Volkswagen:Die Einschläge kommen näher

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Die Abgasaffäre von Volkswagen erreicht mit voller Wucht die Premium-Tochter Audi. Das wirft neue Fragen auf. Wie lange kann sich Audi-Chef Rupert Stadler noch halten?

Von Max Hägler und Claus Hulverscheidt, Stuttgart/New York

Für den deutschen Aktienmarkt war der Dienstag ein Tag so richtig zum Vergessen. Wohin man auch blickte, tiefrote Zahlen, am Nachmittag notierten 29 der 30 Dax-Werte im Minus. Nur ein einziges Papier stemmte sich tapfer gegen den Trend und bereicherte das so monochrome Bild um einen hübschen grünen Farbtupfer: Volkswagen. Volkswagen?

Gut möglich, dass die Damen und Herren in den Handelsstuben der Banken da etwas nicht mitbekommen haben, denn der Wolfsburger Autobauer steckt seit Montagabend tiefer denn je in jenem Morast aus manipulierten Abgaswerten und Lügengeschichten, der VW noch auf Jahre lähmen wird. Schlimmer noch: Mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller und Audi-Chef Rupert Stadler rücken zwei Top-Manager in den Blickpunkt, die bisher als unbelastet, ja als Reformer galten.

Vor allem Stadler wird einiges zu erklären haben, denn sein Haus musste nun eingestehen, dass bei Volkswagen mitnichten nur die Emissionen von Millionen Mittelklasse-Pkw manipuliert wurden. Vielmehr fälschten die Techniker auch die Abgaswerte von Drei-Liter-Oberklassemodellen der Marken Audi, VW und Porsche. Genau das hatten die US-Umweltbehörden EPA und Carb seit Wochen behauptet, und genau das hatte Volkswagen stets bestritten.

Stattdessen erklärte der Konzern ein ums andere Mal, man habe den Einsatz einer sehr wohl zulässigen Software zur Steuerung der Abgasanlage, einer sogenannten AECD, bei den US-Genehmigungsbehörden nur nicht ausreichend dokumentiert. Für Außenstehende klang das so, als habe da ein schusseliger Mitarbeiter vergessen, ein paar Blatt Papier einzureichen.

Inzwischen weiß man: So war es nicht. Vielmehr räumt die Ingolstädter VW-Tochter, die konzernintern für den Bau der Drei-Liter-Motoren zuständig ist, in einer Mitteilung ein, "dass insgesamt drei AECD im Rahmen der US-Zulassungsdokumentation nicht offengelegt worden waren". "Nicht offengelegt", das heißt: Die Programme, die einzeln genehmigt werden müssen, wurden bewusst verschwiegen.

Doch es kommt noch schlimmer: Eines der drei Programme "wird nach geltender US-Gesetzgebung als Defeat Device betrachtet", räumt Audi ein. Es handelt sich also, wie in den Millionen betroffenen Motoren mit bis zu zwei Litern Hubraum zuvor auch, um Abschaltvorrichtungen, die offenbar dafür sorgten, dass die Pkw auf dem Prüfstand andere - nämlich um ein Vielfaches bessere - Abgaswerte anzeigen, als sie im täglichen Verkehr produzieren.

Ein VW-Sprecher blieb auch am Dienstag bei der Sprachregelung von Anfang November, dass der Konzern die Abgaswerte der Drei-Liter-Motoren nicht bewusst manipuliert habe. Vielmehr gebe es zwischen Volkswagen und den US-Behörden "eine unterschiedliche Auffassung zur technischen Bewertung des Sachverhalts".

Die "verdächtig erscheinende" Software, wie Audi sie nennt, ist nach Angaben der Motorenbauer notwendig, weil ein Dieselkatalysator erst bei etwa 200 Grad Celsius richtig arbeitet. Deshalb ist in den Drei-Liter-Aggregaten eine computergestützte Zeitschaltuhr eingebaut, die die Verbrennung so steuert, dass in den ersten 1400 Sekunden nach Anlassen des Motors möglichst wenige giftige Stickoxide entstehen. Diese nämlich würden den noch kalten Kat sonst weitgehend ungefiltert passieren.

