Mangelnde Meinungsfreiheit:Chinas Angst vor einer Schönheitskönigin

Anastasia Lin

Anastasia Lin darf nicht nach China einreisen.

(Foto: AP)
  • Die aktuelle Miss Kanada, Anastasia Lin, darf nicht zum Miss-World-Wettbewerb nach China fahren.
  • Grund ist ihre Kritik an der Verfolgung der Falun-Gong-Bewegung in China.

Von Kai Strittmatter

Schönheitsköniginnen, die wie Anastasia Lin gerne reiten und segeln, wird man viele finden. Schönheitsköniginnen, die auf dem Piano Rachmaninow zu spielen verstehen und Platons "Staat" als Lieblingslektüre angeben, schon weniger. Und Schönheitsköniginnen, die auf der Bühne, befragt nach ihrem Traum, nicht bloß "World Peace" hauchen, sondern Gehirnwäsche und Misshandlungen durch ein autoritäres Regimes anprangern, sind eine eher rare Spezies.

Anastasia Lin ist amtierende Miss Kanada im Miss-World-Zirkus, und wenn sie nun in gespielter Unschuld fragt, warum in aller Welt ein so mächtiges Land wie China auf einmal Angst habe vor einem 25-jährigen Mädchen, dann hat das schon etwas Maliziöses. Denn Anastasia Lin führt Peking gerade auf erstaunliche Art und Weise vor.

Die Frau lässt sich nicht mundtot machen

Oberflächlich betrachtet ist Anastasia Lin in dieser Geschichte das Opfer. Sie wurde zur schönsten Frau Kanadas gekürt, und darf doch nicht teilnehmen am Miss-World-Finale. Das Finale nämlich wird die nächsten drei Wochen über auf der Insel Hainan ausgetragen, und die liegt in China. China aber hat Anastasia Lin soeben die Einreise verweigert. Tatsächlich darf man aber wohl sagen, dass Lin in dem Dramolett den David gibt, der mit nichts als einer Steinschleuder und viel Grips den Riesen Goliath, na ja, wenn auch nicht zu Fall, so doch zur Weißglut bringt.

Chinas Regierung hat nicht viel anders gehandelt als sonst auch, wenn sie versucht, ihre Kritiker einzuschüchtern, zu bestrafen, mundtot zu machen. Bloß: Die Frau lässt sich nicht mundtot machen. Sie ist nicht nur schön, sie ist noch intelligent und eloquent dazu, und sie versteht es meisterhaft, sich selbst die Bühne zu schaffen, die ihr andere verwehren.

Lin trat in Filmen auf, die die Verfolgung von Falun-Gong-Anhängern zeigen

Anastasia Lin stammt selbst aus China, aus der Provinz Hunan. Als 13-Jährige kam sie mit ihrer Mutter nach Kanada. Der Vater blieb in China, er leitet dort ein Unternehmen. Die Tochter begann in Kanada als Heranwachsende Falun Gong zu praktizieren, jene Mischung aus traditioneller Gymnastik und kruden buddhistischen und esoterischen Lehren, die in China seit 1999 als "böser Kult" verfolgt wird. Seitdem wird Falun Gong als staatsfeindlich eingeordnet, auch weil sich die Gruppe systematisch organisierte. In Pekings Visier geriet Anastasia Lin wohl durch ihre ersten Rollen als Schauspielerin: Sie trat auf in Filmen, die die Verfolgung und Folter von Falun-Gong-Anhängern zeigen. Noch im Sommer sprach sie vor dem US-Kongress über die Verfolgung. Für Peking muss sie also als Aktivistin gelten.

In einem Essay für die Washington Post berichtet Lin, wie stolz ihr Vater gewesen sei, nachdem sie zur Miss Kanada gekürt wurde. Und wie nur Tage später Agenten von Chinas Staatssicherheit den Vater bedrohten: Er solle dafür sorgen, dass seine Tochter den Mund halte. Mehrere Male flehte der Vater die Tochter an. Seine Unterstützung für die Kommunistische Partei, sagt Lin, entspringe "nicht der Liebe, sie entspringt der Furcht".

Noch am Flughafen setzte sie einen Entrag auf Facebook ab

Sie habe mit sich gerungen, ob sie schweigen solle, sich dann aber anders entschieden: "Wir alle leben unter der Bedrohung durch die Regierung Chinas. Viel zu schnell akzeptieren wir diese Art von Zwang als normal, und zeigen mit dem Finger lieber auf die, die den Mund aufmachen, statt auf die, die den Knüppel schwingen."

Kein großes Wunder also, dass die Behörden ihr in Hongkong den Weiterflug nach Hainan verwehrten. Noch am Flughafen setzte Lin einen Eintrag auf Facebook ab. "Fragt Chinas Regierung, warum sie einem Bürgerrechtsanwalt den Gang zum Zahnarzt verweigern, obwohl er nach der Folter fast alle Zähne verloren hat", schrieb sie. "Fragt sie, warum sie sich nicht trauen, ihr eigenes Volk unzensierte Nachrichten lesen zu lassen." Und dann die Frage aller Fragen: "Fragt sie, warum sie Angst haben vor einer Schönheitskönigin."

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