Flüchtlingshelfer auf dem Balkan:Perspektivwechsel

Flüchtlinge

In Presevo stehen die Flüchtlinge, die aus Mazedonien und Griechenland gekommen sind, stundenlang an, um sich in Serbien registrieren zu lassen.

(Foto: Raphael Knipping)

Ein bayerischer JU-Vorsitzender hilft in Ungarn und Serbien Flüchtlingen. Das verändert seine Sichtweise auf das Leben und die Politik.

Von Erich C. Setzwein, Gröbenzell

"Ich glaube, die Eindrücke dieser Erlebnisse und Erfahrungen werden mich mein ganzes Leben begleiten. Die letzten Wochen würde ich als die prägendsten meines ganzen Lebens beschreiben. Mir ist bewusst geworden, dass zu viele Menschen zu Hause in Deutschland scheinbar in ihrem heilen Seifenblasenleben des Wohlbefindens und Reichtums leben. Über den Tellerrand schauen nur noch wenige und verschließen naiv ihre Augen vor Angelegenheiten, die sie sehr viel angehen."

Diese Sätze sagt ein 20-Jähriger. Er sagt sie nach vier Wochen in Ungarn und Serbien, wo er mit Freiwilligen der Aktion SOS Konvoi in Tag- und Nachtschichten Flüchtlinge auf der Balkanroute betreut. Es ist Sebastian Huber, daheim in Gröbenzell ist er der Vorsitzende der Jungen Union, derzeit im serbischen Presevo ist er ein übermüdeter Helfer. Ihm ist anzumerken, dass das tägliche Leid, das er dort auf den Straßen sieht, Spuren bei ihm hinterlässt. Körperlich, seelisch und auch in seinem politischen Denken.

Erst klappt das Studium nicht, dann ist der Job weg

Sebastian Huber wollte nach seinem Abitur auf der Berufsoberschule molekulare Biotechnologie an der Technischen Universität München studieren. Das klappte nicht gleich, also suchte er sich erst mal einen Job. Den bekam er in der Firma seines Vaters. Dort traf er auf einen 18 Jahre alten Lehrling, einen Flüchtling aus Syrien, der 2013 nach Deutschland gekommenen war. Die beiden verstanden sich auf Anhieb sehr gut, diskutierten über die Flucht, die Gefahr, in die sich die Flüchtlinge dabei begeben und über die Situation in Deutschland.

Die sah Huber aus der Position des CSU-Nachwuchspolitikers. Im April dieses Jahres war er zum Ortsvorsitzenden der JU gewählt worden, in einer Zeit, in der die Zahl der Flüchtlinge noch nicht die Dimension erreicht hatte wie nur wenige Monate später. Als aber dann immer mehr Flüchtlinge in den Landkreis Fürstenfeldbruck kamen, nahm Huber in Gröbenzell, wo laut Kontingent des Landkreises bis zu 140 Asylbewerber heuer noch Unterkunft finden sollen, Kontakt zum Asylhelferkreis auf. Wenige Tage später gab es Streit mit dem Vater, der ihn aus der Firma entließ.

In einer Lebenskrise

Rückschläge und Enttäuschungen können für junge Menschen in eine Lebenskrise führen. Sebastian Huber ging es ähnlich wie seinem Freund Raphael Knipping aus Eichenau. Der hatte erst bei einer Filmfirma angeheuert, dessen Chef begeistert von ihm war und ihn im Nachhinein sehr lobt. Auch Knipping war betroffen über die Flüchtlingskrise, setzte sich in den Kopf, den Flüchtlingen in Ungarn irgendwie zu helfen - und kündige seine Arbeitsstelle. Kurz darauf brachen die Freunde Richtung Wien auf.

Volunteers

Nicht mehr Schutz vor dem Wetter als Flüchtlinge auch haben die freiwilligen Helfer Raphael Knipping (links) und Sebastian Huber (rechts) in Serbien. Mit in ihrem improvisierten Zelt aus Plastikplanen sind zwei Flüchtlinge aus Afghanistan, die beim Übersetzen helfen.

(Foto: Raphael Knipping)

Der Zug der Hoffnung

Train of Hope, die Hilfsorganisation am Wiener Hauptbahnhof, war Ende September die erste Station für die Helfer aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck. Dort kamen sie in Kontakt mit SOS Konvoi und fuhren nach Ungarn, damals noch der Brennpunkt der Balkanroute. Diese Zusammenarbeit stellte sich später noch als durchaus hilfreich und praktisch heraus.

"Während unseres Aufenthalts wurde uns schnell klar, dass die dortigen Zustände in keinster Weise die europäischen Werte widerspiegeln", so Huber. So wurden die ersten 48 Stunden an dem Hotspot die schlimmsten, die er bis dahin erlebt hatte. Die Eindrücke gingen ihm nahe. Doch ähnlich wie bei einem Sanitäter beim Verkehrsunfall oder einem Soldaten nach der ersten Feinberührung, nimmt allmählich die Routine zu, das Erlebte wird hingenommen. In gewisser Weise, sagt Sebastian Huber im Interview, sei er auch aus Hilflosigkeit abgestumpft, weil er sich "erstaunlich schnell an katastrophale Anblicke gewöhnt" habe.

Keine Selbstzweifel aufkommen lassen

In der CSU, deren Vertreter in den vergangenen Wochen plärrend eine ordnende Hand in dem angeblichen Chaos forderten, gibt es aber auch moderate Stimmen und Stimmungen. Der 20 Jahre alte JU-Vorsitzende hält es für leichtfertig, sich über die Probleme der Flüchtlinge keine Gedanken zu machen und sich lieber von Ängsten zu leiten zu lassen. "Es ist immer leichter zu sagen, das schaffen wir nicht, das sind zu viele, wo sollen die alle hin, als mal zu akzeptieren, dass wir keine andere Wahl haben." Die Flüchtlinge kämen, egal auf welchen Wegen, sie würden keine Hindernisse kennen. Anders als sein Parteivorsitzender Horst Seehofer zollt Sebastian Huber Bundeskanzlerin Angela Merkel Respekt. Sie habe die Problematik anscheinend begriffen. "Es ist zu spät zu zweifeln, wir müssen endlich sagen: Wir schaffen das!"

Positiv denken

Integration, da ist sich Huber sicher, fange durch positives Denken und Zuversicht ab. Aber dies werde vielen erst bewusst, und da reflektiert der junge Mann sicher seine eigene Biografie, "wenn sie ihre Blase platzen lassen und sich mit der Realität auseinanderzusetzen". Seine Sichtweise, geprägt von den Schicksalen und schrecklichen Erlebnissen, hat sich völlig gedreht. Er sieht es jetzt so wie die Flüchtenden: Sie haben daheim keine Zukunftsperspektive und erhoffen sich von Deutschland bessere Bedingungen. Und Frieden. "Niemand verlässt seine Heimat freiwillig, um ein Leben in einer völlig fremden Kultur anzufangen. Dieser Gedanke ist die grundlegendste Änderung in meinem Denken."

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