Nächste Kölner Nullnummer:Die Wattebäuschen-Werfer

Lesezeit: 3 min

Aufsteiger Darmstadt hält sich nicht lange mit dem faden Remis gegen den 1. FC Köln auf - die Hessen fiebern schon der Partie gegen Eintracht Frankfurt entgegen, dem ersten Derby seit 33 Jahren.

Von Frank Hellmann, Darmstadt

Man kann nicht erwarten, dass Andrea Petkovic viel von diesem Bundesligaspiel mitbekommen hat. Der Tennisstar aus Darmstadt hatte vor Anpfiff mehr als eine halbe Stunde an einem orangefarben lackierten Grillstand ("Frisch vom Holzkohlegrill") gestanden, sich eine Schürze angezogen und dann Brat-, Rinds- und Feuerwurst zu je drei Euro im Brötchen an die Leute verkauft, um eine alte Wettschuld einzulösen. Der Auflauf hinter Block B der Haupttribüne war gewaltig, und als sich die 28-Jährige endlich bei der Heimpartie des SV Darmstadt 98 gegen den 1. FC Köln unter dem Dach einen Platz suchen wollte, war keiner frei.

Obendrein kam dann leicht verspätet auch noch ihre Tenniskollegin Sabine Lisicki zum Überraschungsbesuch vorbei. "Petko" hockte sich dann zunächst - unkonventionell, wie es ihre Art ist - auf die kalten Steinstufen. Sodann lachten, kicherten und flachsten die beiden unentwegt unter ihren großen Pudelmützen - den Blick selten zum Spielfeld gerichtet. Hauptsache Spaß gehabt. Wie sie es denn fand? "Spannend. Ja, spannend ist eine gute Beschreibung", sagte Petkovic nach kurzer Überlegung und grinste, bevor sie zum weißen Containeranbau schlenderte, der vor dem alten Stadion am Böllenfalltor als VIP-Areal dient. Auch hier wieder: Händeschütteln, Umarmungen und natürlich Dauerlächeln im Blitzlichtgewitter der Smartphones. Ohne die Anwesenheit von Fußball-Fan Petkovic, die gerne als schönstes Gesicht der Lilien bezeichnet wird, wäre dieser trübe Novemberabend eine trostlose Veranstaltung gewesen.

Nur für den in München geborenen Wagner (r., "Für mich gibt es nur ein Derby: Bayern gegen 1860!") ist das anstehende Spiel gegen Frankurt kein besonderes. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

"15 Punkte nach 14 Spielen sind absolut in Ordnung"

Es gehört zum Profifußball wie die Holzkohle zur Bratwurst, dass die Trainer an einer Nullnummer viel weniger auszusetzen haben als die Zuschauer. "Wir wollten wieder in die Spur finden, sauberer und aktiver verteidigen, die Laufwege zustellen und aggressiver in die Zweikämpfe gehen", urteilte Darmstadts Dirk Schuster hinterher. All diese Vorgaben, befand der einstige Verteidiger, habe seine Mannschaft befolgt, nachdem sie am vergangenen Sonntag beim Aufsteigerduell in Ingolstadt (1:3) die gewohnte Wehrhaftigkeit hatte vermissen lassen. Den Grundauftrag für den Freitagabend hatte seine Elf indes erfüllt, darauf ließ Darmstadts Trainer nichts kommen. Auch seine Spieler wollten partout das Positive herauskehren. Stürmer Sandro Wagner bilanzierte: "15 Punkte nach 14 Spielen sind absolut in Ordnung, jeder andere hätte das vor Saisonbeginn unterschrieben. Wir müssen einfach weiterkämpfen." Ein bisschen mehr Spielkultur wäre allerdings auch ganz hilfreich.

Darmstadt kommt vielleicht zupass, dass acht Tage Vorbereitungszeit für das nächste Spiel bleiben: das mit Spannung erwartete Hessenderby am Sonntag in einer Woche bei Eintracht Frankfurt. Nur für den in München geborenen Wagner ("Für mich gibt es nur ein Derby: Bayern gegen 1860!") sei das kein besonderes Spiel, der Rest der Kollegen sieht das etwas anders. Etwa Marcel Heller. "Ich hatte in Frankfurt meine längste Zeit als Profi. Nach einer schweren Rückenverletzung hat mir dort das Standing gefehlt, aber es war lehrreich für mich." Auch Jan Rosenthal oder Dominik Stroh-Engel haben eher unschöne Episoden in der Bankenstadt hinter sich.

33 Jahre hat es dieses Nachbarschaftsduell Frankfurt versus Darmstadt nicht gegeben, aber die Rivalität hat offenbar alle Jahrzehnte überlebt. Jedenfalls haben einige Wirrköpfe unter den Eintracht-Anhänger bereits ziemlich geschmacklose Plakate und Aufkleber verbreitet, die sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen haben. Dagegen klingt es fast ulkig, dass wiederum Frankfurter Fußballfans bei einer Online-Abstimmung kürzlich dafür sorgten, dass eine Darmstädter Autobahnbrücke rot statt blau getüncht wird.

Dirk Schuster versucht, mit dem Thema auf seine Weise umzugehen: "Die Nebenkriegsschauplätze interessieren mich nicht. Wir fahren nach Frankfurt, um ein ordentliches Spiel zu machen. Ansonsten vertrauen wir den Sicherheitskräften." Seine Devise also: Ball flach halten.

Bei Modeste wird die Torflaute zum Normalprogramm

Ähnlich pflegt ja auch der Kölner Kollege Peter Stöger, ehemals Schusters Mitspieler bei Admira Wacker Mödling, die Analyse vorzunehmen: unaufgeregt und besonnen. "Das war nichts für Feinschmecker - das war aber auch nicht zu erwarten", sagte der Österreicher, "wir haben aber das Spiel unter Kontrolle gehabt." Nützt freilich wenig, wenn speziell die Offensive der Rheinländer nur mit Wattebäuschen um sich wirft. In den vergangenen sieben Pflichtspielen hat der 1. FC Köln lediglich einmal Tore erzielt - beim 2:1-Derbysieg gegen Bayer Leverkusen. Ansonsten ist die Flaute das Normalprogramm.

Dazu gehört, dass der vielleicht etwas zu vorschnell als neuer Erlöser gefeierte Anthony Modeste momentan wie eine traurige Gestalt wirkt und zum siebten Mal in Serie ohne Tor blieb. Wenigstens verhielt sich der Torjäger a. D. bei seiner überfälligen Auswechslung anständig - und klatschte den gesamten Trainerstab artig ab. "Die Tore fehlen, klar, aber daran arbeiten wir", befand Mittelfeldmann Kevin Vogt. "Es wird die Zeit kommen, dass wir uns auch wieder belohnen." Es klang fast schon wie ein vorgezogener Wunsch zu Weihnachten.

© SZ vom 29.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: