Olching:Drift ohne Bremse

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Elektrostarter? Kickstarter? Fehlanzeige! Diese Motorräder werden angeschoben - für Martin Smolinski (rechts) gleich eine Trainingseinheit. (Foto: Günther Reger)

Routinier Martin Smolinski gibt Neulingen Fahrstunden mit der Speedwaymaschine

Von Stefan Salger, Olching

Klingt bescheuert: Wer würde schon freiwillig auf ein Motorrad steigen, bei dem nicht nur an der Hupe, der Beleuchtung und den Fußrasten gespart wurde, sondern bei dem der schusselige Konstrukteur auch noch den Einbau der Bremsen vergessen hat? Wenn einen da die Polizei rauszieht und man mit qualmenden Fußsohlen ausrollt - das gäbe ordentlich Ärger. Und der Schein wäre wohl weg bis in alle Ewigkeit. Zudem hängt auch noch der Auspuff so weit unten, dass er sicher in der ersten Rechtskurve abfällt.

Was also liegt näher, als genau das zu probieren? Also lassen wir uns von einem Mann, der neben einem Stoppelbart und leuchtend hellblauen Augen das breiteste Grinsen im Gesicht trägt, eine zweiminütige Einweisung geben. Und los geht's. Aber halt: Einen Startknopf sucht man ebenso vergeblich wie den dazugehörigen Anlasser. Als gerechte Strafe muss einen der drahtige Einweiser also auch noch anschieben. Dann die Überraschung: Es macht einen Höllenspaß und die Polizei hat gar nichts auszusetzen. Weil den kurzen Geraden zuverlässig immer nur Linkskurven folgen, bleibt auch der Auspuff dran. Bremsen? Ach, wird sowieso überschätzt.

Das Motorrad ist eine Speedwaymaschine mit 500-Kubik-Einzylinder-Viertakt-Eingangmotor, die bei 70 PS auf lediglich 77 Kilogramm abgeht wie Schmidts Katze: von Null auf Hundert in drei Sekunden. Profis fahren mit 40 um die Kurve und erreichen auf Geraden hundert Sachen. Und sie driften auf dem schwierigen Geläuf der Sandbahn mit durchdrehendem, oft fast quer gestelltem Hinterrad um die Kurven. Die 25 Speedway-Novizen, die sich am Samstag eingefunden haben, um sich auf ganz neues Terrain zu wagen, schaffen so etwas nur ansatzweise.

Der nette Mann mit dem Lachen im Gesicht ist Martin Smolinski, der sich 2014 als erster Deutscher für den Speedway-WM Grand Prix qualifiziert hat. Auf der Bahn des MSC Olching erklärt er allen Wagemutigen, wie man so eine Maschine steuert. "Teufelskerle unter sich", so hat der 30-jährige Profi die Veranstaltung genannt, mit der er sich bei seinen treuen Fans bedanken, aber auch die Lust an dieser Motorsportdiszplin wecken will. Der zweite Teufelskerl an diesem Tag hütet sich in seinem normalen Berufsalltag vor Drifts: Christian alias Donald Ganslmeier ist Steilwandfahrer, drehte erst jüngst auf der Oidn Wiesn seine halsbrecherischen Runden im Motodrom zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Hölle. Der Olchinger Nurlinkskurvenfahrer und der Münchner Nurgeradeausanderwandentlangfahrer haben sich vor zehn Jahren in der Motorsportszene kennen gelernt. "Besuch mich halt mal", hat Smolinski letztens beim Besuch auf der Oidn Wiesn gesagt. Und jetzt also ist Ganslmeier da. Er hat seine rote Enfield mitgebracht, die 85 Jahre eigentlich immer nur Bretter unter die dünnen Reifen genommen hat und auf der Sandbahn wirkt wie die Kuh auf dem Eis. "Das ist die älteste Dame heute", schwärmt Smolinski. Und korrigiert sich gleich: "mal abgesehen von meiner Oma, die heute auch zuschaut. Die ist 94." Mit seiner straßenbereiften, aber vertrauten Enfield ist Ganslmeier auf der Sandbahn sogar schneller unterwegs als später mit der auf Stollenreifen laufenden Speedwaymaschine. Ist auch besser, erst mal langsam zu machen, sagt Smolinski. Ein paar Minuten zuvor hat es einen Supermoto-Testfahrer ordentlich aufgestellt, weil der zu schnell zu viel wollte. Er landet in der dicken Polsterung der Kurve. Außer ein paar Schrammen an der Lederkombi passiert aber nichts.

An diesem Tag wird unter den Augen des tschechischen Jawa-Chefs Stanislav Diatka in Olching ganz nebenbei noch ein brandneues Modell vorgeführt. Werksfahrer Martin Smolinski zeigt mit einhändigen Wheelies und ein paar ordentlich schnellen Runden, was die neue Jawa 570 draufhat. In der Szene gibt es Hoffnungen, neben der 500er-Profiklasse eine weitere Klasse für ambitionierte Hobbysportler einzuführen, die solche nicht hochgezüchtete und damit im Unterhalt billigere Maschinen einsetzen. Einige der Dreikäsehochs, die heute noch auf Minimotorräder durch einen abgesteckten Slalomkurs knattern, würde das übermorgen sicher freuen.

© SZ vom 26.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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