Lebensversicherer:Unzufriedene Lebensversicherer

Lebensversicherer: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Jahrzehntelang verteidigten Anbieter Klassik-Policen. Das tut heute kaum einer mehr.

Von Herbert Fromme

Der Satz fällt fast nebenbei. Markus Faulhaber, Chef der Allianz Lebensversicherung, redet über die klassische deutsche Lebensversicherung. Das sind die Policen mit Garantiezins. Jahrzehntelang waren sie das Brot-und-Butter-Geschäft der Branche, immer wieder angegriffen von Verbraucherschützern wegen hoher Kosten, Intransparenz und rabiaten Verkaufsmethoden, immer wieder vehement verteidigt von den Versicherern. Mehr als 70 Millionen Verträge dieses Typs sind in Kraft, weit mehr als fondsgebundene Policen und reine Risikoabdeckungen. Ende 2014 hatten die 81,2 Millionen Deutschen 92,3 Millionen Lebensversicherungsverträge.

Und da verpasst der Leben-Chef des Marktführers dem Standardangebot, dem Klassiker, aus heiterem Himmel eine so kräftige Breitseite, dass mancher schon vom Todesstoß spricht. "Aus Kundensicht ist ein reines Klassik-Produkt nicht mehr sinnvoll, das sagen wir auch deutlich in der Beratung", sagt Faulhaber am 5. Oktober 2015 bei einer Pressekonferenz der Allianz. "Wegen zu hoher Garantiekosten halten wir es nicht mehr für die erste Wahl." Die Garantie koste 0,3 Prozentpunkte Rendite, die müsse der Kunde aufbringen.

Spätestens da ist klar: Die Lebensversicherung, wie die Deutschen sie kennen, ist in der Krise. Schon vorher hatten Generali, Talanx, Ergo und andere erklärt, die klassischen Policen gar nicht mehr oder nur in Bereichen wie der betrieblichen Altersversorgung anzubieten. Nur noch kleinere Anbieter halten am Klassiker fest.

Dabei sind die Umsatzzahlen der Lebensversicherer gar nicht schlecht. Satte 93,7 Milliarden Euro haben die Gesellschaften 2014 an Beiträgen eingenommen. Die Gesamtsumme lag um 3,1 Prozent über der des Vorjahres. 815 Milliarden Euro hatten sie Ende 2014 für ihre Kunden angelegt, 2,3 Prozent mehr als 2013.

Welche Krise denn, könnte man angesichts der Zahlen meinen. Doch die Chefs der großen Konzerne haben guten Grund zur Sorge. Ihr Problem mit den klassischen Verträgen: Hier trägt der Versicherer das Kapitalanlagerisiko. Von den Einzahlungen des Kunden werden Vertriebs- und Verwaltungskosten sowie die Prämie für den Risikoschutz im Todesfall abgezogen, meistens zwischen 10 Prozent und 20 Prozent der Einzahlungen. Auf das übrig bleibende Sparkapital von 80 Prozent oder 90 Prozent muss der Versicherer den für die gesamte Dauer des Vertrags festgelegten Garantiezins gutschreiben. Die Obergrenze für diese Garantie legt die Bundesregierung fest. Heute gibt es für neue Verträge höchstens 1,25 Prozent Garantie, die Bundesregierung prüft sogar, ob sie diese Obergrenze ganz abschafft.

Das Problem am heutigen System: Auch wenn der garantierte Zins nur 1,25 Prozent beträgt, müssen die Gesellschaften für diese über Jahrzehnte laufenden Zusagen an ihre Kunden hohe Summen an Eigenmitteln vorhalten. Das regeln die neuen Vorschriften für die Kapitalausstattung der Branche, die am 1. Januar 2016 in Kraft treten. Solvency II heißt das gesetzgeberische Monster. Es soll dafür sorgen, dass die Versicherer ausreichend Kapital für eingegangene Risiken vorhalten und im Krisenfall nicht vom Staat gerettet werden müssen.

Noch mehr Sorgen als das Neugeschäft bereiten die Altverträge

Die Folge: Die meisten Versicherer meiden, wo sie nur können, die Verträge, in denen sie eine Zinsgarantie geben. Stattdessen bieten Allianz, Ergo, Generali und Axa Policen an, bei denen die Gelder in Fonds investiert werden und die Kunden den größten Teil des Kapitalmarktrisikos tragen. Gehen die Kurse von Aktien oder Anleihen zurück, in denen die Beiträge investiert sind, sinkt auch die Rendite. Ihre Kosten haben die Versicherer schon vorher abgezogen.

Allerdings bieten die meisten von ihnen eine Kapitalerhaltungsgarantie - der Kunde bekommt mindestens so viel wie er eingezahlt hat. Aber auch die Garantie zahlen die Kunden durch Renditeminderung.

Die Versicherer argumentieren, dass die Kunden mit den neuen Verträgen höhere Renditechancen haben als mit den Klassikern und ihrer Zinsgarantie. Das mag stimmen - wahr ist aber auch, dass die Gesellschaften deutlich weniger Kapitalunterlegung brauchen und deshalb auf die alternativen Angebote setzen.

Ob die neuen Angebote wirklich ankommen, muss sich erst noch zeigen. Klar ist: Zurzeit boomt vor allem das Neugeschäft mit Einmalbeiträgen, bei denen die Kunden auf einen Schlag eine hohe Summe einzahlen. Vom Branchenumsatz 2014 stammten 29,3 Milliarden Euro oder fast ein Drittel aus Einmalbeiträgen. Kunden legen 100 000 Euro oder 500 000 Euro auf den Tisch, entweder um damit eine monatliche Rente zu finanzieren oder um das Geld nach zwei, drei Jahren durch Kündigung wieder abzuheben und zwischenzeitlich eine gute Rendite zu erzielen.

Billig sind die lebenslangen Renten nicht. Die Versicherer kalkulieren mit einer besonders hohen Lebenserwartung ihrer Privatrentner. Das reduziert die monatliche Rente. Wer ab 65 Jahre 1000 Euro im Monat garantiert haben will, muss mehr als 275 000 Euro auf den Tisch legen.

Noch mehr Sorgen als das Neugeschäft machen den Versicherern die Altverträge. Denn in den neunziger Jahren haben sie 3,5 Prozent oder 4 Prozent Zinsen garantiert - und für die noch laufenden Verträge gelten diese Garantien noch immer. Die Zahl der Kündigungen steht auf einem Rekordtief. Kein Wunder: Kaum jemand gibt eine garantierte Verzinsung von vier Prozent auf.

Die Versicherer müssen die hohen Garantien weiter bedienen, erhalten für 10-jährige Bundesanleihen heute aber weniger als ein Prozent Zinsen. Weil sie ihre Anlagen streuen und viele ältere Papiere mit höheren Zinsen im Bestand haben, können sie die Garantien noch zahlen. Aber jedes Jahr wird das Problem größer.

Experten erwarten deshalb eine baldige Marktkonsolidierung. Schon stehen vier von internationalen Investoren finanzierte Gesellschaften bereit, die auch in Deutschland Altbestände aufkaufen und abwickeln wollen. Das System ist in angelsächsischen Ländern bekannt, in Deutschland wird es noch misstrauisch beäugt. Aber es deutet sehr viel darauf hin, dass die vier demnächst gut zu tun bekommen - und Deutschland künftig deutlich weniger als die heute aktiven 87 Lebensversicherer haben wird.

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