Flüchtlinge als Patienten:Wie engagierte Ärzte erste Hilfe leisten

Migrant Kuapana from Congo receives a medical check-up from doctor Mathias Wendeborn, at a refugee camp set-up in the former German army base 'Bayernkaserne' in Munich

Refudocs-Gründer Mathias Wendeborn untersucht in der Bayernkaserne den sechsjährigen Joseph Kuapana aus dem Kongo.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)
  • Gesetzliche Einschränkungen, sprachliche Barrieren und bürokratische Hürden erschweren die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in München.
  • Die Lücken füllen Einrichtungen wie die Refudocs und andere engagierte Ärzte.
  • Seitdem tausende Flüchtlinge nach München kamen, wird dauernd nachjustiert - damit die Menschen besser versorgt werden können.

Von Günther Knoll

Die wirklichen Verletzungen spüren sie erst später. Erkältungen, Dehydrierung, Krätze, offene Wunden an den Füßen, das alles ist schnell zu heilen. Die Erlebnisse aber, die Menschen auf der Flucht und auch danach widerfahren, hinterlassen oft eine ganz andere Form der Traumatisierung. Deshalb ist eine menschenwürdige medizinische Versorgung für sie von größter Bedeutung.

Doch wie ist es um die gesundheitliche Situation von Flüchtlingen in München bestellt? Um diese Frage ging es bei einem Podiumsgespräch, zu dem die Münchner Volkshochschule gemeinsam mit dem SZ-Gesundheitsforum und dem städtischen Gesundheitsreferat eingeladen hatte.

"Ein gesunder Mensch hat saubere Klamotten und er kann seine Familie ernähren. Er ist glücklich und mutig." Dieses Zitat eines Flüchtlings beschreibt den Begriff Gesundheit deutlicher als jede medizinische Definition. Die Kulturpädagogin Sarah Bergh nutzte es als Moderatorin als Aufhänger für die Diskussion. Claudia Lohrenscheit, Professorin für Internationale Soziale Arbeit und Menschenrechte an der Hochschule Coburg, betonte in ihrem Einführungsreferat, dass Flüchtlinge in Deutschland nach der UN-Menschenrechtskonvention ein Recht auf medizinische und psychosoziale Hilfe hätten.

Zu viele bürokratische Hürden für schnelle Hilfe

Die Qualität dieser Hilfe stellt Lohrenscheit jedoch in Zweifel, vor allem deshalb, weil die Gesundheitsversorgung oft eingeschränkt sei und es viele bürokratische Hürden gebe. Unter anderem hätten Flüchtlinge dem Gesetz nach in den ersten 15 Monaten nur in akuten Fällen ein Recht auf Behandlung. Jedem Menschen müsse aber voller Zugang zum Recht auf Gesundheit ermöglicht werden, fordert Lohrenscheit.

In der Stadt München sieht es damit offenbar besser aus als anderswo. Andrea Mager-Tschira, Leiterin der Hauptabteilung Gesundheitsvorsorge im städtischen Gesundheitsreferat, spricht von einem eigenen "Münchner Standard". Der biete eine "gute Grundstruktur, um diese Herausforderung zu bewältigen". So gebe es nach dem Screening in der Erstaufnahme und der Erstuntersuchung zum Beispiel zusätzlich zur Regelversorgung eine spezielle Vorsorge durch eigens angestellte Krankenschwestern und Hebammen für die Flüchtlingsheime.

Die Stadt justiert dauernd nach

Außerdem versuche man, die "Zugangsbarrieren" im Bereich der Bürokratie abzubauen, was den Behandlungsschein angehe. Und die Unterscheidung zwischen akut und chronisch sei gesetzlich problematisch, doch in der Praxis gebe es da schon "Handlungsspielraum". Die Stadt habe schon länger mit vielen Flüchtlingen zu tun und es werde "ständig nachjustiert", um den Herausforderungen gerecht zu werden.

Auf Bezirks- und Landesebene musste offenbar erst "die Krise" kommen, damit etwas geschieht. Der Arzt Mathias Wendeborn berichtet von den Anfangsschwierigkeiten, als er und andere Mediziner in der großen Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Bayernkaserne Behandlungsmöglichkeiten einrichten wollten. Das "Konzept" der Regierung habe im Grunde aus einem Zimmer bestanden, das man ihm gezeigt habe. "Das wird noch geweißelt, dann können Sie anfangen!", habe man ihm bei der Begehung mit der Regierung von Oberbayern bedeutet. Die medizinische Versorgung der Flüchtlinge sei im Grunde ungelöst gewesen.

