Kommentar:Mit dem Dreizack

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Für olympische Sportarten geht es darum, die Menschen für etwas anderes als Fußball zu begeistern - die deutschen Winterstrategen sind da im Vorteil.

Von Volker Kreisl

Endlich Winter. Frischer Wind und Pulverschnee, heißt das. Aber draußen verzieht einfach nicht der Nebel. Die Landschaft ist farblos, die Kälte aggressiv. Die Hände werden rissig, und auf dem Fahrrad tränen die Augen. Wiesen und Wege sind voller Matsch, der am Hosenschaft trocknet, und mancher Rollsplitt lässt sich abends nur mit dem Messer wieder aus der Sohle pulen.

Doch stimmt das alles gar nicht, denn der deutsche Winter erstrahlt unter blauem Himmel. Echter Schnee liegt überall und im Hintergrund grüßen die Berge. Gut gelaunte Menschen reden, haben bunte Mützen mit riesigen Bommeln auf und freuen sich unentwegt. Freuen sich über den eigenen Sieg, über den der Mannschaft, oder darauf, die Nieder- lage bald wiedergutmachen zu dürfen. Der graue Winter draußen ist eine Illusion, in Wirklichkeit ist er weiß und positiv.

320 Stunden Live-Wintersport im TV - und an diesem Wochenende geht es los

Nach ersten Ausläufern bricht er an diesem Wochenende so richtig ein. Die ARD überträgt am Samstag mit kleinen Unterbrechungen von kurz vor neun bis abends um sechs: Biathlon, Skispringen, Kombination, Langlauf, Slalom, Skeleton, Bob, Rodeln. Und die Sitzungen im Sessel könnten danach Rekordzeiten erreichen. Die öffentlichen Sender planen bis Ende März 320 Stunden Live-Wintersport allein im herkömmlichen Fernsehen, nebenbei läuft fast alles auch im Spartensender Eurosport und in den Verästelungen des Internet-Streamings. Dass jenseits von Fußball Sommersport im öffentlichen Fernsehen immer seltener vorkommt, hat natürlich damit zu tun, dass eine virtuelle heile Welt bei realem Badewetter nicht funktioniert - aber nicht nur damit. Es liegt auch daran, dass der deutsche Wintersport zuletzt nicht so viel falsch gemacht hat.

Bis auf wenige Sparten (zum Beispiel Eisschnelllauf) bekommen die Disziplinen ihre Probleme offenbar in den Griff. In der Materialentwicklung im Bobsport zanken nicht länger Theoretiker mit Praktikern. Im Biathlon erhalten Talente wieder genügend Zeit für die Entwicklung einer ruhigen Hand. Mit neuen Trainern und langfristigen Plänen arbeiten nun auch die Alpin- und Langlaufabteilungen. Skispringer und Kombinierer profitieren schon länger von diesem Ansatz. Hermann Weinbuch, Trainer der Kombinierer, hat einen neuen Begriff für sein Team, in dem sich die Top-Leute gegenseitig fordern. Erst war da nur ein Vorreiter, dann eine Doppelspitze, und nun hat er einen "Dreispitz" (Eric Frenzel, Johannes Rydzek und Fabian Rießle). In der Eisrinne, auf der Schanze und teils im Biathlon entwickeln sich weitere Dreizacke.

Die Menschen für etwas anderes als Fußball zu begeistern - das ist die große Herausforderung

Für alle olympischen Sportarten geht es dauerhaft darum, die Menschen für etwas anderes als für Fußball und Formel 1 zu begeistern, und da sind die deutschen Winterstrategen denen des Sommers voraus. Viele Sommerdisziplinen verlieren bald ihre Plakatfiguren, die Schwimmer etwa Paul Biedermann oder die Turner Fabian Hambüchen. Aber es fehlt auch eine intelligente Zusammenarbeit. Acht Stunden Live-Hopping im Winter geht nur, weil die Planungen der Weltverbände und Fernsehsender gut ineinander greifen. Im Sommer ist das undenkbar. Die Märkte sind zu vielseitig, die Verbände denken aneinander vorbei, und wöchentliche Weltcupserien gibt es nicht.

Also auch nicht die Möglichkeit des Zuschauers, die Welt draußen zu vergessen, weil er dank immer neuer Kameraperspektiven selber rodelt, schießt und abfährt. Bis Ende März.

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