Serie: Wohnungssuche:Preis nach Fahrplan

Eine von vielen Merkwürdigkeiten auf dem Wohnungsmarkt in Tokio: Wie teuer eine Immobilie ist, hängt auch von der Auslastung der U-Bahn ab.

Von Christoph Neidhart

Mit dem Wohnen verhält es sich in Japan wie mit dem Essengehen. Bevor man ein Lokal wählt, muss man sich für eine Kategorie entscheiden: japanisch oder ausländisch, Fisch oder Fleisch, Häppchen oder ein Menü mit Gangfolge. Für jede Spezialität gibt es einen Gaststättentyp. Speisekarten quer durch die Küchen findet man nur in amerikanisch angehauchten Restaurantketten. Der Wohnungsmarkt funktioniert ähnlich: in Kategorien.

Am Anfang jeder Suche steht deshalb die Entscheidung für einen Wohnungstyp - in Tokio dazu die Wahl eines Stadtteils, das bedeutet: einer Bahnlinie, die das Pendeln halbwegs erträglich macht. Dazu werden für alle U- und S-Bahn-Linien Auslastungen publiziert. Zum Beispiel ist die Keihin-Tohoku-Linie im Nordosten der Stadt im Berufsverkehr morgens zu 200 Prozent besetzt, die Tozai-U-Bahn zu 199 Prozent. Das verbilligt die Wohnungen entlang dieser Linien.

Welche Besonderheiten der Markt in Toki außerdem noch mit sich bringt, zeigt der Fall eines neu zugezogenen Kollegen, der hier Thomas S. heißen soll. Wie fast überall in Japan musste er sich zuerst entscheiden: "japanisch" oder "ausländisch". Auf Ausflügen übernachten viele Japaner gerne in einem Ryokan, einer traditionellen Herberge, zu Hause dagegen ziehen sie "westlich" vor, oder zumindest halbwegs westlich. Für Ausländer wie S., der in ein altes japanisches Holzhaus einziehen möchte, hegen sie bloß Bewunderung - und Mitleid. Wie unbequem, meinen sie. Wären sie nicht so höflich, käme noch Spott dazu. Die Bauindustrie bedient diese Ambivalenz, indem sie in "westliche" Häuser oder Wohnungen ein japanisches Zimmer einbaut. In neuen Eigenheimen ist das fast schon die Regel, sie gelten gleichwohl als westlich. Nur hundert Prozent japanisch gilt als "japanisch". Japanisch oder westlich ist zuallererst eine Frage des Fußbodens. Tatami oder Holz, respektive heutzutage meist Kunststoff. Tatami sind die Reisstroh-Platten, auf denen die Japaner traditionell leben. Oder lebten. Auf Tatami-Böden kann man keine schweren Möbel stellen, aber ohnehin möblieren nur Banausen ihre Tatami-Räume. Gesessen wird auf Sitzkissen, gegessen an einem niedrigen Tischchen, geschlafen auf Futons am Boden, die tagsüber im Wandschrank verschwinden.

Japanische Häuser markieren verschiedene Sphären der Privatheit mit der Höhe des Fußbodens. Flur, Küche, Nebenräume und Veranda liegen etwa 30 Zentimeter höher als der Eingang, wo alle die Schuhe ausziehen und in Patschen schlüpfen müssen. Der Boden der Tatami-Räume, für die man auch die Schlappen ausziehen muss, liegt weitere drei Zentimeter höher. Bei der Klo-tür steht ein weiteres Paar Patschen, in die man schlüpft, bevor man eintritt. Japan-Anfänger S. vergisst zuweilen, die Schlappen danach wieder zu wechseln und stolpert mit den Klo-Patschen durchs Haus, gelegentlich sogar in die Tatami-Räume.

Zu den wichtigen Kategorien gehört das Alter eines Hauses. Einerseits gilt alt in Japan oft als Synonym für verbraucht. Das mögen die Japaner nicht. Andererseits sind die Bauvorschriften 1981 letztmals verschärft worden. Bauten aus den Boom-Jahren davor gelten als wenig erdbebensicher. Von den noch 60 000 traditionellen Holzhäusern in Tokio erwartet die Stadtregierung, dass 70 Prozent ein Erdbeben der Stärke 7,3 nicht überstehen würden.

Knapp zwei Drittel aller Japaner wohnen in freistehenden Einfamilienhäusern, Jutaku genannt, die ihnen mehrheitlich auch gehören; selbst in Tokio sind 45 Prozent der Wohnhäuser Jutaku. Für deutsche Verhältnisse sind durchschnittliche Jutaku klein, 85 Quadratmeter gilt als großzügig. Jutaku werden auch vermietet, "westliche" Jutaku zu horrenden Preisen, in beliebten Gegenden nahe eines Bahnhofs ohne Weiteres für 4000 bis 5000 Euro monatlich für 85 Quadratmeter.

Serie: Wohnungssuche: Wer in Tokio eine Unterkunft sucht, sucht zunächst einen Stadtteil aus - oder eine Bahnlinie, die das Pendeln halbwegs erträglich macht.

