Psychotherapie:Schmutzige Geheimnisse von der Couch

In den Schubladen von Wissenschaftlern lagern Studien, die zeigen, dass Psychotherapeuten nicht immer so gut helfen wie gedacht.

Ein Kommentar von Christian Weber

Wer in fremden Schubladen wühlt, findet manchmal schmutzige Geheimnisse. Dummerweise kann es sich dabei um die Wahrheit handeln. Das erfuhr vor Kurzem ein Forscherteam um die klinische Psychologin Ellen Driessen von der Universität Amsterdam. Es war der Frage nachgegangen, was in jenen Studien über Psychotherapie bei Depression stand, die zwischen 1972 und 2008 von den amerikanischen National Institutes of Health finanziert wurden, aber nie in einer Publikation mündeten. Das war bei immerhin 13 von 55 Studien der Fall.

Die Forscher baten die damaligen Studienleiter um die Herausgabe der Resultate. Dann verrechneten sie publizierte und unpublizierte Daten in einer Metaanalyse. Das im Wissenschaftsmagazin Plos One veröffentlichte Ergebnis ist unerfreulich: Es besagt, dass Psychotherapie bei Depressionen weniger gut hilft als bislang gedacht.

Kontrollierte Studien wären notwendig, doch wie konstruiert man eine Placebo-Therapie?

Nun haben also auch die Psychotherapeuten ihren Schubladen-Skandal, wie man ihn bereits von Antidepressiva und anderen Medikamenten kennt: Wenn nur Studien mit positiven Ergebnissen publiziert, die schlechten Daten aber versteckt werden, dann schleicht sich ein sogenannter Publikationsbias in die Studienlage ein; die Wirkung wird überschätzt. So weit, so schlecht. Doch vielleicht hat die Angelegenheit auch was Gutes: Sie könnte dazu beitragen, die Psychotherapie etwas zu entzaubern.

Zwar ist der gute Ruf der Psychotherapie in Deutschland berechtigt. Trotz des aktuellen Rückschlags ist die prinzipielle Wirksamkeit vor allem der verhaltenstherapeutisch orientierten Verfahren gut belegt. In den vergangenen Jahrzehnten gab es deutlich mehr Fortschritte bei den Psychotherapien als bei den Psychopharmaka, wo nahezu Stillstand herrscht. Mit störungsspezifischen Ansätzen werden heute Patienten behandelt, die früher kaum als therapiefähig galten, etwa Borderliner.

Doch gerade weil Psychotherapie wirkt, muss sie so behandelt werden wie andere medizinische Interventionen auch. Therapeuten dürfen sich nicht als Künstler gerieren, die ihrer Intuition folgen, sondern sie müssen standardisierten Leitfäden folgen.

Therapien müssen ihre Wirksamkeit in randomisierten, kontrollierten Studien beweisen - was nicht einfach ist, denn wie konstruiert man etwa eine wirklich glaubhafte Placebo-Psychotherapie?

Vor allem aber muss die Vorstellung überwunden werden, Psychotherapie sei eine immer harmlose und sanfte Gesprächsmedizin. Erst langsam begreifen Ärzte und Therapeuten, dass sie Risiken und Nebenwirkungen hat, die von der Symptomverschlechterung bis im Extremfall zum Suizidversuch reichen können. Auch zu diesem Thema bräuchte man mehr Studien, auch sie sollten nicht in der Schublade landen.

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