Flüchtlingskrise:Die CSU droht Merkel aus Verzweiflung

Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Seehofer

Stürzen will Horst Seehofer die Kanzlerin nicht, aber eine Änderung ihrer Flüchtlingspolitik.

(Foto: dpa)

Seehofer ist nicht mehr Merkels "schnurrendes Kätzchen", aber er will auch nicht die Bundeskanzlerin stürzen. Warum die CSU der CDU trotzdem schwere Probleme macht.

Kommentar von Robert Roßmann

In jeder Partei gibt es Chiffren, bei denen sofort Erinnerungen wach werden. Die Grünen haben ihren Farbbeutel-Parteitag von 1999, die CDU den Bremer Putschparteitag von 1989. Und in der CSU gibt es "Kreuth 1976". Enttäuscht von Helmut Kohl und seiner knappen Niederlage gegen Helmut Schmidt, kündigte die CSU damals die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auf. Nach drei Wochen lenkte sie zwar ein. Aber Kreuth gilt seitdem als schwerste Krise in der gemeinsamen Geschichte von CDU und CSU.

Angesichts dessen lässt jetzt eine Einschätzung von Markus Söder aufhorchen. Das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien sei wegen der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin so schlecht wie seit 1976 nicht mehr, sagt Bayerns Finanzminister. Droht also wieder eine Spaltung der Union?

Am Samstag treffen sich Angela Merkel und Horst Seehofer im Kanzleramt, um ihren Richtungsstreit auszutragen. Mit Ultimaten und Drohungen hat der CSU-Chef die Atmosphäre ordentlich aufgeheizt. Er will noch nicht einmal dementieren, dass die CSU bei einem Scheitern des Treffens ihre Minister aus der Bundesregierung abzieht. Das wäre dann auch das Ende der Fraktionsgemeinschaft. Doch so weit dürfte es nicht kommen.

Merkel und Seehofer sind beide voneinander enttäuscht

Es ist zwar richtig, dass es seit vielen Jahren keine derart schweren Verwerfungen zwischen CDU und CSU mehr gegeben hat wie gerade in der Flüchtlingskrise. Es geht bei dem Streit nicht nur um Inhalte. Die CSU hält Merkels Kurs für gefährlich: Sie glaubt, dass die Kanzlerin die enormen Probleme an den Grenzen immer noch nicht richtig ernst nimmt. Bei dem Streit zwischen Merkel und Seehofer geht es aber auch um das persönliche Verhältnis der beiden Parteichefs. Und das macht die Lage für die Union gerade so gefährlich. Denn das Vertrauensverhältnis zwischen Merkel und Seehofer ist in der Flüchtlingskrise zerbrochen.

Die CDU-Chefin ist genervt davon, dass Seehofer nicht nur in der Sache streitet, sondern sie auch ständig persönlich angreift. Das verstößt ihrer Ansicht nach gegen den Komment zwischen den Schwesterparteien. Vor allem aber stört Merkel die Unberechenbarkeit Seehofers. Der CSU-Chef stellt sich regelmäßig taub, ist für Merkel unerreichbar. Gleichzeitig überrascht er in der Öffentlichkeit aber ständig mit neuen Attacken. Mit so einem kann jemand wie Merkel kaum vernünftig verhandeln, geschweige denn vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Seehofer wiederum fühlt sich nicht richtig ernst genommen. Er glaubt, Merkel denke im zehnten Jahr ihrer Kanzlerschaft nur noch global und vergesse dabei gerne die gewaltigen Probleme der Passauer, Wegscheider und anderer Bayern. Mit jedem Tag, an dem Merkel zu stur sei, um zuzugeben, dass die De-facto-Grenzöffnung ein Fehler war, mache sie die Lage in Deutschland noch schlimmer, findet Seehofer.

Merkel kann nicht nachjustieren, ohne an Autorität zu verlieren

Inzwischen sind die wechselseitigen Enttäuschungen so groß, dass sie die ohnehin gewaltigen Probleme weiter verschärfen. Merkel und Seehofer haben sich mit ihren gegensätzlichen Positionen derart exponiert, dass keine einfache Lösung mehr absehbar ist. Der CSU-Chef muss Angst haben, in München als Bettvorleger verspottet zu werden, wenn er nur mit einer Verständigung auf Transitzonen nach München zurückkommt. Und die Kanzlerin kann ihren Kurs nicht mehr öffentlich nachjustieren, ohne an Autorität zu verlieren.

Trotzdem ist die Lage nicht mit 1976 vergleichbar. Seehofer möchte eine Kursänderung in der Flüchtlingspolitik, aber keinesfalls die Kanzlerin stürzen. Auch der CSU-Chef weiß, wie stark seine Partei von der Popularität Merkels profitiert. Es ist noch nicht so lange her, dass er deshalb feierlich versprochen hatte, die CSU werde kein brüllender Löwe mehr sein, sondern Merkels "schnurrendes Kätzchen". Die Qualitäten Merkels als Staatsfrau stellt in der CSU niemand von Rang infrage. 1976 war das anders. Franz Josef Strauß war der Meinung, dass Kohl "total unfähig" sei. Vier Jahre später war er (statt Kohl) Kanzlerkandidat der Union. Seehofer hat keine solchen Ambitionen. Außerdem weiß auch er, dass ein Rückzug der CSU aus der großen Koalition die Einflussmöglichkeiten seiner Partei deutlich verkleinern würde. CDU und SPD haben auch ohne die CSU eine Mehrheit. Warum sollte Merkel mehr Rücksicht auf Bayerns Nöte mit den Flüchtlingen nehmen, wenn sie keine Rücksicht auf einen Koalitionspartner CSU mehr nehmen muss?

Bleibt die Frage, warum Seehofer den Streit mit Merkel dann derart auf die Spitze getrieben hat. Die ehrlichste Antwort darauf hat sein designierter Stellvertreter Manfred Weber gegeben: "Die Drohgebärden sind ein Hilfeschrei."

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