Flüchtlinge:Politik in tiefschwarz

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Seit der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) über die Flüchtlingskrise poltert, ist er ein gefragter Gesprächspartner für die Medien - und redet dort für die Stammtische.

Von Sebastian Fischer

Martin Bayerstorfer kennt den Ghanaer nicht, über den er an einem November-Nachmittag in seinem Büro im Landratsamt spricht. Bayerstorfer weiß nicht, dass der Mann mit seiner Frau und zwei Kindern seit Jahren in Deutschland wohnt und täglich, um sich nützlich zu machen, mithilft, Flüchtlinge in dem Land willkommen zu heißen, das ihn abschieben möchte. Bayerstorfer weiß nur, dass der Mann nur noch hier ist, weil er keinen Pass hat. Das steht in der Akte, aus der er vorliest. Und deshalb findet der Erdinger CSU-Landrat, Kofi C. gehöre jetzt weggesperrt. "Klarer Fall: Freiheitsentzug."

Vielerorts poltern die Landräte in diesen Tagen in Richtung Berlin, dass es in der Flüchtlingskrise so nicht weitergehen kann. Bayerstorfer, 49, stellvertretender Vorsitzender der CSU in Oberbayern, ist einer der eifrigsten Polterer im Land.

Das ist in Erding keine große Überraschung. Bayerstorfer ist seit 13 Jahren Landrat, mit 24 war er in Hohenpolding Bayerns jüngster Bürgermeister, ein politischer Zögling der CSU der Neunzigerjahre. Die Haltung der Partei in der Flüchtlingsfrage hat sich seitdem verändert und ist erst in den vergangenen Monaten wieder verroht, Bayerstorfers Haltung ist seitdem eine Politik der Abschreckung.

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Im Streit mit dem Innenminister

Das war erstmals über die Landkreisgrenze hinweg zu hören, als Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor ein paar Wochen den Erdinger Warteraum Asyl besuchte, ein Kurzzeitlager für bis zu 5000 Flüchtlinge auf einem Fliegerhorst-Gelände. Der Innenminister war dabei, die Helfer zu loben, da schob sich Bayerstorfer in die Gesprächsrunde. Von wegen alles gut, alles ungeklärt, rief er: Infektionsschutz, Wasserleitungen, Bauverordnungen, Betreuung unbegleiteter Minderjähriger, Notfalltransporte - "auf Kosten der Kommune!" De Maizière fragte genervt: "Sollen wir alles wieder abreißen, oder was?"

Seitdem ist Bayerstorfer ein gefragter Gesprächspartner, die Anfragen häufen sich, sagt er. Am Donnerstag war er bei Maybrit Illner im ZDF, saß neben dem Grünen-Parteivorsitzenden Cem Özdemir und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Der Landrat, der die "Willkommenshysterie" kritisiert, so wurde er vorgestellt. Später erklärte er dem Fernsehpublikum seine Idee für Flüchtlinge, die nicht mit den Behörden kooperieren: Die gehörten ins Gefängnis.

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Es gibt für Bayerstorfers Worte zwei Lesarten. Die eine: Da ist ein Politiker, der seinen Landkreis an der Belastungsgrenze angelangt sieht, dem der Bund ungefragt ein Flüchtlingscamp vor die Tür baut und ihn in die Verantwortung zieht. Das kann er natürlich nicht einfach so hinnehmen.

Die andere: Nicht nur Erding, einer der finanzkräftigsten Landkreise Oberbayerns, ist an der Belastungsgrenze. Während Flüchtlinge einige Kilometer weiter an der Grenze kampieren, schimpft der Landrat über unzulässige Wasserleitungen in einem Warteraum, der eilig errichtet wurde, um das Chaos zu koordinieren. Und lässt dabei keinerlei Mitgefühl mit Flüchtlingen erkennen.

Nun wäre das trotzdem nichts weiter als eine von vielen ähnlichen kommunalpolitischen Debatten - würde Bayerstorfer nicht mit Stolz von sich behaupten, Grundsätze der Flüchtlingspolitik der CSU angestoßen zu haben. Bayerstorfer fühlt sich bestätigt: Er hat schon vor Monaten, als es das Gesetz noch nicht vorsah, lieber Sachleistungen an Flüchtlinge verteilt, einfach so, weil die mit ihrem Geld Stereoanlagen kaufen würden und keine Kleidung.

Was sie übrigens nicht tun, wie Maria Brand, eine Erdinger Flüchtlingshelferin, sagt. Wenn überhaupt vorhanden, seien Stereoanlagen Geschenke der Helfer. Doch dass Geldleistungen falsche Anreize schaffen würden, ist einer von Bayerstorfers Lieblingssätzen. Für das Fernsehpublikum am Donnerstag hatte er sich eine besonders schöne Anekdote zurechtgelegt: "Wenn ich vom Büro aus runterschaue, sehe ich, dass sie mit ihrem Geld ein Selfie machen, das sie ihren Freunden schicken."

