Asylpolitik:Bundesregierung und Flüchtlinge - planlos von Anfang an

Bundeskabinett

Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister de Maizière: Sie degradierte ihn und sagte zugleich, operativ werde er weiter die Hauptarbeit in der Flüchtlingsfrage leisten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Diese Regierung hat im Umgang mit den Asylsuchenden vom ersten Tag an Fehler gemacht. Dafür bekommt sie jetzt die Quittung.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Beim Blick auf die Regierung und ihr Management in der Flüchtlingskrise ist plötzlich viel vom Chaos die Rede. Beteiligte wie Beobachter reiben sich die Augen, weil sie sich derartige Widersprüche und Provokationen zwischen Kanzleramt und Bundesinnenministerium nicht vorstellen konnten.

Richtig ist, dass man solche Konflikte zwischen Peter Altmaier und Thomas de Maizière lange für unmöglich gehalten hätte. Falsch aber wäre es zu denken, das Chaos sei ganz plötzlich über alle hereingebrochen. Diese Regierung hat im Umgang mit den Flüchtlingen vom ersten Tag an Fehler gemacht. Und sie bekommt jetzt dafür die Quittung.

Schon während der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 war die Katastrophe von Lampedusa bekannt. Und allen, der Kanzlerin wie dem Vizekanzler, dem Außenminister wie dem Innenminister, musste klar sein, dass dieses Unglück der Vorbote einer noch größeren Wanderung sein würde. Nur reagieren wollten sie darauf nicht. Sie ignorierten Mahnungen der Experten; sie hielten anderes für wichtiger. Deshalb liefen sie verantwortungslos unvorbereitet in eine Flüchtlingswelle, die vor weit mehr als einem Jahr begann.

Die Regierung hätte im Herbst 2014 einen Plan fassen müssen

Nun hätte die Koalition spätestens im Herbst 2014 erkennen können, was auf sie zurollt. Doch statt auf Planung und Voraussicht setzte sie aufs Improvisieren. Sie beantwortete nicht die Kernfrage, was man wie mit den Flüchtlingen aus Syrien machen werde. Sie agierte von Tag zu Tag und schleppte sich von einer Entscheidung zur nächsten.

So wurden im November 2014, als die Antragszahlen in die Höhe schossen, die Einzelfallprüfungen durch den Beschluss ersetzt, alle Syrer erst mal unter dem Dach der Genfer Flüchtlingskonvention aufzunehmen. Nicht viel anders war es im Sommer 2015, als für Syrer die Dublin-Regeln faktisch außer Kraft gesetzt wurden. Die Regierung fasste pragmatische Not-Beschlüsse statt sich eine klare Linie zu geben. Dass der Innenminister jetzt beide Beschlüsse rückgängig macht, ist auf absurde Weise folgerichtig. Er bleibt im gleichen, falschen Krisenmodus.

Retten wollte sich Angela Merkel, als sie ihren Kanzleramtschef zum Flüchtlingskoordinator bestellte. Dabei unterlief ihr aber ein noch größerer Fehler. Sie degradierte ihren Innenminister und sagte zugleich, operativ werde dieser weiter die Hauptarbeit leisten.

Zurück blieb ein geschwächter Minister, der nicht mehr über alles informiert wird und mittlerweile verstärkt das tut, was er als Innenminister für richtig hält. Das ist hoch problematisch, weil das Innenministerium - geprägt vom Kampf gegen Verbrechen, Spione, Terroristen - ein Verhinderungsministerium ist, nicht eines, das Neues ermöglicht. Dies zu ändern, hat de Maizière nie versucht und wird es jetzt erst recht nicht mehr machen.

Angela Merkel kann an all dem scheitern. Und das vor allem, weil sie auf die Größe der Aufgabe zwar mit großem Herzen, aber nicht mit einem zu Ende gedachten Plan reagiert hat. Bis in die eigenen Reihen hat das viele verunsichert, die sich jetzt, Schritt für Schritt, absetzen.

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