Talkshows:Lob des Eselchens

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Der Talkshowmoderator Günther Jauch spielt zum letzten Mal die Rolle seines Lebens. Über einen großen Erklärer, dessen Konzept sich überlebt hat.

Von Claudia Tieschky

Als Günther Jauch vor einer Woche seine vorletzte Sendung moderierte, musste man sich mal wieder kurz Sorgen um das Raum-Zeit-Kontinuum machen. Jauch spricht gelegentlich so langsam, dass man überlegt, ob da vielleicht doch Löcher in der Atmosphäre sind. Ob ihm die Augen zufallen. Ob der Fernseher kaputt geht. Dabei zeigt Jauch nur gerade wieder ganz, ganz deutlich, dass er auch wirklich niemanden überfordern will.

Bei Bert Brecht stand ein Eselchen auf dem Fensterbrett mit dem Schild um den Hals "Auch ich muss es verstehen". Das ist die Lebensrolle des Günther Jauch, und an diesem Sonntag spielt er sie zum letzten Mal: Den Fernsehmann, der selbst Unbelehrbaren ganz behutsam große, komplizierte Dinge beibringt. Sein Sprechtempo signalisiert: Ich rede so, dass du es bestimmt verstehst, Eselchen. Überheblich wirkt das erstaunlicherweise nie, und zwar deshalb, weil Jauch dabei immer so kindlich schaut, als verstehe er selber nur die Hälfte. Der Mann ist Profi und hat sich darum nie gescheut, den Esel zu geben. Etwas onkelig vielleicht, aber genau das Richtige für den Sonntagabend in der ARD und für ein Publikum, das schon zuvor im Tatort vorgespielt bekam, wie die Welt zwar unglaublich böse sein kann, dass dieses Böse aber in 90 Minuten auch zurück ins Körbchen gescheucht werden kann.

Jauch blieben danach nur 60 Minuten, in denen bewältigte er aber problemlos die vorgeschriebene Aufgabe, nach der eine jeweils irgendwie aktuelle Besorgnis (Unverdient reich - ist Erben gerecht?, Die Schlagloch-Republik - geht Deutschland kaputt?, Der Problem-Präsident - wie glaubwürdig ist Christian Wulff?, auch öfter: die Griechen) in eine Gute-Nacht-Geschichte überführt werden musste.

Man könne nicht "der gefühlte Bundespräsident sein und ein kantiger erster Journalist", lästerte Frank Plasberg im Sommer in einem Spiegel-Interview, nachdem Jauch seinen Rückzug angekündigt hatte und die ARD wieder mal nicht Plasberg, sondern Anne Will zum Sonntags-Nachfolger gemacht hatte. Ein Missverständnis: Bundespräsident vielleicht - aber erster Journalist, darum ging es doch gar nicht.

Konnte reden und reden: Griechenlands Ex-Finanzminister Gianis Varoufakis im Gespräch mit Günther Jauch. (Foto: dpa)

Jauch moderierte sonntags in der ARD die Sendung mit dem Esel (im Schnitt 4,6 Millionen Zuschauer), aber schon montags konnte man ihn bei RTL wieder als superschlauen Rateonkel im Millionärsquiz sehen (zuletzt 5,4 Millionen). Verbreitungstechnisch gesehen war er eine Ein-Mann- Bild-Zeitung.

Auf jeden Fall lebten beide Rollen voneinander. Ohne RTL wäre Jauch kaum zum beliebtesten Talker der ARD aufgestiegen. Ausgerechnet im Privatfernsehen lieferte er den Beweis, dass Wissen reich machen kann, darum ruhte auch auf seinem Polit-Talk gewissermaßen ein Goldschimmer von Nutzwert. Glücklich die Glücklichen.

