Nachbarschaft:Gut getroffen

München: Report 'Soziale Ungleichheit' - Ackermannbogen

Die Bewohner am Münchner Ackermannbogen nutzen die Gemeinschaftsräume für Kurse, Versammlungen oder kulturelle Veranstaltungen.

(Foto: Johannes Simon)

In Gemeinschaftsräumen können Mieter zusammen kochen, spielen, Kurse besuchen oder einfach nur ins Gespräch kommen. Von der guten Nachbarschaft profitieren auch die Vermieter.

Von Joachim Göres

Hannelore Richter steht am Herd und bereitet das Mittagessen vor. Für sich alleine hätte die Rentnerin dazu oft keine Lust, aber sie hat ein paar Freundinnen, mit denen sie sich regelmäßig im Wohncafé zum Essen verabredet. Dort können die Mieter der Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover kostenlos die Küche nutzen und sich auch sonst in dem Gemeinschaftsraum verabreden. "Ich koche gerne für andere und habe so etwas zu tun. Außerdem kommt man hier schnell mit anderen Nachbarn ins Gespräch", erzählt Richter. Die Bewohnerin ist froh, dass es so eine Einrichtung gibt.

Mietertreffs bieten viele Wohnungsgesellschaften in Großstädten an. Einige Projekte wurden kürzlich auf der Tagung "Quartiersentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe" der Evangelischen Akademie Loccum vorgestellt. Bei der Wohnungsgesellschaft Kleefeld-Buchholz (WKB), die in Hannover 4200 Wohnungen vermietet, gab es 2005 noch einen Leerstand von zehn Prozent und einen hohen Sanierungsbedarf. "Durch die Investitionen in den Bestand in Höhe von 80 Millionen Euro in den letzten Jahren und auch durch die Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen konnten wir unseren Ruf verbessern", sagt WKB-Abteilungsleiter Stefan Meisel. 2008 wurde der erste Mietertreff mit drei Räumen eingerichtet, inzwischen gibt es zwei weitere. Mieter können sich den Schlüssel kostenlos leihen, um dort zum Beispiel abends oder am Wochenende Familienfeiern zu veranstalten.

Vor allem Genossenschaften und kommunale Unternehmen stellen Räume zur Verfügung

In der Woche sind zu bestimmten Zeiten WKB-Beschäftigte an Ort und Stelle, um Fragen zu beantworten oder Mängel an der Wohnung aufzunehmen. Hier verabreden sich Mitglieder zum gemeinsamen Frühstück, Kaffeetrinken oder zu Gesellschaftsspielen, hier trifft man sich zum Seniorenturnen oder nutzt die Möglichkeit des kostenlosen Internetsurfens. "Es ist wichtig, einen Ansprechpartner vor Ort zu haben, gerade für ältere Bewohner mit wenig Kontakten", sagt Meisel. Doch auch jüngere Bewohner und Familien nutzen die Gemeinschaftseinrichtungen, etwa für Treffs von Müttern mit Kindern. Der Altersdurchschnitt der Mieter wurde durch den starken Zuzug von Familien erheblich gesenkt. Seit vier Jahren gibt es praktisch keinen Leerstand mehr.

Wohnungsleerstand ist für große Vermieter in München kaum ein Thema. Hier sollen Gemeinschaftsräume in neuen Wohnquartieren dazu beitragen, dass die Bewohner schnell miteinander in Kontakt kommen und sich wohlfühlen. Im Ackermannbogen mit seinen 6000 Bewohnern gibt es drei Nachbarschaftsbörsen mit insgesamt acht Räumen. "Wir sind an der Kapazitätsgrenze, die Nachfrage ist riesig. Viele Menschen suchen in der Großstadt nach Heimat und wünschen sich eine enge Nachbarschaft", sagt Heidrun Eberle vom Verein Ackermannbogen, eine von zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen. Ihre Aufgabe ist es, Kurse zu organisieren und die zahlreichen Ehrenamtlichen bei der Leitung zu unterstützen. Da gibt es unter anderem das Frauencafé, Spieleabende, Handarbeitstreff, Yogakurs, Chor und Tanzkurse für Erwachsene, Mittagsbetreuung, Hausaufgabenhilfe, Ballett, Fotowerkstatt und Verleih von Spielgeräten für Kinder und Jugendliche. "Die Kurse werden vor allem von der Mittelschicht genutzt, während unsere Zielgruppe eher Menschen mit wenig Geld und Migranten sind. Es dauert, bis man sie erreicht", sagt Eberle und fügt hinzu: "In einem neuen Block mit Sozialwohnungen haben wir unser Angebot von Tür zu Tür vorgestellt. Seitdem treffen sich bei uns ausländische Frauen zum Frühstück und zum Deutschkurs. So tragen wir zur Integration bei."

Die Initiative für die Nachbarschaftsarbeit ging von der 2000 gegründeten Wohnbaugenossenschaft Wagnis aus. Sie unterstützt die Nachbarschaftsbörsen, die auch von Mietern anderer Wohnungsunternehmen genutzt werden. "Es wäre gut, wenn sich die privaten Wohnungsgesellschaften auch daran finanziell beteiligen würden. Schließlich profitieren sie vom guten Miteinander im Quartier", sagt Eberle.

Der Architekt Klaus Habermann-Nieße hat für eine Studie Mietertreffs in ganz Deutschland unter die Lupe genommen. Nach seinen Erfahrungen sei für die Akzeptanz ein zentraler Standort in einem Quartier für die Gemeinschaftsräume wichtig, wobei sichergestellt werden müsse, dass Nachbarn durch Lärm zum Beispiel von Feiern nicht belästigt würden. Eine Küche dürfe nicht fehlen, da das gemeinsame Kochen und Essen ein wichtiger Anreiz zum Besuch durch die Mieter sei. Zudem sei eine enge Kooperation mit anderen Initiativen und Vereinen im Stadtteil hilfreich - und die Bewohner müssten nach ihren Wünschen gefragt und dabei ehrenamtlich eingebunden werden. Sie dürften allerdings auch nicht überfordert werden. "Ein Grundproblem ist die Finanzierung. Geld für den Bau und die Einrichtung von Gemeinschaftsräumen ist meist vorhanden, aber nicht für die notwendige Besetzung von Stellen mit Fachleuten", sagt Habermann-Nieße.

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen hat kürzlich weitere Beispiele zusammengetragen. In Hamburg-Wilhelmsburg wurden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung bei der Sanierung einer Siedlung private Mietergärten für die Erdgeschossbewohner angelegt und zusätzlich Garteninseln geschaffen. Die fünf Inseln bieten Sitzgelegenheiten, Rasen und Beete, die von insgesamt 18 Mietern gepflegt und als gemeinsamer Treffpunkt genutzt werden.

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