Kindergesundheit:Der große Check

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Ist die Entwicklung altersgerecht? Elisabeth Eder und Gesundheitsministerin Melanie Huml beobachten ein vierjähriges Mädchen beim Test. (Foto: Toni Heigl)

Gesundheitsministerin Melanie Huml will die Schuleingangsuntersuchung reformieren. Im Kindergarten Mariä Himmelfahrt erläutert sie, wie Entwicklungsdefizite früher erkannt und behoben werden sollen.

Von Anna Sophia Lang, Dachau

Ein wenig unwohl ist es Stephanie, Sarah, Ryan, Philipp und Theo schon. Während die Vierjährigen Sätze nachsprechen, Kreise zeichnen, Farben erkennen und Formen zuordnen, klicken um sie herum wie wild die Kameras. Ein Mikro hängt tief über ihren Köpfen, um jeden Satz einzufangen. Die Übungen, die sie machen, sollen zeigen, wie es um ihre Entwicklung bestellt ist: ob sie richtig sprechen und verstehen, Zusammenhänge herstellen können oder Verständnis für Zahlen und Verhältnisse haben. So sieht die Untersuchung aus, die Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) gerne verpflichtend für alle Vier- bis Fünfjährigen in Bayern einführen würde - natürlich ohne die vielen Kameras. Das Konzept nennt sich Gesundheits- und Entwicklungsscreenings im Kindergartenalter (Gesik). Das Ziel: Lern- und Entwicklungsdefizite früher als bisher erkennen und Kinder länger fördern. Ob es funktioniert, will die Ministerin mit einem gleichnamigen Pilotprojekt herausfinden. Am Freitag stellte sie es im Dachauer Kindergarten Mariä Himmelfahrt vor.

Ist das Kind bereit für die Schule?

Bisher gibt es in Bayern im Jahr vor der Einschulung eine verpflichtende Schuleingangsuntersuchung mit einem Screening zu Entwicklungsdefiziten. Sie ist vor allem dazu da herauszufinden, ob ein Kind bereit für die Schule ist. Daneben gibt es U-Untersuchungen, bei denen die allgemeine Gesundheit und Entwicklung der Kinder in bestimmten Lebensabschnitten geprüft wird. Auch sie sind in Bayern seit 2008 Pflicht. Studien zeigen jedoch, dass sie nicht bei allen Kindern vollständig sind: Die Teilnahme differiert je nach Migrationshintergrund, Schulbildung und Erwerbstätigkeit der Eltern. Der Sozialstatus wiederum, hat eine Elternbefragung des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) ergeben, hängt mit dem Vorkommen von Wort- und Satzbildungsstörungen beim Kind zusammen.

"Die U-Untersuchungen erreichen oft nicht die Kinder, die Förderung brauchen", sagte Uta Nennstiel-Ratzel, Leiterin des Bereichs Kindergesundheit am LGL, bei der Vorstellung der Daten. Die Schuleingangsuntersuchungen der vergangenen Jahre haben indes gezeigt, dass etwas mehr als ein Drittel der Kinder bei den Screenings auffällige Befunde hatte, die eine weitere ärztliche Begleitung und eventuelle Fördermaßnahmen nötig machen. Diese erfolgten allerdings nur bei einem Teil der Kinder.

Schuleingangsuntersuchung wird um ein Jahr vorgezogen

Zusammengenommen ergab sich aus diesen Erkenntnissen das Konzept für das Pilotprojekt Gesik: Die Schuleingangsuntersuchung wird um ein Jahr vorgezogen und deutlich ausgeweitet. Statt zwei werden im Pilotprojekt vier standardisierte Entwicklungsscreenings gemacht, die medizinische Vorgeschichte des Kindes wird zusätzlich mit einem Elternfragebogen erfasst. Bei auffälligem Befund oder wenn die Eltern es wünschen, folgt darauf eine Untersuchung durch einen Arzt des Gesundheitsamts. Bestätigt sich der Befund, berät der Arzt die Eltern zu Fördermöglichkeiten und untersucht das Kind im Jahr vor Schulbeginn erneut. Die Gesundheitsämter sollen dabei eng mit den entsprechenden Fachärzten, Frühförderstellen, Kindergärten und Schulen sowie, wenn nötig, Jugendhilfe und Erziehungsberatung zusammenarbeiten. So erhoffen sich die Initiatoren des Projekts, nicht nur alle Kinder in Bayern zu erreichen, sondern Entwicklungsdefizite so früh zu erkennen, dass noch genug Zeit zur Therapie bleibt.

Sorge vor Überforderung

Sorgen, dass man Kinder in einem jungen Alter überfordert und viel zu früh analysiert, machen sich Huml und Nennstiel-Ratzl nicht. Studien hätten gezeigt, dass das optimale Zeitfenster zur Förderung bestimmter Fähigkeiten im Alter von vier bis fünf Jahren liege. Außerdem, sagte Huml, gehe es bei Gesik nicht darum, Kinder früher "schulgerecht" zu machen, sondern ihnen mit früher Förderung individuell zu helfen. "Damit schaffen wir mehr Chancengleichheit." Würden Störungen etwa bei der Sprachentwicklung erst in der Schule festgestellt, frustriere man Eltern, Lehrer und vor allem Kinder. "Je später Förderung und Therapie beginnen, desto schwieriger und teurer werden sie", sagte Huml.

Auch Monika Baumgartner-Schneider, stellvertretende Abteilungsleiterin im Dachauer Gesundheitsamt, ist vom Nutzen der Gesik-Untersuchungen überzeugt. Gut 1400 Kinder aus dem Landkreis kommen in diesem Kindergartenjahr für die freiwillige Teilnahme am Pilotprojekt in Frage. Ihre Eltern werden in den kommenden Tagen angeschrieben und können dann entscheiden, ob sie mitmachen wollen. Auch die Landkreise Coburg, Main-Spessart und Passau sowie die Städte Augsburg und München machen mit. Je 10 000 Kinder sollen so über einen Zeitraum von drei Jahren untersucht werden. Der Freistaat fördert das Projekt mit zwei Millionen Euro. Verläuft es erfolgreich, muss das bayerische Kabinett entscheiden, wie es weitergeht. Dann könnte die Untersuchung für alle Kindergartenkinder verpflichtend werden.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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