Flüchtlinge aus den Westbalkan:Schneller abschieben

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Auch der Landkreis Freising soll auf Anordnung von Innenminister Herrmann Flüchtlinge aus dem Westbalkan ohne Bleiberecht melden. Viele sind es wohl nicht. Stattdessen sind Flüchtlinge aus anderen Ländern jetzt sehr besorgt

Von Christian Gschwendtner

Freising - In der Diskussion um eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erhöht die bayerische Staatsregierung den Druck. Erst in der vergangenen Woche forderte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) alle Landräte und Oberbürgermeister dazu auf, eine Liste mit den betroffenen Personen zusammenzustellen. Ein entsprechendes Gesuch ist auch im Landratsamt Freising eingegangen. Seit diesem Montag bemühen sich laut Pressesprecherin Eva Dörpinghaus die Beamten des dortigen Ausländeramt darum, Ausreisepflichtige zu erfassen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Bis spätestens Ende nächster Woche will man die genaue Zahl an das Innenministerium in München zurückmelden. Sie könnte jedoch geringer ausfallen als erwartet wird.

Hermanns Ankündigung, die "Taktzahl" der Abschiebungen erhöhen zu wollen, richtet sich vornehmlich gegen Flüchtlinge aus dem Westbalkan. Für diese Gruppe erwartet der CSU-Politiker in den kommenden Wochen einen steilen Anstieg der ablehnenden Bescheide. Für den Landkreis Freising dürfte sich diese Prognose nicht bewahrheiten. Von den momentan 1700 beherbergten Migranten stammen lediglich drei Prozent aus dem Kosovo und Albanien. Der Löwenanteil entfällt dagegen auf Nigeria, Afghanistan, Pakistan, Syrien und Eritrea. 76 Prozent der Flüchtlinge kommt aus diesen Ländern. Iraker und Iraner machen ein weiteres Zehntel aus.

Dementsprechend wenig wurde in jüngster Zeit im Landkreis abgeschoben. Bei der Freisinger Polizei heißt es, man habe in den vergangenen beiden Wochen lediglich in zwei Fällen Amtshilfe geleistet. "Es ist nicht so, dass Abschiebungen bei uns auf der Tagesordnung stehen", sagt Freisings stellvertretender Polizeichef Michael Ertl. Die Polizisten seiner Dienststelle holen die Betroffenen vor Ort ab und bringen sie bis zum Flughafen. Dort übernimmt die Bundespolizei. Laut Ertl hat es bei dieser Praxis bisher keine ernsthaften Zwischenfälle gegeben. Vereinzelt treffe man Personen nicht an ihrem gemeldeten Wohnsitz an. "Das sind aber schon die einzigen Ausreißer nach oben", so Ertl.

Bei den Flüchtlingen selbst haben Innenminister Hermanns Ankündigungen indes für viel Aufregung gesorgt. In vielen Unterkünften sei seit dem Wochenende der Teufel los, sagt der ehrenamtliche Flüchtlingsberater Reinhard Kastorff. Er betreut derzeit 36 Flüchtlinge in Moosburg und Umgebung, etwa die Hälfte von ihnen kommt aus Afghanistan. "Vor allem unter den Afghanen hat sich übers Wochenende das hartnäckige Gerücht verbreitet, dass ihnen allen bald die Abschiebung droht", sagt Kastorff.

Einer seiner Schützlinge - ein junger Afghane, der gerade eine Ausbildung als Systemgastronom in München absolviert - hat sich deshalb unverzüglich an Kastorff gewandt. Der betont dann immer gebetsmühlenartig, solange sich der junge Mann noch in einer Ausbildung befinde, solange sei nichts zu befürchten. Kastorff spricht deshalb von einer "Seelenmassage", die notwendig sei, um die Afghanen wieder zu beruhigen. So weit muss Heiner Barth, der Leiter der Flüchtlingsunterkunft in Au, im Moment nicht gehen. Der Großteil der afghanischen Flüchtlinge, die in seinen sechs Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind, wissen um das Bleiberecht. Sie standen jahrelang als Helfer und Dolmetscher im Dienste der Nato. In ihrem Heimatland werden sie deshalb verfolgt und mit dem Tod bedroht. Dass viele von ihnen keinen Pass haben, ist für Barth wenig überraschend. Der werde ihnen schließlich auf der Überfahrt nach Europa von den Schleusern abgenommen, erklärt er. Ganz allgemein wird ein fehlendes Ausweisdokument oftmals als Abschiebehindernis gewertet. Die Person ist dann vorübergehend geduldet. Doch auch mit Reisepass werden die afghanischen Flüchtlinge aus Au vermutlich nicht auf Innenminister Herrmanns Liste auftauchen.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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