Mit der Krise kam der Wandel in den Köpfen

Er legte dann ein eigenes Konzept vor, anfangs habe er jedoch das Gefühl gehabt, dass das "wegignoriert" werden sollte. Doch "in der Krise hat sich das alles komplett gedreht", nicht nur die Stadt München, die sich von Beginn an "großartig benommen" habe, viele hätten dann bei der Realisierung des Projekts geholfen. Inzwischen sei man mit dem Wichtigsten ausgestattet, auch dank vieler Spenden, die man aber nach wie vor brauche. Weil sich kein Träger für die Einrichtung fand, gründete Wendeborn den Verein "Refudocs".

Der rechnet die Behandlungsstunden mit der Regierung ab und bezahlt das medizinische Personal. "Wir können da nicht auf die Dauer gratis arbeiten", macht der Arzt deutlich. Die Sprechstunden seien gut besucht, denn, so sagt Wendeborn, "die dritte Ebene ist nicht so einfach". Er meinte damit die Behandlung von Flüchtlingen, die dafür eigentlich erst einen Berechtigungsschein vom Sozialamt brauchen. So aber garantiere man eine schnelle "niedrigschwellige Versorgung", für die es manche Medikamente sogar an Ort und Stelle gebe.

Körper und Seele behandeln

Die Behandlung körperlicher Gebrechen sei dabei nicht das größte Problem, sagt Wendeborn. Wichtig sei bei den traumatisierten Patienten die Beziehung zum Arzt, und diese sei "sehr sprachabhängig": Man könne aber nicht einfach jeden, der eine bestimmte Sprache beherrsche, als Vermittler einschalten; wichtig sei, dass diese Person den kulturellen Hintergrund des Patienten verstehe. Diese Übersetzungsarbeit leistet zum Beispiel der Verein "Bayrisches Zentrum für transkulturelle Medizin", in dem auch ehemalige Asylbewerber als Sprach- und Kulturvermittler tätig sind.

Vor 20 Jahren habe man mit dieser Art von Mittlertätigkeit begonnen, sagt die Integrationspädagogin Mathilda Legitimus-Schleicher, inzwischen verfüge man über 200 Dolmetscher für 75 Sprachen. Der Bedarf gehe dabei weit über medizinische Gespräche hinaus. Die Dolmetscher seien auch bei der Arbeitsvermittlung, im Sozialamt oder bei der Wohnungssuche behilflich. In einem Programm, das "Mimi" (Migranten für Migranten) heißt, bildet der Verein Helfer für Gesundheitsaufklärung aus.

Es braucht Empathie und Sprachkenntnisse

Das wichtigste bei all diesen Tätigkeiten, erklärt Mathilda Legitimus-Schleicher, sei jedoch die Empathie, "die kann man an keiner Uni studieren". Auch Wendeborn spricht von der "warmherzigen" Atmosphäre, die er nicht nur bei den Refudocs, sondern oft im Umgang mit Flüchtlingen spüre. Und Andrea Mager-Tschira ergänzt, sie sei froh, sich "mitfreuen" zu dürfen darüber, wie die Münchner auf den Ansturm reagierten.

Heile Welt also in der Landeshauptstadt? Nein, sagt die Wissenschaftlerin Claudia Lohrenscheit. Abgesehen davon, dass es bei längeren Therapien Probleme gebe, würden die Gesetze für Flüchtlinge immer restriktiver gehandhabt. Es gebe außerdem eine zunehmende rassistische Diskriminierung. Auch die Politik mache zum Teil Stimmung gegen die Flüchtlinge. Selbst sonst vernünftige Leute griffen schon zu einer "Invasionsrhetorik", hat Mager-Tschira festgestellt. Umso wichtiger ist Unterstützung. Der Mediziner Wendeborn brachte es bei der Podiumsdiskussion auf den Punkt: "Wir brauchen noch viele gute Ideen, die Behörden denken nur in Verfahren."

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