Oberfranken:Mutmaßliche Mutter der toten Babys festgenommen

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Großmutter, Mutter, Vater und sieben Kinder lebten in dem Haus, in dem die Babyleichen in Plastiktüten gewickelt waren. (Foto: Nicolas Armer/dpa)
  • Die Polizei hat eine 45-jährige Tatverdächtige festgenommen.
  • Ermittler haben im nordbayerischen Wallenfels eine achte Babyleiche gefunden. Die anderen sieben toten Säuglinge wurden bereits in der Nacht gefunden.
  • Die Leichen wurden inzwischen obduziert, ein Ergebnis wird aber erst in der kommenden Woche erwartet.

Von Katja Auer, Wallenfels

Es ist etwas, das doch immer nur anderswo passiert. Weit weg. Nicht in Wallenfels mit seinen knapp 3000 Einwohnern, einem Städtchen im Frankenwald ganz im Norden von Bayern. "In unserer kleinen Welt", wie es Bürgermeister Jens Korn formuliert. Aber genau dort, mitten im Ort, vor einem Haus mit schlichter grauer Fassade, stehen am Freitag die Polizeiautos, die Ü-Wagen der Fernsehsender, der Bus der Spurensicherung.

Sieben Kinderleichen hatte die Polizei am Donnerstag in dem Haus gefunden, wahrscheinlich, genau wollte sich Oberstaatsanwalt Martin Dippold zunächst nicht festlegen. In einem "allgemein schlechten Zustand" seien die Überreste der Säuglinge, die eine Bewohnerin des Hauses entdeckt hatte. Es könnten also auch mehr Kinder sein. Am Freitag finden die Ermittler dann tatsächlich eine weitere Leiche. Wann die acht Kinder gestorben sind und woran, wann sie geboren wurden und ob sie überhaupt gelebt haben, all das ist nicht klar. Die Leichen werden nun in der Rechtsmedizin in Erlangen untersucht. Ergebnisse sollen Anfang nächster Woche vorliegen.

Die Frau, die wohl die Mutter der Kinder ist, bleibt zunächst verschwunden. Die Polizei leitet eine Fahndung ein - dann finden Beamte sie am Freitagabend in einer Pension in Kronach. Kurz zuvor greift die Polizei einen 55 Jahre alten Mann am Bahnhof Kronach auf, der die mutmaßliche Mutter offenbar begleitet hatte. Beide werden zur Dienststelle gebracht. Die Frau nehmen die Beamten sofort fest, ihr Begleiter wird zunächst verhört - bis in die Nachtstunden hinein. In welchem Zusammenhang beide stehen, ob der 55-Jährige der Ehemann der Frau ist, können die Ermittler am Freitagabend noch nicht sagen. Bis vor ein paar Wochen soll die jetzt Festgenommene mit ihrem Mann, mehreren Kindern und der Großmutter in dem Haus gelebt haben, dann ist sie offenbar ausgezogen. Auch dazu äußert sich der Oberstaatsanwalt nicht. "Die persönlichen Verhältnisse könnten bei den Ermittlungen eine Rolle spielen", sagt er.

"Trauer um die Kinder, die nicht leben durften"

Aber die Wallenfelser erzählen. "Lauter nette Leute" seien das, sagt eine Nachbarin, und die 45-jährige Frau habe sich immer gut um ihre Kinder gekümmert. Sie soll als Verkäuferin gearbeitet und nebenbei im Freibad gejobbt haben. Sie brachte wohl zwei Kinder mit in die Beziehung, ihr Mann ebenso, zusammen haben sie noch drei bekommen. Wie so oft, wenn so etwas passiert, sind die Nachbarn fassungslos. Niemand hatte etwas geahnt, die einheimische Familie war gut integriert im Ort. Vor allem der Ehemann soll sich in Wallenfels engagiert haben, heißt es. Ob er der Vater der toten Kinder ist, ist ebenfalls noch unklar. Er soll "fix und fertig" gewesen sein, als die Polizei kam, erzählen die Nachbarn.

