Finale der Rugby-WM:Tanz in den schwarzen Traum

South Africa v New Zealand - Semi Final: Rugby World Cup 2015

Ein Riese und sein Fan: All-Blacks-Spieler Sam Whitelock (r.) mit Neuseelands Premierminister John Key in der Umkleidekabine des Twickenham Stadium.

(Foto: Getty Images)

Wenn Neuseeland im Endspiel der Rugby-WM auf Australien trifft, geht es um den Stolz einer Nation. Für die All Blacks hat das Parlament sogar die Alkohol-Gesetze gelockert.

Von Thierry Backes

Da steht er in seinem Anzug und schüttelt dem Riesen die Hand. Ehrfürchtig blickt John Key hoch, er wirkt dabei nicht wie der Premierminister von Neuseeland, sondern wie ein Kind, das viele Jahre darauf gewartet hat, seinem Idol zu begegnen. Und Sam Whitelock, der Riese mit dem struppigen Bart? Muss sich bücken.

Whitelock, 2,02 Meter groß und 116 Kilogramm schwer, ist Zweite-Reihe-Stürmer bei den All Blacks, der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft. Dass sein Premier ihm noch in der Umkleidekabine des Twickenham-Stadions in London zu dem knappen Sieg über Südafrika im WM-Halbfinale gratuliert, das sagt viel aus über den Stellenwert der Mannschaft in der Heimat. Rugby ist hier Nationalsport, die sogennanten All Blacks das Aushängeschild. Am Samstag (17 Uhr, Eurosport) treffen sie im Finale auf Australien. Ausgerechnet auf Australien.

Von 154 Duellen gegen die Wallabies haben die All Blacks 105 gewonnen

Es ist, da sind sich die Experten einig, das Traumfinale. "Hätte ich mir vor der WM ein Endspiel wünschen können, dann wäre es genau dieses gewesen", sagt der ehemalige Rugby-Spieler Jan Lüdeke, der das Spiel bei Eurosport kommentieren wird. Die beiden Staaten am anderen Ende der Welt verbindet eine innige Feindschaft, zumindest im Sport. Die Neuseeländer gefallen sich in der Rolle des Underdogs, der die Großen ärgert. Das gilt beim Segeln, beim Rudern und beim Cricket. Nur beim Rugby ist das anders. Grundsätzlich.

Die All Blacks sind Titelverteidiger, seit dem Sieg bei der Heim-WM 2011 haben sie gerade mal drei Spiele verloren. Von den 154 direkten Duellen gegen den Nachbarn hat Neuseeland 105 gewonnen. Doch was hilft die Statistik aus mehr als hundert Jahren, wenn das eine entscheidende Spiel vor 82 000 Zuschauern in Twickenham verlorengeht?

In einem WM-Finale haben sich die All Blacks und die Australier, genannt die Wallabies, noch nie getroffen. Beide Teams können Geschichte schreiben. Der Sieger ist mit dem dritten WM-Triumph Rekordgewinner. Neuseeland wäre zudem die erste Nation, die den Titel erfolgreich verteidigt.

Es ist für den kontinentaleuropäischen Fußball-Fan nicht immer leicht, dem Sport zu folgen. Straftritte, Gassen, Gedränge, das alles wirkt sehr kompliziert. Aber genau so leicht ist es, sich von Rugby faszinieren zu lassen: vom Mut der Stürmer, sich ohne Polsterung mit aller Wucht in den Gegner stürzen. Von der Ruhe im Stadion, wenn sich ein Kicker darauf konzentriert, das Ei zwischen die Stangen zu setzen. Von der Kamera, die der Schiedsrichter vor der Brust trägt. Überhaupt von Finalschiedsrichter Nigel Owens, der ein grandioser Entertainer ist. Und natürlich vom Haka:

Wenn sich die All Blacks zum Haka aufstellen, jenem rituellen Maori-Tanz, der dem Gegner Angst einflößen soll (hier noch ein Video mit Übersetzung), dann geht es um nichts weniger als den Stolz eines ganzen Landes. Tausende Neuseeländer werden sich am Sonntagmorgen um fünf Uhr in den Sportsbars von Auckland, Wellington oder Christchurch treffen, gekleidet in jene schwarzen Trikots, die Adidas schon vor einem Jahr als "The blackest jersey ever" bewarb.

