NSU-Prozess:Zschäpe-Aussage verschiebt sich, weil ihr neuer Anwalt in den Urlaub fährt

NSU Prozess - Rechtsanwalt Borchert

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Hermann Borchert als Rechtsanwalt in München.

(Foto: dpa)
  • Beate Zschäpe wird erst nach dem dreiwöchigen Urlaub ihres neuen Verteidigers Hermann Borchert im NSU-Prozess aussagen.
  • Borchert ist ein Wahl-Anwalt. Noch ist unklar, wie die mittellose Zschäpe sich diesen überhaupt leisten kann.

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Erst in ein paar Wochen soll es nun so weit sein: Dann will Beate Zschäpe im NSU-Prozess zum ersten Mal ihre Sicht der Dinge preisgeben und eine Erklärung abgeben zu ihren 13 Jahren im Untergrund; dazu, ob sie wusste, was ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt trieben, die zehn Menschen ermordet haben sollen. Sie will sogar ausführlich die Fragen des Richters beantworten. Und an Zschäpes Seite wird dann ihr neuer Anwalt sitzen: Hermann Borchert. Der fährt jetzt erst einmal in Urlaub. Drei Wochen lang. Und alle müssen weiter gespannt auf Zschäpes Einlassung warten.

Der Urlaub sei längst gebucht gewesen, sagt Borchert; und stornieren will er ihn auch nicht. So soll Zschäpes Aussage frühestens am 8. Dezember verlesen werden. Denn Borchert möchte dabei sein an diesem wichtigen Tag. Was seine Mandantin sagt und wie sie es tut, kann entscheidend dafür sein, ob ihr eine lebenslange Haft und die besondere Schwere der Schuld drohen, oder ob sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe davonkommt. Die Anklage sieht in Zschäpe eine Mittäterin an allen Verbrechen des NSU.

Bisher hat Borchert die Begleitung von Beate Zschäpe seinem jungen Kollegen Mathias Grasel überlassen, der mit ihm in der gleichen Kanzlei arbeitet. So wie all die Tage bisher, seitdem sich Zschäpe von ihren drei Alt-Verteidigern ab- und den beiden neuen Anwälten Grasel und Borchert zugewandt hat. Grasel ist seit September vierter Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten im NSU-Prozess. Borchert ist als ihr Wahlverteidiger hinzugekommen.

Grasel hat noch wenig Berufserfahrung

Insgesamt hat Zschäpe nun fünf Anwälte. Er wolle seine Person nicht in den Vordergrund schieben, sagt Borchert. Dennoch ist er zu einer zentralen Figur des Verfahrens geworden. Sein Kollege Grasel ist erst Anfang 30 und hat noch wenig Berufserfahrung. Borchert könnte locker sein Vater sein; auf die Frage, wie alt er sei, antwortet er nur: "Irgendwann spricht man nicht mehr darüber." Der Ältere steht dem Jüngeren im NSU-Verfahren zur Seite. Seit anderthalb Jahren zieht Borchert wie eine graue Eminenz im Hintergrund die Fäden, aber erst in dieser Woche hat er angezeigt, dass er die Verteidigung Zschäpes übernimmt.

Und hat damit auch die Alt-Verteidiger überrascht. Die erhielten die Anzeige, dass er nun als offizieller Verteidiger Zschäpes auftritt, am Dienstag um 10.25 Uhr. Da hatten sie gerade - vermutlich vergeblich - wieder um ihre Entlassung gebeten. Die Begründung: Sie könnten Zschäpe nicht mehr ordentlich verteidigen, sie würden in die Strategie der neuen Anwälte nicht einbezogen. Sie fühlten sich nur noch als Fassade. Da haben sie schon recht: Denn Zschäpe redet nicht mehr mit ihnen und hat sich entschieden, gegen den Rat der Alt-Anwälte, doch noch auszusagen - nach mehr als 240 Tagen des Schweigens.