"Hier kennt jeder jeden", sagt Bürgermeister Korn. Sein Rathaus ist nur ein paar Schritte entfernt, genau wie die Kirche. Korn war mal Pressesprecher, er kann umgehen mit so etwas, auch wenn es ihm lieber wäre, wenn Wallenfels bekannt würde wegen der Flößerei. "Hier hilft auch jeder jedem", sagt der Bürgermeister, deswegen fragten sich jetzt viele, ob man etwas hätte tun können.

Der Frau helfen, das Drama verhindern. Trauer herrsche im Ort, "Trauer um die Kinder, die nicht leben durften". Am Sonntag ist Volkstrauertag, da muss Jens Korn eine Rede halten. "Da wird man nicht nur über die Weltkriege sprechen können", sagt er. Am Donnerstagabend hatte die Polizei den Bürgermeister angerufen, da war er gerade auf dem Weg zu einer Bürgerversammlung. Dann hat sich die Nachricht ohnehin schnell im Ort herumgesprochen.

Möglicherweise liegen die Leichen schon jahrelang in dem Haus

Was überhaupt passiert ist, steht noch nicht fest. Eine Bewohnerin verständigte am Donnerstag den Notarzt, als sie die Leichen entdeckt hatte. Der wiederum informierte die Polizei. Die Babys seien in Tücher gewickelt und in Plastiktüten verpackt gewesen, sagt eine Polizeisprecherin. In einem Zimmer der Wohnung seien sie gefunden worden, ob in Kisten versteckt oder anderweitig verborgen, dazu macht sie keine Angaben.

Möglicherweise liegen die Leichen schon jahrelang in dem Haus, es habe sich sicher um mehrere Geburten gehandelt, sagt Oberstaatsanwalt Dippold. Mehr als 15 Jahre soll die Familie dort gewohnt haben. Noch am Abend wurden die Überreste der Säuglinge abtransportiert. Die Kriminalpolizei Coburg bildete eine Ermittlungsgruppe "Schlossberg".

Im Fenster im Dachgeschoss klebt ein selbst gebastelter Schmetterling, Pflanzen stehen auf den Fensterbänken, unten gehen die weiß gekleideten Männer von der Spurensicherung ins Haus. Der Postbote steckt etwas in den Briefkasten. Als der Schulbus kommt, holen einige Eltern ihre Kinder ab. Der Bus hält genau gegenüber dem Haus, das vielleicht ein Tatort ist.

"Grausam ist das", sagt der Mann im Laden nebenan. Er kannte die Frau, die ganze Familie. Um die Oma macht er sich Sorgen, die habe es ohnehin nicht leicht gehabt.

Und jetzt das. Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass ein Gericht in Hof, 40 Kilometer entfernt, eine Mutter freigesprochen hat, deren zwei tote Kinder bei Bauarbeiten zufällig entdeckt worden waren. Mord war ihr nicht nachzuweisen und Totschlag bereits verjährt. Sie soll die Säuglinge in den Achtzigern geboren und nicht versorgt haben. Eine Mutter in Siegen (Nordrhein-Westfalen) wurde im Mai zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Sie hatte zwei Säuglinge getötet und in der Kühltruhe versteckt.

Erst am Mittwoch hat ein Mann einen ähnlich schrecklichen Fund im Raum Landshut gemacht. Im Kofferraum des Autos seiner Tochter entdeckte er eine Babyleiche. Die Ermittler gehen davon aus, dass die 22-Jährige ihre Schwangerschaft verheimlicht und den Säugling getötet hat. Acht tote Kinder, das hat die Polizeisprecherin in Oberfranken noch nicht erlebt. In Brandenburg waren 2005 neun Babyleichen entdeckt worden, vergraben in Kübeln und Eimern. Die Mutter hatte die sieben Mädchen und zwei Jungen nach der Geburt nicht versorgt, bis sie starben. Sie sagte später vor Gericht, sie habe sich über jedes einzelne Baby gefreut, aber sie habe Angst um ihre Ehe gehabt. Die Frau, die noch vier lebende Kinder hatte, wurde wegen Totschlags verurteilt. Vor Kurzem kam sie aus dem Gefängnis frei.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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