Rathaus-Etat:Warum Münchens Haushalt implodiert ist

Kommunalpolitiker diskutieren über Flüchtlingspolitik

Er nimmt auch an den Gesprächen über mögliche Einsparungen teil: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.

(Foto: dpa)
  • Nach längerem Gezerre gibt es nun präzise Zahlen vom Kämmerer: Die Stadt wird 2016 wohl 809 Millionen Euro mehr ausgeben als sie einnimmt.
  • Alle Referate müssen nun zum Rapport. Darüber hinaus müssten alle Investitionen in den kommenden Jahren überprüft werden.
  • Wolowicz begründete die Implosion seines Haushalts mit "gravierenden Verschlechterungen" bei Einnahmen und Ausgaben.

Von Heiner Effern

Die Stadt München steht nach Jahren mit voller Kasse vor einer dauerhaften Finanzmisere. Mit dieser Botschaft trat Kämmerer Ernst Wolowicz (SPD) am Montag an die Öffentlichkeit. Schon im Jahr 2016 nähert sich das Loch im Haushalt bedrohlich der Milliardengrenze. Die Stadt wird nach derzeitigem Stand 809 Millionen Euro mehr ausgeben als sie einnimmt.

Für die Jahre danach sehe es noch "deutlich düsterer" aus, erklärte Wolowicz. München werde wohl nicht ohne neue Schulden auskommen. Im Rathaus wird unterdessen an einem Sparpaket von 200 Millionen Euro noch für das Jahr 2016 gebastelt. Alle Referate müssen zum Rapport. Darüber hinaus müssten alle Investitionen in den kommenden Jahren überprüft werden. Ausdrücklich schloss Wolowicz auch "geplante Kulturbauten" und Tunnel ein.

Das Finanzloch im Haushalt 2016 will der Kämmerer auf dreierlei Art stopfen: Die letzten 225 Millionen Euro aus der Kasse der Stadt sollen hineinfließen, etwa 200 Millionen Euro sollen die Referate einsparen und der Rest soll aus der halben Milliarde an kurzfristig verfügbaren Rücklagen bestritten werden. Nur mit dem Ersparten sei der Haushalt im Jahr 2016 noch zu retten, sagte Wolowicz. Die Reserve werde aber so weit geplündert, dass es "ein kleines Wunder" wäre, wenn die Stadt von 2017 an ohne neue Schulden auskäme.

Wolowicz reagiert mit seiner offensiven Botschaft auf die Kritik, die in den vergangenen zwei Wochen auf ihn einprasselte. Seit er Mitte Oktober den Haushalt 2016 überraschend zurückgezogen hat, steht er unter Erklärungsdruck. Die geplante Debatte im Stadtrat musste wegen dieser höchst ungewöhnlichen Notbremse gestrichen werden. Selbst einflussreiche SPD-Politiker zeigten sich irritiert darüber, dass in nur wenigen Wochen das Loch um 632 Millionen Euro angewachsen sein soll. Noch im Sommer rechnete die Kämmerei mit einem Minus von lediglich 177 Millionen Euro, das man mit dem Bestand in der Kasse hätte ausgleichen können.

Wolowicz begründete die Implosion seines Haushalts mit "gravierenden Verschlechterungen" bei Einnahmen und Ausgaben. Alleine im September hätten plötzlich 540 Millionen Euro gefehlt, weil unter anderem die Stadtwerke ihre Gewinnprognose von 200 Millionen Euro auf Null reduzierten und zusätzliche Personalausgaben für 110 Millionen Euro gemeldet worden seien. Dabei gesteht Wolowicz ein, gerade bei den Einnahmen von der Gewerbesteuer noch sehr optimistisch gerechnet zu haben. Er kalkuliert nur mit eine Reduzierung um 80 Millionen auf glatte 2,4 Milliarden Euro. "Der Oberbürgermeister ist da deutlich pessimistischer."

Um sein Dilemma all den Zweiflern zu erklären, legte Wolowicz einen Haushalt für 2016 mit Stand Ende Oktober vor und stellte dem die Zahlen aus dem ursprünglichen Entwurf vom Spätsommer gegenüber. Wegen der drastischen Veränderungen müsse noch vor der Behandlung des Haushalts im Stadtrat jedes Referat zum Spargespräch antreten, an dem auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) teilnehme, sagte Wolowicz. Das Referat für Bildung und Sport hatte seinen Termin am vergangenen Freitag und verließ die Sitzung mit 60 Millionen Euro weniger im Etat 2016. Wenn alle Termine so konstruktiv verliefen, werde man den Haushalt 2016 noch retten können, sagte Wolowicz. In so mancher Referats-Rechnung sei "noch Luft drin". Am Donnerstag ist das Sozialreferat dran.

109 Millionen Euro könnte man zudem kurzfristig für den Haushalt 2016 einplanen, wenn die Tilgung der städtischen Schulden im Jahr 2015 wieder auf die bisher übliche Summe von 60 Millionen Euro reduziert werde, sagte der Kämmerer. Das sei aber eine politische Entscheidung. Michael Mattar (FDP) lehnte dies umgehend ab. "Für uns ist es keine Option, den Schuldenabbau 2015 zu stoppen. Jetzt wird klar, worin das Motiv lag, den Nachtragshaushalt 2015 zu verschieben: die Stadtratsmehrheit aus CSU und SPD will den Weg des geringsten Widerstands gehen." Auch die angekündigten Schulden hält Mattar für falsch. "Dies zusammen kann nur als unseriöse Finanzpolitik bezeichnet werden. Die CSU muss sich an ihren Aussagen aus dem Wahlkampf messen lassen und darf keinesfalls diesen Weg mitgehen."

Doch mit punktuellen Eingriffen wird in den Jahren danach kein Haushalt mehr auszugleichen sein. Denn München stehe vor Problemen, die eine Haushaltskonsolidierung über Jahre hinweg nötig machten, sagt Wolowicz. Der Kämmerer belegt das mit zwei Zahlen. München wächst jedes Jahr um eine Kleinstadt an. Jedes Jahr zögen 25 000 neue Bürger in die Stadt. Dafür braucht es Schulen, Kitas, die Menschen bezögen Leistungen unterschiedlichster Art. Was im Gegenzug an zusätzlicher Einkommenssteuer hereinkommt, reicht dafür oft nicht aus. Schon jetzt stellt die Stadt so viel Personal neu ein, dass die Kosten davonlaufen. Vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Juli hätten die Stadträte alleine mehr als 2800 neue Stellen beschlossen.

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