Münchner Rugby-Derby:Loftys Lehren

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Der Neuseeländer Philip Stevenson ist als Entwicklungshelfer im europäischen Rugby unterwegs. Den Münchner RFC hat er zum aktuellen Zweitliga-Spitzenreiter geformt. Am Samstag ist Stadtderby

Von Alexander Mühlbach, München

Irgendwann lag Pablo Puyalto auf dem Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Gerade war der Spieler des Münchner Rugby Football Clubs (MRFC) beim Zweitliga-Derby gegen die Studentenstadt mit voller Wucht in die gegnerische Abwehr gerannt - wo er gleich zu Fall gebracht wurde. Eigentlich ein normaler Vorgang im Rugby, aber dieses Mal war rein gar nichts normal. Puyalto wurde ein paar Minuten später mit Hilfe einer Bierbank vom Spielfeld getragen. Das Knie gebrochen, der Meniskus kaputt, die Bänder gerissen. "Liebes Knie, sieht so aus, als hätten wir einen langen Weg vor uns", schrieb Puyalto später auf Facebook. Wobei sich immer noch die Frage stellt, ob Puyalto jemals wieder Rugby spielen kann.

Und dann war da Philip "Lofty" Stevenson, der Betreuer des MRFC, der unmittelbar nach diesem Spiel Mitte September lapidar sagte: "This is Rugby." So ist Rugby. "Man muss einfach damit umgehen können." Stevenson meinte das nicht auf eine zynische Art und Weise, sondern komplett ernst. In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard sagte Stevenson ein paar Tage später, dass Rugby auf dem höchsten Level ungefähr so sein kann wie ein Autounfall. "Wie ermuntere ich meine Spieler zwei oder drei Mal die Woche, einen Autounfall zu haben?", fragte er, bevor er gleich selbst die Antwort lieferte: "Die Spieler müssen das wollen."

Hiergeblieben! Am Samstag kann der Rugby-Zweitligist Studentenstadt verhindern, dass der Stadtrivale MRFC der Konkurrenz weiter enteilt. (Foto: Claus Schunk)

Man mag Stevenson nun für völlig verrückt halten, als jemand, der seine Leute auf dem Spielfeld gerne zum Äußersten treibt. Aber man muss dem Neuseeländer eine Weile zuhören, um ihn zu verstehen. Denn Stevenson hat sich nicht nur seit Jahren mit Rugby beschäftigt, er hat praktisch sein ganzes Leben diesem Sport gewidmet. Mit vier Jahren fing er in Eketahuna, 140 Kilometer nördlich der neuseeländischen Hauptstadt Wellington, damit an, Rugby zu spielen. Dort, wo das Wetter so beständig ist, dass man das ganze Jahr über spielen kann. Dort, wo die Menschen von klein auf den Sport im eigenen Garten spielen, oder am Strand.

Stevenson wurde Profispieler, verletzte sich, kam wieder zurück und verletzte sich wieder. "Im Rugby wirst du umgehauen und stehst wieder auf. Und haust dann selber einen anderen um", sagt Stevenson, "Scheitern, Erfolg, Scheitern. Rugby ist eine Lebensschule." Irgendwann lernte er selbst aus den ganzen Rückschlägen, konzentrierte sich nur noch darauf, andere zu trainieren und Trainer zu beraten. Alles im Auftrag des neuseeländischen Rugby-Verbandes, der die vergangenen zwei Weltmeisterschaften gewann und im Rugby das Maß aller Dinge ist. Lofty sagt, dass er das Talent hat, andere Leute zu ändern und zu verbessern, aber irgendwann reichte ihm das nicht mehr.

Philip "Lofty" Stevenson (Foto: ÖRV)

Er wollte den Rugby als Sport verändern, ihn auf ein höheres Entwicklungsniveau heben. Organisatorisch, spielerisch. Er ging nach Europa, dort wo der Sport in den meisten Ländern noch in Kinderschuhen steckt. Von 2007 bis 2009 war er Bundestrainer in Deutschland, danach fand er Aufträge in Frankreich, England, bevor er 2013 wieder Nationaltrainer wurde - in Österreich. Hier baut er den Sport von Beginn an auf, erarbeitet ein Jugendkonzept und versucht, die Nationalmannschaft voranzubringen - was bislang nur bedingt klappt. Zuletzt verloren die Männer 6:34 gegen Luxemburg. Auch deswegen vergleicht Stevenson seine Mission gerne mit dem Schicksal der jamaikanischen Bob-Mannschaft: Es wird eine Weile dauern, bis seine Arbeit Früchte trägt.

Stevenson ist das egal, er macht einfach weiter, es gibt ja noch so viel zu tun. Im vergangenen Jahr reformierte er die zweite deutsche Liga, mit mehr Spieltagen im Sommer, dafür einer sechsmonatigen Winterpause. Bisher mussten jedes Jahr mehrere Spiele wegen Schnees abgesagt werden, die zusätzlichen Planungs- und Reisekosten hatten manche Klubs beinahe in den finanziellen Ruin getrieben.

In München, beim MRFC, baut Stevenson seit Sommer 2014 derweil einen neuen Trainerstab auf, dem er gleich ein neues Taktiksystem beibringt. "Wir waren 15 Jahre lang auf demselben Level und waren mit unseren Strukturen unzufrieden", sagt der Vorsitzende des MRFC, Helmut Kraiger. "Wir brauchten einfach neuen Input von außen." Inzwischen macht sich das bezahlt. Nach sieben Spieltagen steht der MRFC auf Platz eins der zweiten Liga. Am Wochenende spielt er wieder im Derby gegen die Studentenstadt, den derzeitigen Dritten. Schon das Hinspiel war ein einziges Auf und Ab. 22:22 ging es aus. "Das wird auch dieses Mal eng", ahnt Kraiger. "Es wird darauf ankommen, wer die Spieler besser einstellt." Lofty Stevenson dürfte der richtige Mann dafür sein.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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