Migration:Die Botschaft der Banlieue

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Vor allem Autos und Mülleimer brannten während der Unruhen in franzözischen Trabantenstädten. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Krawalle in den französischen Trabantenstädten sollten für Deutschland eine Warnung sein: Man muss dringend vermeiden, dass die Flüchtlinge, die jetzt ins Land kommen, in armen Ghettos isoliert werden.

Kommentar von Stefan Ulrich

Frankreich hat es nicht geschafft. Vor zehn Jahren brannte die Banlieue. In den heruntergekommenen Trabantenstädten um Paris, Marseille oder Toulouse gingen die verlorenen Kinder der Republik auf die Barrikaden. Das übrige Land verfolgte fassungslos, wie sich meist aus Einwandererfamilien stammende Jugendliche Nacht für Nacht Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Sie griffen Schulen, Rathäuser und Polizeiwachen an, brannten Gebäude nieder und fackelten Tausende Autos ab. Erst als die Regierung im November 2005 den Ausnahmezustand verhängte, bekam sie die Lage wieder unter Kontrolle.

Heute fragen sich die Franzosen, was ihr Land aus diesem Aufstand gelernt hat. Deutschland aber hat die Chance, die gescheiterte Integration Hunderttausender Menschen arabischer oder afrikanischer Herkunft im Nachbarland zu analysieren. Um es dann vielleicht besser zu machen.

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Hochhaussiedlungen wurden zu Parallelgesellschaften

In Frankreich waren in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Hunderttausende Menschen aus Algerien, Marokko, Tunesien oder afrikanischen Staaten südlich der Sahara eingewandert, wegen der Dekolonialisierung und weil die boomende Wirtschaft Arbeitskräfte brauchte. Sie wurden in rasch hochgezogenen Wohnsilos weit außerhalb der Innenstädte untergebracht. Das war durchaus auch gut gemeint. Viel besser als Baracken waren die Wohnungen auf jeden Fall. Doch als in den Siebzigerjahren die Wirtschaft ein- und Massenarbeitslosigkeit ausbrach, verkamen die Hochhaussiedlungen, in denen es an Sportplätzen, Jugendtreffs oder guten Busverbindungen fehlte. Wer konnte, zog weg. Zurück blieben die Armen. Das waren oft Einwandererfamilien.

Hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogen und Versagen in der Schule prägten das Leben in Hunderten Trabantenstädten. Viele Menschen dort hatten das Gefühl, von der französischen Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen zu werden. Sie suchten nach einer anderen Identität und fanden sie etwa im Islam. In etlichen Hochhaussiedlungen entstanden Parallelgesellschaften. Das verstärkte die Isolation. Vor zehn Jahren schlug der Frust in Massengewalt um.

Seither haben die Regierungen in Paris viel getan. Sie gaben Milliarden aus, um Wohnblocks zu sanieren, Hochhäuser abzureißen und Anlagen mit mehr Luft und Grün zu bauen. Viele andere Probleme dieser Banlieues aber blieben: fehlende Jobs, zu wenig Geld für Schulen, soziale Verwahrlosung und das Gefühl, diskriminiert zu werden. Zahlreiche Jugendlichen aus Einwandererfamilien pfeifen auf die Republik. Und Manuel Valls, der Premierminister, spricht von "Ghettos" und "territorialer, sozialer und ethnischer Apartheid". Drastischer könnte er ein Scheitern von Integration kaum ausdrücken.

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Wenn Deutschland es schaffen will, sollte es also vermeiden, dass sich ähnliche Ghettos wie in Frankreich bilden, in denen arabische oder afrikanische Einwanderer abgekapselt leben. Es muss also schon jetzt darauf achten, dass es zu einer mixité kommt, wie die Franzosen sagen, zu einer gemischten Bevölkerungsstruktur, also einem Zusammenleben. Das französische Beispiel zeigt auch, wie schwer es ist, diese mixité nachträglich zu erreichen. Es gab im Nachbarland schon viele Anläufe dafür, und wenig Erfolg.

Dabei hat Frankreich noch den Vorteil, dass die meisten Einwanderer bereits gut Französisch sprachen. Die meisten Flüchtlinge, die derzeit in die Bundesrepublik kommen, sprechen dagegen kaum Deutsch. Umso mehr muss sich Deutschland darauf einstellen, dass die Integration zur Jahrhundertaufgabe wird.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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