Wer in Tokio eine Unterkunft sucht, sucht zunächst einen Stadtteil aus - oder eine Bahnlinie, die das Pendeln halbwegs erträglich macht.

(Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Japanische Jutaku sind billiger, die Nachfrage ist gering. Jene, die überdies vor 1981 gebaut wurden, sind geradezu erschwinglich. Wer eine Wohnung einem Häuschen vorzieht, muss sich, bevor die Suche beginnt, jenseits von japanisch oder westlich zwischen Aparto, Mansion und Danchi entscheiden. Wohnung ist schließlich nicht gleich Wohnung.

Aparto sind oft nur Studios von weniger als 20 Quadratmetern, es gibt aber auch Zweizimmer-Aparto. Das typische Aparto-Haus ist ein zweistöckiger, reichlich provisorisch wirkender Holzbau. Die Türen der Aparto öffnen sich auf einen Außengang. In Aparto wohnen vor allem junge Leute, Zeitarbeiter und Studenten, dazu viele soziale Verlierer. Ein Aparto ist kein Zuhause, sondern eine Absteige, allerdings für zu viele Japaner eine permanente Bleibe.

Mansion übersetzt sich am ehesten als Wohnung in einem Mietshaus. Wobei nur Wohnungen in neueren, edlen Mietshäusern gemeint sind. In einer Mansion in guter Lage zu wohnen ist prestigeträchtig, entsprechend hoch sind die Mieten. Es gibt sogar Mansion mit Pförtner. Die Mietskasernen, oft Plattenbauten, die in den Boom-Jahrzehnten aus dem Boden schossen, sind keine Mansion, sondern Danchi. Anders als die Mansion sind Danchi-Wohnungen billiger und oft verkommen.

Manche Makler lehnen Fremde ab. Sie könnten ja Ärger machen und mit Schuhen herumlaufen

Nachdem sich S. endlich für eine Kategorie und einen Stadtteil entschieden hatte, ging er zu einem "Fudosan", einem Agenten. Fudosan gibt es in Tokio Tausende, meist sind das winzige Läden, deren Fenster zugepflastert sind mit Angeboten. Der Fudosan von S. ist, wie viele, ein Familienbetrieb. Das ältere Ehepaar versteht sich als Vermittler, es kennt seine Hausbesitzer seit Jahren und schätzt ab, ob ein S. vertrauenswürdig ist. Manche Fudosan akzeptieren keine Ausländer, sie könnten ja Ärger machen, etwa, weil sie den Müll nicht richtig trennen. Oder in japanischen Häusern mit Schuhen auf die Tatami treten.

Nachdem die Frau des Fudosan S. akzeptiert hatte, ging es schnell. Sie zeigte ihm noch am selben Tag einige freie Objekte, fast alle wenige Minuten zu Fuß vom Laden. In Tokio herrscht kein Wohnungsmangel, wer nicht zu heikel oder knauserig ist, findet bald etwas.

Zurück im Laden, galt es, Formulare auszufüllen, die es nur auf Japanisch gibt. Dann verlangte Frau Fudosan einen Bürgen. Das musste ein Japaner sein. Weil S. als neu zugezogener Ausländer keine Japaner kannte, die für ihn gebürgt hätten, wandte er sich an eine Spezialagentur, die für ein sattes Honorar einsprang.

Serie: Wohnungssuche: SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

Dann ging es nur noch ums Geld. S. musste sechs Monatsmieten bar auf den Tisch blättern, manchmal sind es sogar mehr: den ersten Monat eine bis zwei Monatsmieten als Prämie für den Fudosan, eine Kaution in der Höhe von ein bis zwei Monatsmieten, die S. nach dem Auszug zurückerhält, zumindest theoretisch, in Wirklichkeit selten, dazu eine oder zwei Mieten als "Schlüsselgeld". Offiziell ist das ein Geschenk an den Besitzer. Unterschrieben hatte S. an einem Freitag, am Dienstag konnte er in sein japanisches Jutaku einziehen. Der Besitzer ließ am Montag noch neue Tatami verlegen. Und die Frau des Fudosan half ihm, Gas, Strom und Wasser zu bestellen.

Japanische Mietverträge laufen grundsätzlich zwei Jahre. Wer früher auszieht, wird zur Kasse gebeten. Das Mietverhältnis erneuert sich automatisch. Dafür muss S. freilich - kleine Geschenke erhalten die Freundschaft - jeweils wieder eine Monatsmiete Schlüsselgeld zahlen.

Der Fudosan treibt auch die Miete ein, S. zählt sie jeden Monat im kleinen Laden in bar auf den Tisch. Und erhält dafür eine handgeschriebene Quittung. Obwohl er seinen Besitzer inzwischen persönlich kennt - er wohnt nebenan, zuweilen plaudert er mit ihm - schalten beide, was das Mietverhältnis betrifft, etwa für kleinere Reparaturen, stets den Fudosan ein.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6.11.),Sydney (13. 11.) und London (20.11.).

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