Recht:Hartz IV auch für EU-Ausländer

Das Sozialgericht Mainz hält es für verfassungswidrig, Arbeitssuchenden Leistungen zu verweigern. Es beruft sich dabei auf die Menschenwürde. Der EuGH hat das schon einmal anders gesehen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Sache schien eigentlich erledigt zu sein. Mitte September hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Zuwanderer aus EU-Staaten beim Bezug von Hartz-IV-Leistungen schlechter gestellt werden dürfen als Inländer. Der EuGH billigte eine seit 2007 geltende Regelung, wonach EU-Ausländer dann keinen Anspruch auf Unterstützung haben, wenn sie "allein zur Arbeitssuche" in Deutschland sind. Damit ist auch bei Zuwanderern, die sich mit Kurzzeitjobs über Wasser halten, nach sechs Monaten Schluss: Wer weniger als ein Jahr am Stück gearbeitet hat, dem wird der Hartz-IV-Anspruch nach einem halben Jahr gestrichen - selbst wenn er nachweisen kann, dass er sich ernsthaft um einen Job bemüht.

Der Gerichtshof hat gesprochen, die Sache ist entschieden? Nicht ganz. Vor wenigen Tagen hat das Sozialgericht Mainz einen ausführlich begründeten Eilbeschluss vorgelegt, wonach der Leistungsausschluss verfassungswidrig ist. Der fragliche Paragraf aus dem Sozialgesetzbuch 2 verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Sozialgericht - verfasst hat den Beschluss der Richter Gunnar Baar - verweist dazu vor allem auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz. Soll heißen: Wenn aus dem Schutz der Menschenwürde ein Hartz-IV-Anspruch für Asylbewerber abzuleiten ist, dann darf für EU-Ausländer nichts anderes gelten (Az. S 12 AS 946/15 ER).

Der Beschluss zielt auf einen wunden Punkt der geltenden Rechtslage

Das Sozialgericht Mainz steht mit dieser Position zwar in der Gerichtsbarkeit ziemlich allein, doch seine Argumentation lässt sich hören. Das Gericht stützt sich auf die "unverfügbare" Geltung der Menschenwürde. Solche Leistungsausschlüsse seien verfassungswidrig, weil sie "die Gewährleistung von Lebensbedingungen verhindern, die physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sind".

Der Beschluss zielt damit auf den wunden Punkt der geltenden Rechtslage. Nach dem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz darf der Gesetzgeber bei Hartz-IV-Leistungen "nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren". Kürzungen seien nur dann möglich, wenn der Bedarf des Betroffenen etwa wegen eines lediglich kurzzeitigen Aufenthalts geringer sei. Davon kann bei Arbeitsuchenden normalerweise keine Rede sein; sie halten sich, auch nach dem Auslaufen ihres Anspruchs, normalerweise weiterhin legal in Deutschland auf.

Freilich gibt es einen wichtigen Unter-schied zwischen Asylbewerbern und EU-Zuwanderern. Die einen können oftmals nicht in ihr Land zurück, die anderen schon. Viele Sozialgerichte halten den Ausschluss von Hartz IV deshalb für gerechtfertigt, weil der Betroffene ja in sein Herkunftsland zurückkehren und dort Sozialhilfe beantragen könne; das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beschränkt die Hilfspflicht daher auf die Erstattung der Rückreisekosten. Das Sozialgericht Mainz hält diese Argumentation für verfehlt: Die Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums bestehe unabhängig von "bestimmten Verhaltenserwartungen" - sie dürfe also nicht mit einer Ausreisemöglichkeit verknüpft werden.

Dem Bundesverfassungsgericht liegt bisher nur ein Verfahren zu diesem Thema vor, es stammt aus der Zeit vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Ob auch das Sozialgericht Mainz die Karlsruher Richter anruft, wird sich im Hauptsacheverfahren entscheiden. Klar ist aber: Das Bundesverfassungsgericht urteilt hier in eigener Hoheit - das EuGH-Urteil vom September engt die Richter hier nicht ein.

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