Programmieren für Grundschüler:Bis der Propeller knattert

High Tech Classroom

Je früher Kinder die Technologie des Internets verstehen, desto besser können sie Informationen für sich nutzen.

(Foto: Mark Mulligan/dpa)

Sollen alle Kinder Programmieren lernen? Forscher, Lehrer und Kinder geben eine eindeutige Antwort.

Von Mirjam Hauck

Wie lassen sich bunte Plastikklötzchen zum Leben erwecken? In einem schmucklosen Containerbau in einer Dachauer Seitenstraße sitzen sechs Kinder zwischen sieben und elf Jahren um orangefarbene Schultische und bauen Legosteine zusammen - bis vor ihnen ein Flugzeug, ein Krokodil und ein Vogel steht. Doch noch tut sich nichts, bewegen sich die Figuren nicht, die ein Kabel mit Laptops auf den Tischen verbindet.

Das soll sich schnell ändern: " Dani, der Sensor reagiert nicht", ruft der elfjährige Max seinem Nebenmann zu. "Lass mal die Wiederholung weg", erwidert der Angesprochene "dann stockt der Motor nicht". Gemeinsam versuchen die beiden Jungs, den Propeller ihrer Maschine zum Laufen bringen. Und Knattern soll er auch.

Die Kinder verbringen einen Teil ihrer Herbstferien im MINT-Campus, einem Schülerforschungszentrum, das von einem gemeinnützigne Verein initiert und geleitet wird. Dort lernen sie mit Hilfe von Lego-Education-Kästen und der Medienpädagogin Verena Kratzer, wie man einfache Systeme programmiert. In Dachau wird zumindest in den Ferien und mithilfe des großen Engagements von Ehrenamtlichen das praktiziert, was an vielen Schulen und vor allem auch an Grundschulen noch ein Fremdwort ist: Informatik. Auch Kratzer spricht nicht so gerne von "Informatik und Programmieren". Es geht darum Probleme zu lösen, sagt sie. Das verstehen alle Kinder, auch die Kleinen.

360°: Digitalisierung der Kindheit

Schon die Kleinsten wischen auf Tablets, die Größeren können sich ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. Ihre Kindheit verläuft ganz anders als die ihrer Eltern, aber muss das schlecht sein? Bietet nicht gerade der frühe Umgang mit neuen Medien auch Chancen? Wie Eltern ihren Nachwuchs auf dem Weg in die interaktive Welt begleiten, was sie selbst dabei lernen können - ein Schwerpunkt.

Dafür schieben sie mit der Maus am Laptop virtuelle Puzzlesteine aneinander. Auf ihnen stehen Zahlen von eins bis 20 und die Buchstaben A, B und C. Die virtuellen Puzzlesteine lassen sich aneinanderhängen und ineinander verschachteln, entsprechend der Reihenfolge, in der später Befehle ausgeführt werden sollen. Ein Stein mit der Ziffer 13 lässt das Flugzeug von Dani und Max schnarchen. Mit viel Eifer probieren die Jungen alle Geräusche und Funktionen aus, bis sie das passende Geräusch gefunden haben.

Smartphones und Tablets sind selbstverständlich

In Bayern und vielen anderen Bundesländern sind es vor allem die außerschulischen Initiativen oder Bildungs-Start-ups wie der MINT-Campus, Fablab oder die Jungen Tüftler, die Kinder und Jugendliche für technische Themen begeistern wollen. Im Lehrplan für Grundschulen findet sich zu diesem Thema in den meisten Bundesländern: nichts. Schulen und Kultusministerien orientieren sich hier eher an der Meinung von Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes. Der hat einmal gesagt, Schüler müssten ja auch nicht wissen, wie eine Schreibmaschine funktioniert, Hauptsache, sie können sie bedienen.

