Prozess um Zwillinge:Wenn ein Pferdeschwanz das einzige Indiz ist

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Paul Pongratz (links) verließ nach dem Freispruch zusammen mit seinem Bruder Peter (rechts) zufrieden den Gerichtssaal. (Foto: C. Rost)
  • Hackerhaus-Wirt Paul Pongratz soll eine Tankstelle um Geld betrogen haben.
  • Auf einer Videoaufnahme ist ein Mann mit Pferdeschwanz zu sehen - der aber ebenso gut sein Zwillingsbruder Peter Pongratz sein könnte.
  • Vor Gericht starrten die Prozessbeteiligten angestrengt auf die Frisuren der beiden. Beweisen ließ sich aber nichts.

Von Christian Rost

Der Wirt des traditionsreichen Hackerhauses in der Sendlinger Straße in München mag nicht als Betrüger dastehen. Also wäscht und föhnt sich Paul Pongratz am Donnerstagmorgen seine schulterlangen blonden Haare - was später von immenser Bedeutung sein wird - und erscheint pünktlich um elf Uhr mit wehender Mähne am Münchner Amtsgericht.

Sein Zwillingsbruder Peter ist auch da. Er hat seine nur noch spärlich vorhandene Haartracht an diesem Tag zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden, auch das bemerkte die Vorsitzende Richterin Gertrud Schröder. Sie musste entscheiden, ob Paul Pongratz am 22. Juni dieses Jahres an einer Tankstelle einen Betrug begangen hat. Da hatte nämlich ein Mann mit Pferdeschwanz getankt und war dann ohne zu bezahlen davongefahren. War das Paul Pongratz? Oder Peter Pongratz? Oder ein ganz anderer Mann?

Wie die Staatsanwaltschaft auf Paul Pongratz kam

Die Staatsanwaltschaft sah sich das Überwachungsvideo der Agip-Station in der Josephspitalstraße an und kam zu dem Ergebnis, dass nur Paul Pongratz der Tankbetrüger sein konnte. Seine Gaststätten GmbH hatte das Auto schließlich bei Sixt gemietet. 22,55 Liter für 33,80 Euro soll der Wirt in den dunklen Opel eingefüllt haben und ohne zu bezahlen verschwunden sein. Die Ankläger schickten dem 50-Jährigen deshalb einen Strafbefehl über 1800 Euro. Pongratz akzeptierte das nicht und zog mit seinem Anwalt Sewarion Kirkitadse vor Gericht.

Paul Pongratz weiß, wie es bei der Münchner Justiz läuft. Zehn Jahre lang war er als Schöffe am Landgericht tätig. Und mehrfach musste er selbst schon auf die Anklagebank. Dabei ging es um angebliche Hygienemängel in seinem Wirtshaus. Ein andermal wurde er wegen Amtsanmaßung angeklagt, weil er Visitenkarten verteilt haben soll, auf denen er sich als "Richter am Landgericht" ausgegeben habe. "Ja", sagte Pongratz, "er sei mittlerweile schon ,Stammgast' bei Gericht".

Die bemerkenswert unterschiedlichen Frisuren hatten ihren Zweck erfüllt. (Foto: C. Rost)

"Unterschätzen Sie die Niederbayern nicht"

Den Vorwurf des Betruges aber wies er weit von sich. Verteidiger Kirkitadse sagte, sein Mandant sei bestimmt nicht so dumm, eine videoüberwachte Tankstelle zu betrügen. "Das weiß doch jeder, dass an den Tankstellen Kameras hängen, nur vielleicht im hintersten Niederbayern nicht", meinte der Anwalt.

Richterin Schröder mochte Kirkitadses abfällige Bemerkung über eine bayerische Volksgruppe nicht unkommentiert stehen lassen. "Unterschätzen Sie die Niederbayern nicht", riet sie dem Anwalt. Der überhörte das und argumentierte noch, dass Paul Pongratz in der ganzen Stadt bekannt sei und nicht auf die Idee käme, an einer Tankstelle ohne zu bezahlen davonzufahren. Möglicherweise, so der Anwalt weiter, habe ja der Zwillingsbruder des Wirts an jenem Tag getankt und dann vergessen, die Rechnung zu begleichen. "Betrügen wollte er sicher nicht."

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Das Überwachungsvideo der Tankstelle half dem Gericht nicht wirklich weiter. Darauf ist grobkörnig ein Mann mit Bart, Brille und Pferdeschwanz zu sehen. Dieser Mann sieht Paul Pongratz ähnlich - aber auch Peter Pongratz, wie es bei Zwillingen nun einmal häufig ist.

Da Peter Pongratz sich als Bruder des Angeklagten auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen konnte, blieb den Prozessbeteiligten nur eines: Sie starrten gebannt auf den winzigen Pferdeschwanz des wenig hilfreichen Zeugen. Dieser Pferdeschwanz war sichtlich mit Mühe gebunden worden, weil Peter Pongratz nicht mit einer auch nur annähernd so üppigen Haartracht gesegnet ist wie sein Bruder. Dafür trug er einen Bart und eine Brille hatte er sich auch aufgesetzt. Ob er immer so aussieht oder nur an diesem Tag? Richterin Schröder jedenfalls machte ein skeptisches Gesicht.

Einziges Indiz: Pferdeschwanz

Der Tankstellenpächter konnte nichts zur Klärung des Falles beitragen. Der 24-Jährige war am Tattag nicht in seiner Agip-Station anwesend, er konnte nur immer wieder auf das Video verweisen. Und so sehr sich der Staatsanwalt auch Mühe gab, ein Gesicht aus dem Film herauszuzoomen, am Ende konnte niemand eindeutig sagen, ob da der eine oder der andere Pongratz am Werk war.

Als einziges Indiz blieb letztlich nur der Pferdeschwanz. Ob er seine Haare auch manchmal zusammenbinde?, wollte die Vorsitzende von Paul Pongratz wissen. Der Angeklagte ließ wieder seinen Verteidiger reden. Und nach dessen Erklärung trage der Wirt nur dann einen Pferdeschwanz, wenn er seine Haare nicht gewaschen habe. Wie er es am Tattag gehalten hatte, ließ sich nun nicht mehr klären, weshalb der Staatsanwalt einen Freispruch für Pongratz forderte. Kirkitadse schloss sich dem Antrag begeistert an.

Richterin Schröder sprach Paul Pongratz frei, weil es sich nicht feststellen lasse, wer den Tankbetrug begangen habe. Das Urteil falle deshalb im Zweifel für den Angeklagten aus. Dass er zweifelsfrei nicht der Täter war, mochte Schröder dem Wirt nicht attestieren. Zu verräterisch wirkte seine zur Schau getragene Mähne, die förmlich nach einem Gummiband schrie. Schröder: "Der Pferdeschwanz ihres Bruder ist klein und dürftig. Der Mann an der Tankstelle trug einen buschigen Pferdeschwanz." Für eine Verurteilung reichte das aber nicht.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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