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Er schaut lieber in die Akten

Als er in seinem aufgeräumten Büro sitzt, in das die Novembersonne scheint, ist von diesen Menschen vor dem Landratsamt nichts zu sehen. Er schaut lieber in die Akten vor sich auf dem Konferenztisch. Dort sieht er das Geschlechterverhältnis unter den Flüchtlingen und sagt süffisant: "Die jungen Burschen hauen ab, und viele Kinder und Frauen werden zurückgelassen. Ist es dann wirklich so schlimm dort, wenn ich den Angehörigen das zumute?" Dort in Syrien, meint er.

Bayerstorfer ist überzeugt, dass seine Rhetorik "die Stimmungslage wiedergibt". Das würden auch die Kommentare auf Facebook zeigen. Und damit liegt er wohl gar nicht so falsch. Wenn Bayerns Finanzminister und Vorzeigeschimpfer Markus Söder (CSU) über sich sagt, er könne Festzelt, dann kann Bayerstorfer Stammtisch. Er ist ein gelernter Landwirt, ein stolzer Bayer, witzig und charmant, wenn er will.

Ehrlichkeit, sagt Bayerstorfer, sei seine Motivation. "Ich möchte die Menschen im Landkreis nicht im Unklaren lassen." Die Kritik, dass sein Ton dumpfe Parolen aufgreife, schon sehr nach AfD klinge und nicht ganz so christlich oder sozial, hält er für dummes Zeug. Das Gegenteil sei der Fall: Die Menschen würden sich fragen, ob sie noch richtig informiert würden.

Wieso habe denn nichts von den Straftaten in den Flüchtlingsheimen in der Zeitung gestanden, von einer "Messerstecherei" und "mehrfachem versuchten Totschlag", will er wissen. Die Erdinger Polizei bestätigt die Zwischenfälle auf Anfrage - allerdings habe es sich einmal um einen Streit gehandelt, in dem sich zwei Männer mit Glasflaschen an Rücken und Hand verletzten. Im anderen Fall dauern die Ermittlungen an.

Der Landrat erfindet nichts, doch er garniert die Wahrheit mit den ihm passenden Zuspitzungen - so lautet auch der Vorwurf vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Bayerstorfer hatte gesagt, 69 unbegleitete Minderjährige, für die das Landratsamt zuständig sei, seien allein an einem Wochenende im Camp angekommen. Die Zahl stimmte. Nur das mit der Zuständigkeit des Landratsamtes überhaupt nicht, sagt Camp-Leiter Heiko Werner.

Bayerstorfer, der Landrat, der keine Flüchtlinge mag? Er selbst findet das Bild falsch. Immerhin habe er dezentrale Unterbringungen für die gut 1000 Asylbewerber im Landkreis gefunden, Asylsozialberatung eingeführt, sieben neue Stellen für die Bewältigung der Flüchtlingskrise geschaffen. Andererseits: Ein Bild, das ihn mit einem Flüchtling zeigt, gibt es nicht.

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Offener Brief der Ehrenamtlichen

Einmal besuchte er eine Containerunterkunft - und nutzte die Gelegenheit, um zu zeigen, dass die Flüchtlinge das Inventar ruinieren. Die ehrenamtlichen Helfer, die Bayerstorfer stets lobt, haben ihm neulich einen offenen Brief geschrieben: Er würde aus der Ferne fehlerhaft über die Flüchtlinge mutmaßen. Er sei ja noch nie da gewesen. Und es ist wohl kein Zufall, dass Erdings Bürgermeister Max Gotz (CSU) immer wieder zu Gelassenheit und Menschlichkeit mahnt. Als bräuchte es ein Gegengewicht zu Bayerstorfers Polterei.

Doch vielleicht ist das Bild vom erbarmungslosen Polterer ja wirklich ein Missverständnis. Im ZDF zeigte er sich eher wie ein Kümmerer, dem es halt ein bisschen wichtiger ist, seine Erdinger zu beruhigen, als die Probleme der Welt zu lösen. Natürlich will er den Warteraum nicht wieder abreißen, Flüchtlinge müssten untergebracht und versorgt werden, klar. "Ich bin ja nicht weltfremd", sagte er bei de Maizières Besuch in die Fernsehkameras - und entschuldigte sich. Er musste dringend weiter, zu einer Hochzeit.

Als Leiter einer unteren Staatsbehörde müsse er eben dafür sorgen, "dass Recht und Ordnung umgesetzt werden", sagt Bayerstorfer in seinem Büro. Bevor er sich verabschiedet, legt er die Akten, aus denen er eine Stunde lang zitiert hat, auf den Stapel zurück, steckt sein Handy ins Etui und verstaut es in der Ledertasche mit dem CSU-Aufkleber mit der Aufschrift "Bayern. Das Land". Ordnung muss sein.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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