Ebola:Protokoll des Versagens

National Memorial Day to remember Ebola victims

Eine Liberianerin trauert am Grab ihres Bruders - einem von mehr als 11 000 Ebola-Opfern. Hätten Todesfälle verhindert werden können?

(Foto: dpa)

Nie zuvor ist ein Ebola-Ausbruch so aus dem Ruder gelaufen wie die andauernde Epidemie in Westafrika. Die Gründe haben Forscher jetzt detailliert dargelegt. Sie lassen nichts Gutes erwarten.

Von Berit Uhlmann

Nun ringt wieder ein Mann in der liberianischen Hauptstadt Monrovia mit dem Tod. Erneut schwärmen die Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden aus, um verängstigte Menschen unter Quarantäne zu stellen. Zwei Monate, nachdem Ebola in Liberia für besiegt erklärt wurde, ist die Krankheit erneut aufgeflammt.

Das Virus wütet in Westafrika länger und heftiger als all seine vorangegangenen Ausbrüche zusammen. Mehr als 28 000 Menschen erkrankten, mehr als 11 000 starben, die betroffenen Länder stehen vor finanziellen Verlusten in Milliardenhöhe. Wie konnte es zu diesem katastrophalen Ausmaß kommen? 20 Experten, darunter der Ebola-Mitentdecker Peter Piot, geben im Fachblatt Lancet eine Antwort: durch Versagen auf vielerlei Ebenen und über viele Monate hinweg. Ihre Bilanz ist schonungslos und beunruhigend. Denn verantwortlich für das Leid sind strukturelle Fehler, die bis heute nicht ausgerottet sind. Die größten Versäumnisse:

Dezember 2013 bis März 2014: Ebola verbreitet sich komplett unbemerkt

Im Dezember 2013 infizierte sich in Guinea ein Kind mit dem Erreger. Es vergingen drei Monate, in denen sich das Virus unter Dutzenden Menschen verbreitete, ohne dass irgendjemand Notiz davon nahm. Das Land hatte keine Einrichtungen für die Seuchenkontrolle aufgebaut, obwohl es sich wie alle anderen Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation WHO schon vor Jahren dazu verpflichtet hat. Das Versäumnis ist kein Einzelfall: Bis 2014 waren zwei Drittel aller WHO-Mitgliedsländer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Die Geschichte könnte sich in diesen Staaten leicht wiederholen.

März bis Juni 2014: Die Gefahr wird heruntergespielt

Im März 2014 wurde klar, dass das Ebola-Virus in mindestens zwei Ländern Westafrikas zirkuliert. Zwei Monate später hatte sich die Seuche bereits auf drei Hauptstädte - jede von ihnen ein Verkehrsknotenpunkt - ausgedehnt. Nun passierte, was Ashish Jha, Studienautor und Direktor des Harvard Global Health Instituts, als den "gravierendsten Fehler" der ganzen Entwicklung bezeichnet: "In der WHO wusste man im Frühjahr, dass der Ebola-Ausbruch außer Kontrolle geriet, und doch dauerte es bis August, bis der internationale Gesundheitsnotstand ausgerufen wurde". Das Zögern lag nicht zuletzt an strukturellen Mängeln innerhalb der WHO. Die Autoren umschreiben sie mit "Risiken", die entstehen, wenn extrem wichtige Entscheidungen allein in der Hand der Direktorin liegen und eine offene Diskussionskultur nicht erwünscht ist.

Dahinter stand offenbar die Furcht vor Panik und wirtschaftlichen Einbußen in der betroffenen Region. Diese Sorgen hatten schon die Behörden in Guinea veranlasst, die Gefahr herunterspielen. "Interne Dokumente lassen vermuten, dass ähnliche Bedenken auch die WHO beeinflusst haben", schreiben die Forscher. Dabei sehen die Regularien der Organisation vor, dass von Ausbrüchen betroffene Staaten vor unnötigen Reise- und Handelsbeschränkungen bewahrt werden sollen, um sie zur Offenheit zu animieren. Doch auf diese Regelungen ist offenbar kein Verlass, wie die weitere Entwicklung der Ebola-Epidemie zeigt.

Chaos und versickerte Gelder

Juli bis Ende 2014: "Fünf-Milliarden-Dollar-Chaos"

Spätestens im Juli 2014 ließ sich nicht mehr übersehen, dass die Situation nicht mehr beherrschbar war. Die WHO rief endlich den internationalen Gesundheitsnotstand aus - und prompt schränkten 40 Länder und viele Privatunternehmen Reisen und Handel mit den betroffenen Staaten ein. Sie ergriffen genau die Maßnahmen, die Länder davon abhalten, Ausbrüche zu melden.

Zugleich liefen im großen Stil Spenden- und Hilfsaktionen an, nur leider vollkommen unkoordiniert. Es wurde eine UN-Mission zur Ebola-Bekämpfung ins Leben gerufen, die losgelöst von dem bereits seit langem bestehenden UN-Nothilfekoordinator und anderen humanitären Einrichtungen agierte. Im Prinzip, so die Autoren der Studie, begann ein "Fünf-Milliarden-Dollar-Chaos", das wiederum zu unnötigen Verzögerungen in der Seuchenbekämpfung führte.

Seit Ende 2014: Niemand weiß, wo die Hilfsgelder sind

Ende 2014 kündigte sich eine Trendwende an. Die Opferzahlen sanken. Und langsam stellte sich die Frage, wo die insgesamt zugesagten fünf Milliarden Dollar Hilfsgelder geblieben sind. Von den drei Milliarden, die bis September 2014 versprochen wurden, waren bis Ende des selben Jahres lediglich ein Drittel in Westafrika angekommen. Wer gezahlt hat und wer säumig blieb, weiß keiner. Nicht einmal die EU-Kommission hat ein System, mit dem sich die Auszahlung von Hilfsgeldern verfolgen lässt. China verkündete, es sei nicht in der Lage, die Geldflüsse nachzuvollziehen - und erklärte einfach alle Zusagen für eingehalten, schreibt die Organisation ONE, die versucht hat, die Spenden nachzuvollziehen. Ebenso unklar blieb, wer die eingegangenen Gelder wofür verwendete. Solche Intransparenz verhindert effektive Hilfe und schmälert Vertrauen.

Am Ende ihrer ernüchternden Bilanz legen die Forscher eine Liste von zehn Empfehlungen für die Zufkunft vor. Der Großteil betrifft die Rolle und Ausstattung der WHO als führende Organisation der Infektionskontrolle. Und doch scheinen die Wissenschaftler selbst nicht allzu optimistisch auf kommende Epidemien zu blicken. Ashish Jha räumt ein hohes Risiko ein, dass die Welt aus Ebola nichts lernt. "Wir hatten auch zuvor große Ausbrüche und gründliche Auswertungen. Aber die Welt vergisst schnell."

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