Oldtimer-Kauf:Auf den Spuren einer Diva

Mercedes W 111

Zwei Mercedes W 112 weckten das Interesse unseres Autors, ein Coupé und ein Cabrio. Das Bild zeigt den fast baugleichen W 111.

(Foto: Daimler AG)

Wenn der Traumwagen allzu billig zu haben ist, ist die Verlockung umso größer. Unser Autor wäre ihr fast erlegen. Die Geschichte eines dubiosen Oldtimer-Verkaufs.

Von Georg Kacher

Hwie historisch: Gut erhaltene Autos mit H-Kennzeichen lassen Sammlerherzen höher schlagen. Wagen, die mindestens 30 Jahre alt und in korrektem Zustand sind, könnten auch ein W am Kühler tragen: W wie Wertanlage. Die Preise für Oldtimer sind durch die Decke gegangen. Beim Angebot solcher Automobilpreziosen wird mit Lug und Trug nicht gespart. Ein Erfahrungsbericht.

Ein Samstag im Spätsommer

Flüchtiges Blättern in der Wochenend-Ausgabe einer Boulevard-Zeitung. Plötzlich bleibt der Blick im Kleinanzeigenteil unter der Rubrik Oldtimer hängen. Mercedes Coupé 3.5 Autom., Lederausstatt. beige, hist. Zul. gepfl., Garagenwa., 16,500 Euro, Mobiltelefonnummer, steht da. Und direkt darunter: Mercedes Cabriolet, Mod. 111, schwarz, Lederausstatt., cognacbeige, hist. Zul. sehr gepflegt.

Die Mobiltelefonnummer ist bis auf die letzten drei Ziffern identisch. Die innere Stimme sagt: Zu billig, lass es! Doch der Gier-Teufel widerspricht: Klingt doch seriös, einen Versuch ist das allemal wert. So kann man sich täuschen.

Zehn Tage später

Die Telefonate sind ins Leere gelaufen.

Erst am dritten Tag springt bei einer der Nummern der Anrufbeantworter an. Tage später meldet sich eine freundliche Stimme. Ja, der Mercedes ist noch da. Genauer gesagt, beide Wagen sind noch da. Wie? Zwei Autos, aber nur ein Besitzer? Es kommt noch besser. Der Herr - nennen wir ihn Müller - korrigiert gleich zu Anfang den Anzeigentext. Der 3,5er sei in Wahrheit ein 300 SE, und auch das Cabrio ist kein W111 wie angegeben, sondern ebenfalls ein luftgefederter W112, vulgo 300 SE.

Ein Pärchen also, der eine Wagen saharabeige-metallic mit biskuitfarbenen Ledersitzen, das offene Modell schwarz mit Ledersitzen in Cognac. Beides Automatik, Zustand wirklich sehr schön. Der Preis? Für das Cabrio wird ein knapp sechsstelliger Betrag aufgerufen, das Coupé steht ja für 16 500 Euro in der Zeitung. Eine Mischkalkulation könnte aufgehen, selbst wenn man sich dann vom Cabrio wieder trennen müsste. Anschauen? Kein Problem. Eine erste Besichtigung des Cabrios macht einen prima Eindruck: guter Lack, tolles Interieur, Chrom ok. Vom Coupé gibt's zu diesem Zeitpunkt nur Bilder.

Ende des Monats

Der zweite Besichtigungstermin mit dem Ausflug auf die Hebebühne wird verschoben und dann noch mal verschoben. Bei jedem Telefonat gibt Herr Müller neue Puzzleteile preis. Fünf Kinder von drei Frauen, viel Druck, Anwälte und Schwiegereltern machen das Leben schwer, deshalb die materielle Umschichtung. Aber keine Sorge - das Cabrio ist seit 21 Jahren in Familienbesitz; die Mercedes-Classic-Abteilung würde es mit Handkuss nehmen, man hat schon besichtigt. Warum dann für weniger Geld per Annonce verkaufen? Weil man von den 95 Anrufern die fünf Nettesten herausgesucht habe und das Geschäft lieber von privat an privat macht.

Ein paar Tage später

Ortstermin im Tegernseer Tal. Das in einer Garage einquartierte 300 SE Coupé springt sofort an, Herr Müller setzt eine Wagenlänge zurück und präsentiert stolz das gute Stück, anerkennendes Nicken beim Interessenten. Ein Herr in einem top-restaurierten 60er-Jahre-Ferrari fährt im Schritttempo vorbei, hält an, steigt aus. "Der Mercedes ist wirklich toll", bestätigt der Zwölfzylinder-Fan, der sich als Besitzer des Gasthofs um die Ecke vorstellt. "Ich habe mir schon überlegt, den Wagen für mich selbst zu kaufen." Wie wär's mit zwei Unterschriften, Herr Müller, gleich hier und jetzt? Doch der Angesprochene bleibt cool und winkt ab. "Zuerst will ich, dass Sie das Cabrio auf die Bühne stellen und genau inspizieren."

Wieder zwei Tage später

Nach einigem Hin und Her steht der Termin für die Blechbeschau. Herr Müller lässt sich entschuldigen, aber der Chefmechaniker der auf Oldtimer spezialisierten Werkstätte und sein Geschäftsführer helfen aus. Außerdem ist für 14 Uhr ein vereidigter Gutachter bestellt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Der angefixte W112er-Junkie hätte um ein Haar beide Autos wie bestaunt und nicht Probe gefahren, also fast blind, erworben. Dabei war der W112 von unten ein Fall für die Intensivstation. Die mit Taschenlampen ausgerüsteten Spezialisten wurden im Minutentakt fündig: diverse Durchrostungen und Flickschuster-Reparaturen, marode Luftfederbälge, vergammelte Leitungen, massive Undichtigkeiten, ein Frontschaden vorne links mit Auswirkungen auf Haube, Kotflügel und Längsträger, ein waidwundes Getriebe und dubiose Schweller.