Richter Manfred Götzl ist für sein intensives Fragen bekannt

Wie diese Aussage genau geschehen wird, ist nur zu vermuten. Wahrscheinlich verlesen Grasel, Borchert oder beide eine lange, wohlgesetzte Erklärung, die Zschäpe so wenig wie möglich belastet. Und dann sei sie bereit, auf die Fragen des Gerichts zu antworten, haben die Anwälte angekündigt. Wie sie das tun wird, ist offen. Sie kann das entweder selbst tun, in eigenen Worten, oder es nach einer internen Beratung ihre Anwälte erledigen lassen. Das könnte sich hinziehen. Richter Manfred Götzl ist für sein intensives Fragen bekannt. Der Inhalt von Zschäpes Erklärung ist bisher völlig offen.

Genauso offen wie eine andere Frage: die nach dem Geld. Anders als die drei Alt-Verteidiger, mit denen sich Zschäpe überworfen hat, und auch anders als Grasel ist Hermann Borchert kein vom Staat bestellter Pflichtverteidiger, der aus Steuergeld bezahlt wird. Die Mandantin muss ihn deswegen selbst bezahlen. Ob und wie Zschäpe dies tut, ist unklar. Auf eine Anfrage der SZ dazu hat Borchert nicht reagiert.

Laut der Rechtsanwaltsgebührenordnung ist es Anwälten nicht erlaubt, unentgeltlich zu arbeiten. Doch wie sich Zschäpe, die mittellos ist und auch keine reiche Familie im Hintergrund hat, einen Wahlverteidiger leisten kann, ist rätselhaft. Auf sie kämen im Falle einer Verurteilung ohnehin die Gerichtskosten und vielfältige Ansprüche der Hinterbliebenen zu. Jegliches Geld, das Zschäpe zum Beispiel durch Buch-Honorare verdienen würde, könnte sie nicht behalten. Und also auch nicht an ihren Anwalt weitergeben.

Borchert hat mutmaßliche Betrüger und Gewalttäter vertreten

Zschäpe hat Borchert spätestens im Juli 2014 kennengelernt. Damals überraschte sie das Gericht mit dem Hinweis, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre drei ursprünglichen Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Die Richter verlangten eine schriftliche Begründung. In einer Verhandlungspause erklärte Zschäpe ihnen, dass sie sich nicht dazu in der Lage sehe, eine solche Erklärung ohne anwaltliche Beratung zu verfassen. Ob sie denn einen Anwalt benennen wolle, fragte ein Richter. - Ja, sie habe einen Namen in ihren Unterlagen in der Justizvollzugsanstalt. Noch am Nachmittag ließ sie aus dem Gefängnis den Namen mitteilen: Hermann Borchert.

Er ist seit mehr als 30 Jahren als Rechtsanwalt in München tätig, hat mutmaßliche Betrüger und Gewalttäter vertreten; ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung von Firmen. Borcherts Doktorarbeit behandelt zivilrechtliche Haftungsprobleme von Firmengeschäftsführern. Es ist dagegen nicht bekannt, dass Borchert viel Erfahrung in Terrorverfahren hätte. Im NSU-Prozess haben sich einige Verfahrensbeteiligte auch darüber gewundert, wie ungelenk Zschäpes Anträge, ihre Alt-Verteidiger loszuwerden, formuliert waren - und dass dies wirklich das Werk eines erfahrenen Anwalts gewesen soll.

Nun aber hat er die Erklärung Zschäpes seit Monaten eingefädelt. Bereits Ende August 2015 hat Borchert Richter Manfred Götzl kontaktiert und mitgeteilt, Zschäpe erwäge, sich in der Hauptverhandlung zu erklären. Anschließend wurde dies gemeinsam mit Borcherts Kollegen Grasel weiter sondiert, bis feststand: Zschäpe will tatsächlich eine Aussage machen. Ihre Alt-Anwälte wussten davon nichts.

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