In Nordrhein-Westfalen ist man bereits einen Schritt weiter. Unter der Leitung der RWTH Aachen hat das Kultusministerium ein Projekt initiiert, das einen Informatiklehrplan für Grundschulen entwickelt und an einzelnen Modellschulen in Paderborn, Wuppertal und Aachen bereits umsetzt. "Kinder wachsen heute ganz selbstverständlich mit Smartphones und Tablets auf", sagt Nadine Bergner, die an der RWTH Aachen zu Lerntechniken der Informatik forscht und lehrt. Aber sie bedienen zu können, reicht nicht, um unsere zunehmend digitale Welt zu verstehen", Informatische Systeme wie Facebook, Whatsapp oder Online-Banking gehören zum Alltag von Eltern und Kindern. "Wer den Umgang damit wirklich beherrschen will, muss verstehen, wohin er seine Daten gibt, dass das Internet eben nicht auf dem Computer ist und auch wie Fehler, also Übersetzungsfehler von der realen in die digitale Welt entstehen", erklärt die promovierte Gymnasiallehrerin. "Informatik-Unterricht ist eben mehr, als den Kindern Bürosoftware-Programme wie Word oder Powerpoint beizubringen."

Das Ziel des frühen Unterrichts sei aber nicht, dass aus jedem Schüler ein Software-Entwickler werde. Vielmehr sollen die Kinder ein Grundverständnis entwickeln, was Informatik ist und kann: Informationen berechnen, verteilen und speichern.

Große Vorteile für Mädchen

Der Unterricht in der Grundschule hat zudem für Bergner einen ganz entscheidenden Vorteil: Grundschülerinnen hätten noch keine Berührungsängste und Vorurteile. "In Kursen ab der 6. Klasse trauen sich Mädchen bei Mathe oder Informatik nicht mehr das Gleiche zu. Oft denken sie, das sei nichts für sie." Und Nadine Bergner denkt auch über das Schulalter hinaus: "Wer nicht möchte, dass nur zehn Prozent der Informatik-Studierenden Frauen sind oder der Fachkräftemangel noch schlimmer wird, der muss bereits in der Grundschule ansetzen."

Wie sehr sich alle Kinder fürs Programmieren begeistern können, bestätigt auch Sebastian Kirch, der an der Werner-Richard-Schule in Herdecke unterrichtet. Er leitet eine Arbeitsgemeinschaft (AG), in der Dritt- und Viertklässler mit den Lego-Education-Kästen erste Programmiererfahrungen machen können. "Die Kinder sind Feuer und Flamme, egal ob Mädchen oder Junge. Wir hatten so viele Interessenten, dass wir die Plätze schließlich verlosen mussten, " sagt der 31-Jährige. Besonders wichtig findet Kirch, dass die Kinder immer in Zweiergruppen zusammenarbeiten müssen. "Da lernen sie Teamarbeit, sie helfen und unterstützen sich gegenseitig."

Angst der Eltern, dass die Kinder "nur" spielen

Mehr Unterstützung wünscht sich der junge Lehrer allerdings von den Eltern. Die Legokästen kommen manchmal auch im regulären, jahrgangsübergreifenden Unterricht zum Einsatz - wenn die Kinder ihr Pensum geschafft haben. "Viele Eltern haben aber Angst, dass die Kinder mit den Legosteinen einfach nur spielen würden und sie deshalb den Anschluss verlieren würden." Kirch findet, dass das Gegenteil der Fall ist. Zum einen gehöre auch noch das Spiel in die Grundschule und zum anderen werde gerade durch den spielerischen Umgang die Phantasie geweckt, um auf kreative Weise Probleme zu lösen.

Nadine Bergner hat ganz andere Erfahrungen mit Eltern gemacht. "Mehrheitlich sind sie sehr froh, wenn die Schule es ihnen abnimmt, den Kinder die Funktionsweise des Internets zu erklären, wie Roboter oder auch Verschlüsselungstechniken arbeiten." In den Modellschulen sieht der Lehrplan drei Module aus drei Doppelstunden vor. Natürlich gebe es da die Sorge, dass deshalb andere Inhalte unter den Tisch fielen. Zeigten die Kinder aber ihren Eltern, dass sie eine App programmiert haben, überwiege bei allen der Stolz. So zeige sich, dass Kinder die digitale Welt aktiv gestalten und ihre eigene Kompetenz beweisen können. Und dann werde auch klar, dass die oft als unverständlich und erratisch geltenden Algorithmen nichts anderes als von Menschen geschriebene Befehle an Maschinen seien.

Auch beim MINT-Campus in Dachau freuen sich Dani und Max über ihre ersten Erfolge beim Programmieren. Alles hat geklappt, die Kinder haben ihre kleinen Legofiguren so programmiert, das sie das tun, was sie tun sollen. Der Propeller rattert und dreht sich, das Krokodil reißt sein Maul auf und das Vögelchen zwitschert.

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