Flüchtlingskrise:Die fünf großen Herausforderungen für die deutsche Politik

Bundestag öffnet Türen für die Bürger

Das Reichstagsgebäude, Parlamentssitz des Deutschen Bundestages in Berlin

(Foto: dpa)

Die Lage auf dem Balkan, die Verteilung der Flüchtlinge, der wuchernde Fremdenhass: Wo die Politik jetzt dringend handeln muss.

Analyse von Oliver Das Gupta

1. Fluchtursachen bekämpfen

Der deutlich größte Teil der Flüchtlinge stammt aus Staaten, in denen Krieg, Gewalt und Rechtlosigkeit herrschen, allen voran aus Syrien. Würden diese Länder befriedet oder stabilisiert, fiele die Hauptmotivation zur Flucht weg. Das ist für die internationale Gemeinschaft ein langwieriges, schwieriges und auf absehbare Zeit teilweise unmögliches Unterfangen. Denn neben lokalen Akteuren mischen oft ausländische Parteien mit. Im Syrien-Konflikt fliegen zum Beispiel neben westlichen Mächten wie den USA oder Großbritannien nun auch die Russen Bombenangriffe. Iran und andere muslimische Staaten sind in den Krieg ebenso involviert. Hier lässt sich - zum Beispiel aus Brüssel - nur bedingt einwirken.

Trotzdem ist die Europäische Union in der Lage, positive Impulse zu setzen: Sie kann umliegende Regionen stabilisieren und damit verhindern, dass sich der Konflikt ausweitet. In Jordanien und der Türkei, wohin zigtausende Syrer geflohen sind, sollten die Verhältnisse verbessert werden, humanitäre Hilfe und finanzielle Unterstützung sind gefragt. Im Fall Syriens kommt Ankara eine Schlüsselrolle zu - als Zufluchtsort von Millionen Syrern und als Ordnungsmacht für die Region.

Deshalb ist es folgerichtig, dass die EU und Kanzlerin Merkel auf eine Verständigung mit der Regierung des umstrittenen Präsidenten Erdoğan hinarbeiten. Weniger einleuchtend ist allerdings, wenn der Westen Waffen an Akteure in der Krisenregion liefert. Der Kampf der Türkei gegen die kurdische Minderheit verschlimmert momentan allerdings die Zustände ebenso wie die Bombardements des russischen Militärs. So fliehen noch mehr Menschen in Richtung Mitteleuropa.

2. Die Lage auf dem Balkan entspannen

Die meisten Flüchtlinge kommen momentan nicht in wackligen Booten von Libyen über das Mittelmeer, sondern über den Balkan nach Europa. Die Route variiert, momentan reisen die meisten Menschen über die Türkei nach Griechenland und Bulgarien, dann über die Staaten Ex-Jugoslawiens nach Österreich und von dort nach Deutschland. Auf diesem Weg herrschen seit Monaten inhumane, chaotische Zustände. Mal öffnet ein Land seine Grenzen, mal schottet sich ein anderes Land ab. Zäune, Tränengas und Schläge halten Flüchtlinge nicht auf.

Die EU, allen voran Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dringt auf Lösungen, um die Situation auf der Flüchtlingsroute in den Griff zu kriegen. Nationalstaatlicher Egoismus hat bislang aber ein konzertiertes Vorgehen verhindert. Auf dem Flüchtlingsgipfel am Sonntag in Brüssel soll sich das ändern. An dem Treffen nehmen die Regierungschefs der meisten Balkanstaaten teil sowie Bundeskanzlerin Merkel und Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann.

In Brüssel soll es um die Koordinierung praktischer Hilfe gehen, aber auch um ein einheitliches Prozedere an den Grenzen. Die Politik des Durchwinkens soll gestoppt werden. Die faire Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten wird Berlin wohl auch weiterhin forcieren müssen. Gerade osteuropäische Staaten wehren entsprechende Vorstöße aus Brüssel und Berlin nach Kräften ab.

Die Zeit für Lösungen wird immer knapper: Die Situation auf der Balkan-Route ist dramatisch, die Zustände in den Lagern sind teilweise katastrophal. Und der Winter kommt: In Spielfeld an der slowenisch-österreichischen Grenze verbrachten etwa 3000 Flüchtlinge bei Temperaturen um den Gefrierpunkt die Nacht zum Samstag in Zelten.

