Telefonverträge:Flüchtlinge in der Handy-Falle

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Teures Heimweh: Für Anrufe nach Senegal soll ein Mann mittlerweile 1400 Euro zahlen. (Foto: AP)
  • Asylbewerber werden durch Mittelsmänner, die sich als Helfer ausgeben, zum Abschluss von Telefonverträgen bewegt.
  • Schnell geraten die Flüchtlinge in die Schuldenfalle und werden von Inkassounternehmen bedrängt.
  • Caritas und Helferkreise vermitteln.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Die Caritas Dachau und Vertreter der Helferkreise sind besorgt um Flüchtlinge, die durch Handy-Verträge in die Schuldenfalle geraten. "Das ist ein sehr großes Problem", sagt Lena Wirthmüller von der Schuldnerberatung der Caritas. "Es unterschreiben Flüchtlinge Handy-Verträge, die nicht einmal unsere Schrift lesen können." Teilweise werden die Asylbewerber durch Mittelsmänner, die sich als Helfer ausgeben, auf perfide Weise zum Abschluss der Verträge bewegt. Die anfallenden Kosten können die Flüchtlinge nicht stemmen.

Als Beispiel führt Wirthmüller ein Ehepaar aus Osteuropa an, das inzwischen in einer Unterkunft im Landkreis Dachau lebt. Die Eheleute wollen anonym bleiben, "weil sie sich sehr schämen", sagt Wirthmüller. Sie hält deren Geschichte für exemplarisch. Demnach ist auf das Paar kurz nach der Ankunft in der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung ein freundlicher Dolmetscher zugekommen und hat Hilfe angeboten.

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Schon bald, so schildert es Wirthmüller, empfiehlt der Mann dem Ehepaar Handy-Verträge. Die Eheleute unterschreiben mehrere Papiere und bekommen jeweils ein Smartphone. Was sie nicht wissen: "Jedes Elternteil hat jeweils drei Verträge unterschrieben", sagt Wirthmüller. Die Schulden der Familie belaufen sich mittlerweile auf 7000 Euro.

Souleyman Sow spricht beim Vertragsabschluss kaum deutsch

"Es ist eine kriminelle Masche, die meines Wissens von Handy-Anbietern geduldet oder toleriert wird", sagt Wirthmüller. Die Caritas und die Ehrenamtlichen aus den Helferkreisen leisten bereits Aufklärungsarbeit bei den Asylbewerbern und raten dringend dazu, Prepaidkarten zu nutzen. In vielen Fällen aber komme die Warnung zu spät: "Die Menschen, die zu uns in den Landkreis kommen, haben oft schon Verträge abgeschlossen."

So auch Souleyman Sow, Flüchtling aus Senegal. Der 19-Jährige hat im Januar 2014 einen Mobilfunkvertrag beim Anbieter O2 unterzeichnet. Die monatliche Rate von 25 Euro für das 600 Euro teure Smartphone kann er schon stemmen, so denkt er. Was Sow beim Abschluss allerdings nicht realisiert: Der Vertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten und enthält zusätzlich eine monatliche Grundgebühr. Die vertraglichen Fixkosten lassen seinen Schuldenberg immer weiter anwachsen. Zudem werden für 24 Anrufe und 25 Kurznachrichten in seine afrikanische Heimat im ersten Monat 250 Euro berechnet, später kommen weitere 145 Euro hinzu.

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Inzwischen fordert ein Inkassounternehmen mehr als 1400 Euro von dem Mann. Souleyman Sow, der beim Vertragsabschluss kaum ein Wort deutsch sprach, sagt: "Ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Aber ich habe den Vertrag nicht mal halbwegs verstanden." Peter Barth vom Helferkreis Hebertshausen hat allein sieben derartige Fälle bearbeitet. "Betroffen sind vor allem Flüchtlinge, die gerade erst in Deutschland angekommen sind und die Sprache nicht beherrschen", sagt er.

Das Girokonto muss in ein "Pfändungsschutzkonto" umgewandelt werden

Die Versuche der Asylbewerber, durch juristischen Beistand oder den Gang an die Öffentlichkeit einen Schuldenerlass oder zumindest eine Reduzierung zu erreichen, sind bisher immer gescheitert, wie Schuldnerberaterin Wirthmüller sagt. In den meisten Fällen kaufen Inkassounternehmen den Mobilfunkanbietern die Schulden der Kunden sozusagen ab. Anschließend treiben sie mit aller Vehemenz die Gelder ein, inklusive Verfahrenskosten, Mahngebühren und Zinsen.

Peter Barth und auch Wirthmüller versuchen meist vergeblich, einen Teilerlass der Schulden zu erreichen. Doch das Entgegenkommen der Inkassounternehmen beschränkt sich in der Regel auf das Angebot einer Ratenzahlung, die jedoch so hoch angesetzt ist, dass ein Asylbewerber sie unmöglich stemmen kann. Der einzige Ausweg ist dann die Umwandlung eines Girokontos in ein "Pfändungsschutzkonto". Den gesetzlichen Regelungen zufolge darf der Inhaber des Pfändungsschutzkontos einen monatlichen Betrag von bis zu 1070 Euro von seinem Konto abheben, durch Überweisungen oder Lastschriften verbrauchen.

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"Für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist dieser Betrag absolut ausreichend", sagt Wirthmüller. Das Inkassounternehmen bekomme folglich nur dann noch Geld, wenn die monatlichen Geldeingänge 1070 Euro überschreiten. In Luft lösen sich die Schulden durch das Pfändungsschutzkonto nicht auf. "Sie bleiben erhalten, inklusive laufender Zinsen", erklärt Lena Wirthmüller.

Telefonica Deutschland will Fälle überprüfen

Die Telefonica Deutschland GmbH, zu der auch O2 zählt, lässt über einen Sprecher mitteilen, dass gemäß der Legitimationsrichtlinien des Unternehmens Flüchtlinge ausschließlich Prepaidkarten erwerben können; Bedingung für den Abschluss eines Vertrages sei die "Vorlage eines "Ausweises nebst Aufenthaltstitel".

Souleyman Sow konnte keines von beidem nachweisen, stattdessen legte er nach eigener Aussage ein Dokument vor, aus dem klar ersichtlich wird, dass er Asylbewerber ist. Der Vertrag kam dennoch zustande. Peter Barth fällt ein dementsprechend deutliches Urteil über die Händler: " Sie verführen junge Menschen mit Produkten, die diese nur durch Knebelverträge erwerben können." Die geschilderten Fälle, welche die Telefonica Deutschland GmbH betreffen, will das Unternehmen nun überprüfen.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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