Streit um Flüchtlinge:Ende der Alternativlosigkeit

  • Die Koalition aus CDU, CSU und SPD trifft sich an diesem Wochenende zum Flüchtlings-Krisengipfel.
  • Kritiker befürchten, der Streit könne das Vertrauen der Menschen in die Politik schwächen.
  • Doch das Gegenteil ist der Fall: Denn gerade das Gefühl der politischen Alternativlosigkeit machen viele Experten für Politikverdrossenheit verantwortlich.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Was ist die Lösung in der Flüchtlingskrise? Eine Obergrenze? Hotspots in Griechenland, Transitzonen in Deutschland? Müssen die anderen Staaten der Europäischen Union noch mehr machen? Bringt das alles überhaupt etwas? Oder sind Grenzen grundsätzlich passé? Und sind Flüchtlinge ein Problem? Oder eine Chance?

Die emotionale Diskussionen der vergangenen Tage, Wochen und Monate zeigen, dass es sehr unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was zu tun ist. Der Streit hat längst die Koalition erreicht, selbst die Schwesternparteien CDU und CSU sind sich uneins, was getan werden muss. Am morgigen Sonntag treffen sie sich mit der SPD zum Koalitionsgipfel. Es gibt nur ein Thema: Wie geht es weiter mit den Flüchtlingen?

Sinkt das Vertrauen in die Politik?

Gleichzeitig äußern viele Politiker die Befürchtung, der Streit - als dessen Auslöser viele CSU-Chef Horst Seehofer sehen - lasse das ohnehin schon miserable Vertrauen der Menschen in die Politik sinken und helfe so den Rechtspopulisten von Pegida und AfD. Claudia Roth von den Grünen sagte das so, CDU-Vize Armin Laschet und SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel ebenfalls.

Dabei ist der Streit in Wahrheit das Ende eines Mantras, in dem viele Experten einen wichtigen Grund für die grassierende Politikverdrossenheit sehen: Er ist das Ende der angeblichen Alternativlosigkeit in der Politik, wie sie zum Beispiel in der Eurokrise propagiert wurde. Wo Bürger das Gefühl haben, dass in der Politik nur eine einzige Meinung nach außen vertreten (und Meinungsverschiedenheiten im Hinterzimmer geräuschlos wegverhandelt werden), steigt eben nicht das Vertrauen in die Repräsentanten.

Sondern das Misstrauen. Bekommen "die da oben" überhaupt mit, was hier unten los ist? Wenn dann auch noch die Medien eine ähnliche Meinung vertreten wie die Politik, ist sie fertig, die Verschwörungstheorie: alles gesteuert, alles nur elitärer Machterhalt. Klar, Machterhalt spielt für Politiker eine Rolle, das stimmt schon.

Die Politik muss streiten

Doch oft geht es in Krisensituationen auch um eine andere Abwägung: Ist überhaupt genug Zeit, um lange zu streiten und zu verhandeln, Positionen abzugleichen, Kompromisse zu finden? Das kann nämlich in einer Demokratie ziemlich langwierig sein. In der Flüchtlingskrise gibt es in der Tat einige gute Argumente, warum diese Zeit fehlt. Denn die Lage ist an vielen Orten dramatisch. Doch gleichzeitig ist die Debatte um den zukünftigen Umgang mit Flüchtlingen auch eine um die zukünftige Identität Deutschlands.

Da ist es, wie SZ-Chefredakteur Kurt Kister in diesem Kommentar schreibt, die Aufgabe der Parteien, sie eben auch zu führen. Mit allen Differenzen und Risiken, die das mit sich bringt - das zeigt nicht nur die Diskussion in der Union, sondern zum Beispiel auch die Kontroverse innerhalb der Grünen um die Äußerungen von Tübingens Realo-Bürgermeister Boris Palmer. Sie sind wichtig, weil so die Öffentlichkeit versteht, wie es zu bestimmten Entscheidungen und Positionen kommt und warum.

Diskussionen als Aufforderung zur Beteiligung

Bestenfalls versteht der Teil der Bevölkerung, der sich nicht vollkommen vom System abgewandt hat, solche Debatten innerhalb der Politik als Aufforderung, sich ebenfalls Gedanken zu machen und den eigenen Standpunkt einzubringen. Denn das würde ja herzlich wenig Sinn haben, wenn die Position der Politik schon unverrückbar erscheinen würde - siehe oben. Mag sein, dass das mit dem Einbringen viele erst wieder lernen müssen, die sich allzu sehr daran gewöhnt haben, dass die Politik allein für die Suche nach Lösungen verantwortlich ist.

Das müssen vor allem diejenigen unterstützen, die sich jahrelang über nachlassendes politisches Interesse, dröge Wahlkämpfe und das diskursiv so öde Merkel-Deutschland beschwerten. Denn damit ist es jetzt erst einmal vorbei. Von Philosophen über Ökonomen bis hin zum bayerischen Roten Kreuz, der Flüchtlingshelferin vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales oder dem mit der Situation ringenden Bürgermeistern kleiner Gemeinden in ganz Deutschland sind da unterschiedliche Interessen und Standpunkte zu beobachten.

Die Abgrenzung nach rechts ist wichtig

Und eigentlich ist es auch logisch, dass eine eher im europäischen Kontext denkende Bundeskanzlerin zu anderen Schlüssen kommt als ein bayerischer Ministerpräsident, der sich um seine überforderten Landkreise im deutsch-österreichischen Grenzgebiet sorgt. Ist dieser Konflikt ein Problem für Merkel? Ja, klar. Sie ist aber eben keine auf Lebenszeit ernannte Königin und auch nicht Deutschlands oberste Verwaltungsbeamtin, sondern Politikerin. Wenn da die Macht mal in Gefahr ist, ist das kein Zeichen für eine Schwäche, sondern eine Stärke der Demokratie.

Es müssen auch nicht alle Demokraten auf der Suche nach einer Lösung einer Meinung sein, damit bloß nicht die Rechtsradikalen gewinnen, wie das zum Beispiel CDU-Vize Laschet fürchtet. Ganz im Gegenteil: Die Abgrenzung nach rechts ist ein wichtiger Teil dieser Diskussion, sie sollte bei allen Unterschieden eine Gemeinsamkeit markieren. Und da schließt sich der Kreis zur CSU. Ihre Repräsentanten neigen überdurchschnittlich oft dazu, diese Grenzen lustvoll und eindeutig zu überschreiten - wie zuletzt zum Beispiel in Zorneding, wo CSU-Funktionäre unter anderem einen Pfarrer rassistisch beleidigten.

Horst Seehofers derzeitiges Verhalten hingegen schreiben Beobachter, die nahe an ihm dran sind, eher der Verzweiflung als der Lust an der Grenzüberschreitung zu. Und Verzweiflung ist - bei allem Augenrollen über Seehofers Art, diese Verzweiflung zu äußern - angesichts der Situation an der bayerischen Grenze durchaus angebracht.

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