Bessere Verteilung, Integration, Kampf gegen Fremdenhass

3. Eine faire Verteilung der Flüchtlinge - auch in Deutschland

Seit Monaten kommen Tag für Tag Tausende Flüchtlinge in die Bundesrepublik. Die Hilfe der Bevölkerung, von Vereinen und Behörden ist immens. Doch die augenscheinlichen Probleme werden größer: Die Aufnahmekapazitäten sind ausgereizt, Asylanträge können nur schleppend langsam bearbeitet werden. Die Flüchtlinge haben das Gefühl, dass nichts voran geht.

Die Hauptlast tragen Bundesländer und Kommunen. Der Bund hat bereits große finanzielle Hilfen zugesagt. Alles muss zügiger gehen, doch das kostet noch mehr Geld. Außerdem muss es auch bundesweit zu einer fairen Verteilung von Flüchtlingen kommen, denn an manchen Ländern wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen hängt nach wie vor die Hauptlast. Auch hier ist die Solidargemeinschaft gefragt.

Die große Koalition diskutiert seit Wochen, ob man in Einrichtungen an der Grenze im Schnellverfahren über den Asyl-Status der Neuankömmlinge entscheidet. Ob das Konstrukt nun "Transitzone" heißt (CSU) oder "Reisezentrum" (SPD): Es sollte sich etwas tun und zwar schnell. Außerdem muss sich die Flüchtlingspolitik weiterentwickeln, allen voran durch ein Zuwanderungsgesetz.

4. Mehr Deutschkurse, mehr Arbeitsplätze

Die Integration der akzeptierten Asylbewerber in die deutsche Gesellschaft muss zügig angegangen werden. Es werden viele sein, denn der größte Teil der Flüchtlinge stammt aus vom Krieg verheerten Ländern. Momentan gibt es eine große Bereitschaft der Bevölkerung, sich zu engagieren.

Die Politik könnte diese Offenheit fördern und inspirieren, etwa durch geförderte Patenschaften. Der Staat sollte das Angebot an Integrations- und Deutschkursen drastisch verbreitern und vertiefen. In den Schulen müssen Kinder und Jugendliche eingehender betreut werden. Bildung ist Ländersache, also müsste auch hier konzertiert gehandelt werden, bundeseinheitliche Maßstäbe wären sinnvoll.

Die Bundesregierung hat bereits mehr als eine Milliarde Euro für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt eingeplant. Mittelfristig werden durch den Zuzug auch Arbeitsplätze geschaffen - vor allem für Einheimische. Die Flüchtlingskrise ist damit auch ein Konjunkturprogramm. Allerdings wird die Arbeitslosigkeit zunächst steigen, denn viele Neuankömmlinge werden erst einmal deutsch lernen müssen, bevor sie arbeiten können.

5. Entschiedenes Vorgehen gegen Fremdenfeindlichkeit

Die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland wächst wahrnehmbar, spätestens seit Aufkommen der xenophoben Pegida-Bewegung in Dresden. Mit der Verschärfung der Flüchtlingskrise wuchert der Fremdenhass. Politisch angetrieben wird er in sozialen Netzwerke sowie durch die nach Rechtsaußen gerückte eurokritische Partei AfD.

Ausländerfeindlich motivierte Kriminalität grassiert. Das zeigen die etwa 500 Brandanschläge auf Flüchtlingsheime im laufenden Jahr, die immer drastischere Sprache und Drohungen gegenüber Ausländern, Presse und Politikern. Jüngste Tiefpunkte waren die Messerattacken auf die inzwischen gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und einen Albaner nahe Münster.

Inzwischen wähnen die Sicherheitsbehörden die Republik konfrontiert mit einer neuen Form des Rechtsterrorismus. Dabei ist der Staat bislang bemerkenswert lax gegen die Fremdenfeinde vorgegangen. Gewalttätige und drohende Fremdenfeinde wurden bislang selten belangt. Vor allem die Polizei im Bundesland Sachsen wirkt überfordert und teilnahmslos. Es liegt auch an der Politik, dem entgegen zu wirken: durch entschiedenes eigenes Auftreten, aber auch durch die personelle Aufstockung der Polizei und mögliche Strafrechtsanpassungen.

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