Lewis Hamilton:Staffellauf mit Senna

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Die Hommage eines Großen an einen ganz Großen: Der Weltmeister gedenkt mit seinem Helm-Design der brasilianischen Formel-1-Legende. Und hofft, erstmals in Interlagos gewinnen zu können.

Von Elmar Brümmer, Interlagos/München

Senna, Senna, Senna. Immer, wenn der kleine Lewis von der Schule im Londoner Vorort Stevenage zurückkam, hat er vor den Hausaufgaben eine Videokassette mit Rennszenen von Ayrton Senna eingelegt. Das gab ihm den richtigen Drive, nicht bloß für Mathe und Englisch, sondern für die Kart-Stunden, die nachmittags noch anstanden. Muhammad Ali kam erst viel später auf die Vorbild-Liste Hamiltons, Senna, die brasilianische Formel-1-Legende, war schon immer da, er war die Inspiration. Und natürlich musste der eigene Helm in jenem der brasilianischen Fahne entliehenen Gelb sein, was aber vor allem für Vater Anthony Hamilton einen Vorteil hatte - so konnte er den Sohnemann im Pulk besser entdecken.

Mit den Verkehrsregeln hapert es in letzter Zeit etwas bei Lewis Hamilton, dem weiterhin aktuellen Weltmeister der Formel 1. In Texas die Vorfahrt mittels Kollision durchgesetzt, in Mexiko die Boxenstopporder erstmal ignoriert, Anfang der Woche in Monte Carlo einen privaten Auffahrunfall und beim Großen Preis von Brasilien in Interlagos an diesem Wochenende ignoriert der Mercedes-Werksfahrer die - ziemliche unsinnige - Regel, dass ein Fahrer im Verlauf der Saison sein Helmdesign nicht verändern darf. Als wenn man einen Hamilton im Silberpfeil nicht auch so erkennen würde. Aber beim vorletzten WM-Lauf ist es dem Champion ein besonderes Bedürfnis, seine Verbundenheit mit Ayrton Senna, dem Idol seiner Kindheit und dem Hero fast aller Brasilianer, zu dokumentieren. Er nutzt dabei die kleine Vokabel "grundlegend" im Veränderungs-Paragraphen des Reglements: "Von vorn sieht es aus wie immer." Nur die hintere Seite seines Helmes wird daher ins brasilianische Grün-Gelb getaucht, dazu klebt in Rot das stilisierte Senna-S auf dem Kopfschutz. Es ist die Hommage eines Großen an einen ganz Großen.

Nie konnte Hamilton bisher in Brasilien gewinnen: "Ich hoffe, dass ich das an diesem Wochenende endlich erledigen kann." (Foto: imago)

Senna brauchte acht Anläufe, Hamilton steht vor dem neunten

Senna/Hamilton, der Vergleich ist nicht neu, aber er ist immer aktuell. Gerade jetzt, gerade an diesem Wochenende, beim Großen Preis von Brasilien. Denn mit zunehmender Erfahrung nähert sich der 30 Jahre alte Brite dem Brasilianer, der nur 34 Jahre alt wurde, immer mehr an - in etwa so, wie Sebastian Vettel seinem Vorbild Michael Schumacher ähnlicher wird. Nach WM-Titeln sind die beiden gleichauf, nach Grand-Prix-Siegen führt inzwischen Hamilton (43:41), aber in einem entspricht der Brite seinem 1994 verunglückten Idol: Er tut sich schwer, den Großen Preis von Brasilien zu gewinnen. Senna brauchte dazu auch acht Anläufe, der Mercedes-Pilot steht morgen schon vor dem neunten Anlauf. Platz zwei in Interlagos 2014 war das bisher beste Resultat - die Buckelpiste oberhalb von Sao Paulo ist die einzige Strecke im WM-Kalender mit Ausnahme der Newcomer Österreich und Mexiko, auf der Hamilton bislang noch nie gewinnen konnte.

Also geht es doch noch um was für ihn. Und immer, wenn er etwas persönlich nimmt, ist er besonders motiviert: "Ausgerechnet dieses Rennen, das wollte ich immer schon gewinnen. Und es nervt mich, dass es bisher nie geklappt hat. Ich hoffe, dass ich das an diesem Wochenende endlich erledigen kann." Denn dahinter verbirgt sich ein Kindheitstraum(a): "Als kleiner Junge habe ich ein Grand-Prix-Videospiel gehabt, bei dem Interlagos immer die erste Rennstrecke der Saison war. Ich habe das Rennen nie gewonnen, und habe dann immer die Reset-Taste gedrückt, so dass ich mich nie auf einer anderen Piste bewegt habe."

Hamilton trägt den Anfangsbuchstaben seines brasilianischen Vorbilds Senna auf dem Helm. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Kaum mehr als zehn Kilometer trennen die echte Piste in Interlagos vom Morumbi-Friedhof, auf dem Senna nach dem schwarzen Wochenende von Imola bestattet worden ist, es herrschte damals so etwas wie Staatstrauer im motorsportverrückten Brasilien. "Dieses Rennen hier bedeutet mir auch so viel, weil die Verbindung mit Ayrton zu spüren ist, allein schon durch die Zuschauer."

"Wenn er noch unter uns wäre, würden wir Freunde sein"

Der Gedanke an das große Vorbild, an die Inspiration, als farbiges Londoner Vorstadtkind überhaupt den schier unerreichbaren Traum vom Rennfahrer zu träumen, führt zu einer Demut bei dem sonst so selbstverliebten Hamilton, der auch gern mal eine Illustration von "King Lewis" in den sozialen Medien postet: "Ich weiß, dass Ayrton noch viel mehr Rennen und Titel gewonnen hätte, wenn er nicht verunglückt wäre. Für mich fühlt sich meine Laufbahn an wie ein Staffellauf. Ich übernehme den Stab von ihm und trage ihn von nun an weiter - für uns beide." Er ist überzeugt: "Wenn er noch unter uns wäre, würden wir Freunde sein. Ich will Ayrton ja auch nicht schlagen, ich wollte immer nur das gleiche tun wie er. Dass das auch von den Resultaten her so ist, empfinde ich nur als Bonus."

Am allerliebsten aber hätte er - in der Hypothese - den Brasilianer gern als Teamkollegen, um sich direkt messen zu können. Aber würde das gut gehen können? Die beiden sind sich in vielem doch viel zu ähnlich: Intuition für alles, was mit Geschwindigkeit zu tun hat, Konzentration auf das Wesentliche in Rennen und Rennfahrerjob, extreme Kaltschnäuzigkeit und ein hoher Level an Grund-Aggressivität. Dazu eine gewisse Leichtigkeit - und vor allem der tiefe Glaube an Gott. "Ayrton stand für etwas, auch neben der Rennstrecke. Das hat mir schon immer imponiert", sagt Hamilton in Interlagos. Selbst bei den Nebenbeschäftigungen ist eine Parallele erkennbar: Senna war besessen vom Hubschrauberfliegen, Hamilton hat ein Faible für ferngesteuerte Autos - und für seinen roten Bombardier-Jet. Das zeigt grundsätzlich: Es geht immer um Bewegung, um Beherrschung, um den Selbstbeweis. Ausnahmerennfahrer müssen diesen Antrieb haben. Es sind Getriebene.

© SZ vom 15.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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