Weitere 24 Stunden später

Mercedes W 111 Cabrio

Die Baureihe W 111/112 ist heute ein gesuchter Mercedes-Klassiker. Perfekte Exemplare des Coupés oder Cabrios kosten sechsstellige Preise.

(Foto: Daimler AG)

Weitere 24 Stunden später

Die Werkstatt-Betreiber hatten den Reparaturaufwand vorher auf 20 000 Euro geschätzt. Am Ende der gründlichen Diagnose stand allerdings 30 000 Euro im Raum. Das war's dann wohl. Doch Herr Müller gefiel sich erneut in der Rolle als Gutmensch. "Was für ein Glück, dass der Sachverständige die Schäden fotografiert und katalogisiert hat. Den Reparaturaufwand müssen wir natürlich von der Kaufsumme abziehen." Also doch die Stecknadel im Heuhaufen? Fehlen nur mehr die Zahlungsmodalitäten. Die Gegenseite hätte den Betrag lieber in bar als einen bankbestätigten Scheck. Man einigt sich auf eine Überweisung nach Übergabe der Kfz-Briefe.

Drei Tage später

Alle Versuche, den guten Mann zu erreichen, enden abermals im Nichts. Die Firma auf der Visitenkarte gibt es zwar, der Eintrag im Handelsregister wird allerdings mit nur 400 Euro bewertet. Auch die Adresse stimmt nicht mehr. Doch ein Terrier lässt nicht locker, denn preislich wären wir immer noch auf der sicheren Seite. Herr Müller hat inzwischen alle Zeit der Welt: Mal muss er die Kinder hüten, mal sind die Papiere blöderweise im anderen Auto, mal fehlt die rote Nummer. Doch dann, ganz plötzlich, wird der Verkäufer konkret. Man will sich übermorgen gegen Mittag treffen, in besagtem Weiler hinter Nirgendwo.

Der Alles-oder-nichts-Tag

Treffpunkt Dorfgasthaus. Mit von der Partie sind Herr und Frau Gutachter. Noch unter dem Eindruck des Cabrio-Desasters wollen wir uns auch das Coupé näher ansehen. Nicht vor Ort ist Herr Müller. Nach längerem Warten öffnet besagter Wirt die Garage - und da steht er, der goldene 300 SE, frisch vom Service und trotz Staubschicht wunderschön. Weniger schön ist das Gespräch, das sich in der Folge entspinnt. Als das Thema Geld zur Sprache kommt, wechseln sich Staunen und Kopfschütteln ab. "Wie jetzt? Für alle beide? Das ist selbst für nur ein Auto zu wenig. Das Coupé hat mich vor vier Monaten mehr gekostet, als Sie in Summe bieten."

" Spät, aber gerade noch rechtzeitig fällt der Groschen. Wir reden hier offenbar mit dem wahren Besitzer, der flugs ein zweites Garagentor öffnet. Der Inhalt: ein schwarzes 280-SE-Hochkühler-Cabrio mit schwarzem Verdeck und schwarzen Lederpolstern. "Der wäre auch zu haben, ist aber deutlich teurer." Von wegen 16 500 Euro, von wegen seit Langem im Familienbesitz, von wegen Notverkauf. Unser Gegenüber blickt in verblüffte Gesichter. "Was haben Sie denn geglaubt? Natürlich sind das alles meine Autos. Die Papiere liegen bei mir im Safe. Herrn Müller kenne ich von früher. Ich habe ihm lediglich erlaubt, die Fahrzeuge in meinem Auftrag zu verkaufen. Als Provision waren 4000 Euro ausgemacht. Aber jetzt sieht die Sache natürlich anders aus."

Wir sind perplex und verärgert, doch nach Kaffee und Rhabarberkuchen überwiegt die Erleichterung. Das Coupé wäre schon toll gewesen - Farbe, Ausstattung, Zustand, Anmutung. Ein Traum. Das 300 SE Cabrio bewegt sich dagegen preislich im Milieu der reichen Sammler und gewieften Spekulanten. Trotzdem rätseln wir bis heute, was Herrn Müller zu dieser Posse veranlasst haben mag. Wollte er das Geschäft auf eigene Rechnung machen, Cabrio gegen Cash, dazu als Sicherheit den Coupé-Brief, auf den er ebenfalls keinen Zugriff hatte? Ging es um eine Anzahlung, die wohl verloren gewesen wäre ? Oder hat da ein am Rande der Legalität wandelnder Lebenskünstler ein Rad gedreht, das ihm drei Nummern zu groß ist? Und wie steht es mit der Seriosität des Umfelds, den Experten in München und dem Dorfkaiser, der uns vormachte, mit einem Auto zu liebäugeln, das er längst besaß?

Die folgenden Samstage

Aus alter Gewohnheit wieder der Griff zur Boulevardzeitung. Kaum zu glauben, aber das schwarze Mercedes Cabrio ist zurück - gleicher Text, dieselbe Telefonnummer, Woche für Woche. Wer dem Verführer wohl diesmal auf den Leim geht?

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