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Allerdings muss man nicht die letzte Sendung mit Wolfgang Schäuble als einzigem Gast abwarten, um zu sagen: Das war einmal. Vielleicht sind die Zeiten des Jauchschen Talks einfach vorbei, weil es die Konsenskultur nicht mehr gibt, für die er gemacht ist. Schon eine ganze Weile konnte man beobachten, wie ihm die Dinge entglitten. Seit die Weltlage nicht mehr so leicht hauszahm zu machen ist, häufen sich die Aussetzer. Einen sehr redefreudigen Imam aus Neukölln bekam Jauch ebenso wenig in den Griff wie Auftritte von Pegida-Leuten oder dem damaligen griechische Finanzminister Varoufakis - bei dem sich später erwies, dass die Redaktion offenbar das weithin bekannte Video mit dem Stinkefinger aus dem Zusammenhang gerissen hatte. Als der AfD-Mann Höcke kürzlich die Deutschlandfahne über seine Stuhllehne hängte und damit Unangreifbarkeit reklamierte, wirkte der Moderator Jauch minutenlang vollkommen hilflos und wie ausgeknockt. Er redete nicht mehr nur langsam, es schien ihm komplett die Sprache verschlagen zu haben.

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Nur, wie kam das eigentlich? Jauchs Anfänge jedenfalls liegen ganz sicher nicht in der Konsenskultur, sondern im bunten, zuweilen anarchischen Talk. Wer sich alte Folgen der Jugendsendung Live aus dem Alabama im BR anschaut, der bemerkt nicht nur die Wahnsinns-Schulterpolster von Amelie Fried und staunt darüber, dass Giovanni di Lorenzo aussah wie der kleine Bruder von Johnny Depp. Man kann auch tumultartige Szenen sehen, in denen die Moderatoren ums Wort kämpfen mussten, manchmal ums Mikro. Die Themen hießen Volkszählung, Aids, Rechtsradikalismus, Tschernobyl, Hausbesetzung. Die erste Alabama-Sendung lief 1984, ein Jahr später wird Joschka Fischer in Turnschuhen vereidigt. Beim BR moderiert ein junger Jauch mit gemäßigt aufgestellten Haaren, der scharf fragt und das Gespräch auch in der Hand hat, wenn eine Rauferei droht. Di Lorenzo, Fried, Sandra Maischberger, Werner Schmidbauer, Jauch (eigentlich alle bis auf den unbeirrbaren Eisi Gulp) sind dann im normalen Langeweiler-TV angekommen, aber mit dem Nimbus, dass sie mal jung und wild waren.

Das alles muss mitgespielt haben, als die ARD-Hierarchen um 2006 herum anfingen, heftig um Jauch zu werben. Der moderierte damals Stern TV sehr erfolgreich bei RTL und verdiente als Produzent gut, war also teuer. Aber als die ARD Jauch 2011 endlich gewinnt, hat sie die geniale Idee, gleich fünf Redefachkräfte pro Woche damit zu beschäftigen, die Weltlage aus Berlin richtig wichtig zu nehmen.

Jauch hat über die ARD einmal gesagt, sie sei "der teuerste Flirt meines Lebens". Das war 2007, Verhandlungen waren abgebrochen worden, Jauch hatte aber ARD-konform Werbeverträge gekündigt. Es war aber gar kein Flirt, sondern wahre, echte Liebe zwischen Jauch und der ARD, allerdings eine späte Liebe und wahrscheinlich war seine am Ende sogar größer als ihre. Er musste dafür büßen: Selten, vielleicht nicht mal 1984 im BR, wurde ein Moderator so hingebungsvoll von den Aufsichtsgremien beaufsichtigt wie Jauch.

Darum bleibt der ARD nach Jauchs Ende auch etwas von ihm, das ihr niemand mehr nehmen kann: die Gremlins. Gremlins sind kleine, potthässliche Horror-Monster. So hat Jauch die eifrigen Gremien mal genannt. Da blitzte ganz kurz die Frechheit aus den jungen Jahren durch. Diese Frechheit, die der ARD so irre fehlt. Und ein Jauch, mit dem es großartig hätte werden können. Schade eigentlich.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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