Klingt vernünftig. Aber 1400 Sekunden - das ist nur etwas länger, als ein Auto bei Tests in den USA auf dem Prüfstand steht.

Zufall? Daran wollen die leidgeprüften US-Umweltbehörden nicht glauben. Sie werfen VW vor, die drastische Schönung der Prüfwerte zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Und auch ein Audi-Sprecher musste jetzt erstmals einräumen, der Einsatz der Software sei ungesetzlich gewesen. "Das haben wir akzeptiert."

In Ingolstadt heißt es, unternehmensintern habe es in den letzten Tagen ein "böses Erwachen gegeben". Firmenchef Stadler habe seine Manager und Techniker in den vergangenen Wochen immer und immer wieder gefragt: Sind unsere Motoren sauber? Stets habe er zu hören bekommen: Ja! "Er hat sich darauf verlassen", sagen Getreue. Doch der Chef wurde offenbar von den eigenen Mitarbeitern belogen.

Konzernintern geht man davon aus, dass die Manager nichts von den Manipulationen wussten

Als firmeninterne Rechercheure die von den US-Ämtern beanstandeten Programmzeilen dann tatsächlich in der eigenen Motor-Software fanden, wurde Stadler "fuchsteufelswild", wie seine Gefolgsleute berichten. Vergangene Woche machte er sich daher spontan selbst auf den Weg in die USA. Während sich Audi-Techniker in Detroit mit Software-Experten von EPA und Carb trafen, führte der Chef nach SZ-Informationen mit maßgeblichen Beamten Gespräche gewissermaßen auf politischer Ebene - nicht allerdings mit Gina McCarthy und Mary Nichols, den gestrengen Chefinnen der beiden Behörden. Es war der hochrangigste US-Besuch eines Volkswagen-Managers seit Beginn der Krise.

Doch auch guter Wille ändert nichts daran, dass es "einen Widerspruch" zwischen früheren und aktuellen Aussagen gibt, wie es bei Audi heißt - und dass nun auch Müller und Stadler im Feuer stehen. "Zumindest sind sie angeschossen", räumt man bei Volkswagen ein. Bei Stadler ist es klar: Aus seinem Haus stammt der Motor, die Zeiten also, da man sich bei Audi in dem Skandal mehr als Opfer denn als Täter gerierte, sind endgültig vorbei. Und auch Müller ließ in seiner Zeit als Porsche-Chef die Motoren in einige Wagen einbauen.

Allerdings geht man konzernintern bisher davon aus, dass die Top-Manager von den Manipulationen nichts wussten. Und wie aus Kreisen des Aufsichtsrats verlautet, sind die beiden auch aus einem anderen, viel profaneren Grund derzeit nicht von der Entlassung bedroht: "Es herrscht ein akuter Personalnotstand im Konzern, was das Topmanagement anbelangt."

Auch auf den unteren Ebenen gibt es bisher keine weiteren personellen Konsequenzen, schließlich ist Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg bereits beurlaubt. Nun sei es Aufgabe der Ermittler der US-Anwaltskanzlei Jones Day, die weiteren Verantwortlichen zu finden, heißt es in Ingolstadt. Dazu werde jedes interne Protokoll bis 2007 zurückverfolgt: "Wir wollen wissen: Wer wusste was wann?"

Doch selbst wenn die Aufklärung diesmal gelingen sollte: In den USA, wo Volkswagen eine Geldstrafe von bis zu 18 Milliarden Dollar und Schadenersatzzahlungen ebenfalls in Milliardenhöhe drohen, hat der Konzern jeglichen Kredit verspielt. Offiziell halten sich die betroffenen Ämter zurück, in Behördenkreisen heißt es jedoch: "Wir sind sehr enttäuscht von VW." Man werde das Gesetz gegen Luftverschmutzung, gegen das VW verstoßen habe, "ohne Wenn und Aber durchsetzen". Der Volkswagen-Konzern, seine Anteilseigner und auch die Aktienhändler in den Banken sollten dies durchaus als Drohung verstehen.

Große Show statt Riesen-Affäre: Audi-Chef Stadler 2014, bei einer Elektronikmesse in Las Vegas. (Foto: Britta Pedersen/dpa)
© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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