Siemens:Der vergessene Heinrich

Siemens Shareholders Meeting

Heinrich von Pierer, hier 2007 bei der Siemens-Hauptversammlung , fährt nicht nach Athen. Den Fall betreuen seine Anwälte.

(Foto: Johannes Simon /Getty Images)

Die Justiz in Athen hat in der Anklage gegen Pierer dessen Vornamen unterschlagen. Der Prozess wirft Fragen auf.

Von Klaus Ott und Tasos Telloglou, Athen/München

Heinrich von Pierer kommt nicht, und auch sonst reist wohl niemand aus Deutschland an, wenn an diesem Freitag in Griechenland der größte Prozess im Schmiergeldfall Siemens beginnt. Vor dem Oberlandesgericht Athen sind zahlreiche einstige Konzernmanager wegen Bestechung angeklagt. Hinzu kommen noch viel mehr ehemalige Funktionäre der nationalen griechischen Telefongesellschaft OTE. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten sich korrumpieren lassen, damit Siemens einen Milliardenauftrag für die Modernisierung der griechischen Telefonnetze erhalten habe. 62 Angeklagte sind in den 4500 Seiten aufgelistet, in denen die Athener Staatsanwaltschaft ihre Erkenntnisse zusammengefasst hat.

Der prominenteste Beschuldigte ist zweifelsohne die Nummer acht: "Dr. Karl Friedrich Eduard Pierer von Esch", vormals Vorstands- und Aufsichtsratschef von Siemens. Seinen ersten Vornamen - Heinrich - haben die Athener Strafverfolger in einer der ersten Versionen der Anklageschrift offenbar vergessen, aber das ist nicht das einzige Malheur. Die Anklage gegen Pierer enthält nur den pauschalen Vorwurf der Bestechung, nichts Konkretes, und vor allem nichts Neues im Vergleich zu den deutschen Ermittlungen. Die Münchner Staatsanwaltschaft hat Pierer im Schmiergeldfall Siemens längst umfassend durchleuchtet. Er musste 250 000 Euro Bußgeld zahlen, aber nicht wegen Korruption, sondern nur wegen Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten. Dass nach europäischen Grundsätzen niemand wegen einer Sache zweimal verfolgt werden darf, das spielt für die griechische Justiz offenbar keine Rolle.

Der frühere Siemens-Chef weist die Vorwürfe zurück. Er hat nur insofern Glück im Unglück, als er ebenso wie die übrigen Angeklagten nicht vor Gericht erscheinen muss, sondern sich durch seinen Anwalt vertreten lassen kann. Ansonsten könnte sich Pierer gleich eine Wohnung nehmen in Athen. Der Prozess dürfte ziemlich lange dauern. Bereits die Ermittlungen haben sich neun Jahre hingezogen. 2006 hatte die Münchner Staatsanwaltschaft ein weltweites System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen bei Siemens aufgedeckt. Die Erkenntnisse der Ermittler in München führten in vielen Ländern zu vielen Verfahren, darunter auch in Griechenland. Dort hatte Siemens für lukrative Aufträge etwa rund um die Olympischen Sommerspiele 2004 in Athen kräftig bestochen. Auch die beiden großen Parteien, die damals abwechselnd regierten, die sozialistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia, wurden reichlich bedacht. Die Korruption ist längst erwiesen, auch bei der nationalen Telefongesellschaft OTE, wo nach Berechnungen der Strafverfolger von 1997 bis 2007 mindestens 67 Millionen Euro an Schmiergeld geflossen sind.

Die Frage ist nur noch: Wer war darin direkt verwickelt und kann deshalb bestraft werden? Die Athener Staatsanwaltschaft glaubt, auch Pierer und zwei weiteren Ex-Vorständen von Siemens den Prozess machen zu können, obwohl alle drei Fälle bei der deutschen Justiz längst geprüft und erledigt sind und in Griechenland auch nicht mehr dazu vorliegt. Das gilt für die Mehrzahl der früheren Siemens-Manager, die in Athen angeklagt sind.

Die dortigen Behörden haben nicht einmal die wichtigsten Unterlagen ins Deutsche übersetzt. Das hätte 90 000 Euro gekostet, zu viel für die griechische Justiz. Nicht nur der Athener Anwalt Alexandros Papasteriopoulos, der einen früheren Siemens-Manager verteidigt, hält das für unvereinbar mit den Grundsätzen für einen fairen Prozess. Andere Anwälte ehemaliger Siemensianer sehen das ebenfalls so und sprechen von einem "politischen Prozess" gegen Pierer & Co., der offenbar vor allem der Stimmung im Lande geschuldet sei. Sie wollen aber die Hoffnung auf ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren vor dem Oberlandesgericht und ein entsprechendes Ende nicht aufgeben.

Die Athener Staatsanwaltschaft weist die Kritik zurück und glaubt, im Verlauf des Prozesses neue, zusätzliche Vorwürfe gegen Pierer & Co. belegen zu können. Im Übrigen reiche die griechische Fassung der Anklage, eine deutsche Übersetzung sei nicht nötig. Das Strafmaß, das den Beschuldigten droht, beträgt zwischen 25 Jahren und lebenslänglich. Für die griechischen Angeklagten aus der Telefongesellschaft OTE gäbe es bei einem Gefängnis-Urteil kein Entkommen, bei Pierer und seinen ehemaligen Siemens-Kollegen aus Deutschland sähe das aber wohl anders aus. Dass die Justiz hierzulande Bundesbürger auf Basis eines rechtsstaatlich fragwürdigen Verfahrens an einen anderen Staat ausliefern würde, erscheint schwer vorstellbar. Eigentlich unvorstellbar.

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