "Wir müssen dreckiger spielen, müssen aggressiver spielen", forderte Daniel Adlung. "Die Mannschaft muss aufwachen, sie muss die Dinge tun, die wir ihr vorgeben", sagte Kowarz.

Im Pokal in Mainz coacht Kowarz ein zweites Mal

Ihn, Kowarz, sprachen die Spieler später frei von jeglicher Schuld an der Niederlage. "Wir gehören alle zusammen, es ist egal, wer an der Seitenlinie steht", sagte Adlung, "das Trainerteam kann von außen nur ein bisschen Einfluss nehmen, aber wir Spieler müssen es dann auch umsetzen."

Auf der Rückfahrt nach München wollte Kowarz Möhlmann anrufen, wollte mit ihm die nächsten Tage besprechen, wollte mit ihm einen Weg aus dieser tiefen Krise finden. Und er wollte ihn einfach hören, wollte wissen, wie es ihm geht. Er sagte: "In erster Linie ist es wichtig, dass Benno gesund wird, alles andere spielt eine nebensächliche Rolle." Am Samstag hat Möhlmann das Krankenhaus verlassen, doch diensttauglich geschrieben ist er noch nicht. Am Dienstag, im DFB-Pokalspiel bei Erstligist Mainz, coacht Kowarz, der Stellvertreter, ein zweites Mal.

© SZ vom 25.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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