Das Parlament hat vor der WM die "alcohol trading rules" gelockert, damit die Wirte während der Spiele so früh am Tag Bier ausschenken dürfen. Die Brauerei Steinlager hat Pappbecher produziert für die, die doch lieber einen Kaffee trinken wollen. Pardon, einen "Steinlatte". Der New Zealand Herald, die größte Zeitung des Landes, hat ein schwarz-weißes Banner auf seiner Internetseite platziert: "Rugby. Nothing else matters." Wer ein bisschen reinliest, kann das Gefühl haben, dass in der Welt gerade nicht viel passiert. Außer bei der Rugby-WM.

Von Richie, der Made, und einem geheimen Plan der Australier

Der Herald echauffiert sich über eine Karikatur im australischen The Daily Telegraph, die den All-Blacks-Kapitän Richie McCaw als fiese Made zeigt, und über den "Krieg", den das Boulevardblatt anzetteln wolle. Er freut sich über einen Busfahrer im australischen Brisbane, der die All Blacks unterstützt, und berichtet von einem angeblichen Geheimplan der Australian Rugby Union, die All Blacks in der Öffentlichkeit nicht bei ihrem bedrohlichen Namen zu nennen, um diesen zu entmystifizieren. Was, übrigens, dem neuseeländischen Coach Steven Hansen ziemlich egal ist und den australischen Trainer Michael Cheika immerhin zum Lachen bringt.

Cheika sagt, sein Team brauche "eine extra gute Leistung, um überhaupt konkurrenzfähig zu sein. Wir müssen bereit sein, unsere Körper über 80 Minuten aufzuopfern." Fest steht derweil: Neuseeland hat die mit Abstand meisten Versuche und die meisten Punkte erzielt. Die All Blacks spielen das schnellste, das attraktivste Rugby der Welt. Bestes Beispiel: wie Julian "The Bus" Savea im Viertelfinale drei Franzosen aus dem Weg räumt, um den Ball ins Malfeld zu tragen (hier zu sehen ab Minute 1:40).

Finale der Rugby-WM: Spektakulär: der Haka der All Blacks vor dem Halbfinale gegen Südafrika.

Spektakulär: der Haka der All Blacks vor dem Halbfinale gegen Südafrika.

(Foto: AP)

Dan Carter soll nach der WM 1,5 Millionen Euro verdienen

Australien hat sich in der Vorrunde souverän gegen die großen Rugby-Nationen England und Wales durchgesetzt. Es hat in den Dritte-Reihe-Stürmern David Pocock und Michael Hooper zwei kluge Balleroberer im Team. In einem Sport, in dem die Drecksarbeit mehr zählt als die Schönspielerei, sind sie die eigentlichen Stars. Auf Pocock und Hooper werde es ankommen, sagt der Ex-Spieler Lüdeke: "Wenn die Wallabies es schaffen, das Spiel der All Blacks langsam zu machen, haben sie eine Chance."

Dazu müssen die Australier Straftritte gegen sich verhindern. Mit dem Kickspezialisten Dan Carter verfügt der Gegner über den, gemessen an seinen mehr als 1500 Punkten in Länderspielen, erfolgreichsten Rugbyspieler der Welt - der demnächst auch der bestbezahlte ist: Mit seinem Wechsel zum Pariser Verein Racing Metro nach der WM soll er 1,5 Millionen Euro pro Jahr verdienen.

Doch vorher wünscht sich Carter noch einen Händedruck vom Premierminister. John Key bleibt bis nach dem Finale in London. Er kennt die Mannschaft schon ganz gut. Er war dabei, als das WM-Team im August der Öffentlichkeit vorgestellt wurde - im neuseeländischen Parlament.

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