Boxen:Klitschko gegen Fury - Kampf der Köpfe

Boxen: Wladimir Klitschko und Tyson Fury (re.): Viel-Denker gegen Nicht-Denker

Wladimir Klitschko und Tyson Fury (re.): Viel-Denker gegen Nicht-Denker

(Foto: AP)
  • Die Unberechenbarkeit ist Tyson Furys größte Stärke.
  • Körperlich überragt er Wladimir Klitschko um acht Zentimeter, trotzdem gilt er als Außenseiter bei dem Kampf in Düsseldorf.

Von Benedikt Warmbrunn

Als der Boxer Wladimir Klitschko erstmals in einem Profikampf richtig schmerzhaft zu Boden geschlagen wurde, durch die Faust von Corrie Sanders, stürmte er sofort wieder auf diesen zu, er wollte sich rächen, er war gekränkt. Er, der 198-Zentimeter-Mann, fühlte sich auf einmal ganz klein. Klitschko war nicht das erste Mal am Boden, doch zuvor waren es Ausrutscher, Unkonzentriertheiten, körperliche Schwäche gewesen. Aber nun, gegen Sanders, hörte Klitschko auf, das zu machen, was ihn stark macht. Er hörte auf zu denken.

Als der Boxer Tyson Fury erstmals in einem Profikampf richtig schmerzhaft zu Boden geschlagen wurde, durch die Faust von Neven Pajkic, stand er gemächlich auf, er blieb ruhig. Er, der 206-Zentimeter-Mann, fühlte sich weiter groß und unbezwingbar. Fury war das erste Mal am Boden. Aber er machte weiter das, was ihn stark macht. Er dachte nicht darüber nach.

Wenn an diesem Samstag, zwölf Jahre nach Klitschkos Niederlage in der zweiten Runde gegen Sanders, vier Jahre nach Furys Sieg in der dritten Runde gegen Pajkic, die beiden in Düsseldorf gegeneinander antreten, wird das also nicht allein ein Kampf der Fäuste. Es wird ein Kampf der Köpfe.

In den vergangenen Jahren liefen Klitschkos Kämpfe nach einem einfachen und doch genialen Muster ab. Wenn er als Boxer denkt, sieht er jede Bewegung seines Gegners, und in jede dieser Bewegungen schmettert er seine linke Gerade hinein. Egal, was der Gegner macht, ihn trifft diese linke Gerade, und weil Klitschko selbst mit seiner Größe und seiner aufrechten, zurückgelehnten Haltung kaum zu treffen ist, wird der Gegner Schlag für Schlag entkräftet, der Kopf noch schneller als der Körper. Denkt der Boxer Klitschko, ist er ein Stratege, ein Psychologe.

Das Duell mit Fury verspricht jedoch anders zu werden. Der Brite ist nicht der technisch oder körperlich stärkste Gegner Klitschkos. Aber er sucht den Kampf genau wie der Ukrainer im Kopf, dort also, wo der letztlich jeder Kampf entschieden wird. Dort, wo sich auch ein starker Mann erst als starker Mann behaupten muss.

"Ich bin jetzt schon in seinem Kopf"

Fury sagt seit: "Ich bin unberechenbar. Alle Psychologen hassen Unberechenbarkeit. Ich bin jetzt schon in seinem Kopf."

Tyson Luke Fury, 27, stammt aus einer Familie der irischen Traveller, einer Familie, die sich ganz einer Nomaden-Kultur verbunden sieht. Die Familie steht in dieser Kultur über allem, sie ist so wichtig, dass die Mitglieder auch nicht vor sozialer, ökonomischer oder rechtlicher Ausgrenzung zurückschrecken. Das Reisen ist nicht nur ein räumliches, sondern eines über alle Normen hinweg.

In der Familie Fury zum Beispiel war der Boxsport das Wichtigste. Onkel Peter boxte. Vater John boxte, erst als ein sogenannter Bare Knuckle Fighter, ein Kämpfer also, der ohne Handschuhe boxte, wie in einem Straßenkampf. Später war er einer der besten irischen Schwergewichtsboxer, er nannte sich so, wie seine Familie oft beschimpft wurde: Gypsy. Seinen Sohn benannte er nach einem Boxer, der auch gegen jede Konvention verstieß, nach Mike Tyson.

Fury lässt sich nicht irritieren

Wie seine Cousins Hughie Fury und Andy Lee, zurzeit Weltmeister im Mittelgewicht, entschied sich auch Tyson für eine Karriere als Boxer, er nennt sich: Gypsy King. Egal, was er macht, seine Familie steht hinter ihm. Oft nur seine Familie.

Auf der ersten gemeinsamen Pressekonferenz mit Klitschko setzte sich Fury in einem Batman-Kostüm aufs Podium, er prügelte sich mit einem Mann im Joker-Kostüm, er beschimpfte Klitschko und dessen Team. Dass er den Weltmeister im Schwergewicht einen "Idioten" nannte, war noch das harmloseste Wort.

Auch sonst ließ Fury in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit aus, um Klitschko zu beleidigen, und wenn er gerade nicht Klitschko beleidigte, verstörte er dennoch, zum Beispiel mit Interviews, in denen er Homosexuelle und Abtreibungen verurteilte und vom Ende der Welt sprach. Klitschko, 39, hat sich für seine Verhältnisse ungewöhnlich weit auf dieses Psycho-Spielchen eingelassen, auch wenn er ganz der gelassene Weltmann blieb. So ließ er sich bei einer Eisdusche filmen, dazu schrieb er: "Tyson Fury kann so viel heiße Luft bringen, wie er will, ich bleibe cool."

"Es stimmt, ich bin ein Verrückter"

Fury entgegnete darauf, ausnahmsweise gelassen: "Es stimmt, ich bin ein Verrückter. Genau das ist aber Wladimirs Problem. Er steht einem kranken Kerl gegenüber, bei dem er nicht weiß, woran er ist."

So stur, so eigenwillig, so selbstüberzeugt ist Fury auch als Boxer, egal, was sein Gegner macht, er lässt sich nicht irritieren. Im Ring ist er zudem nicht ganz so wild, er stürmt nicht blind auf seine Gegner zu, auch er versucht, sie mürbe zu machen. Zudem hat er eine nicht zu unterschätzende Technik, er kann seine Auslage wechseln, also einmal seine Angriffe mit der linken Faust führen, dann wieder mit der rechten. Er ist also: unberechenbar. Das ist auch sein Ziel gegen Klitschko: Dass dieser nicht mehr weiter weiß, dass er mehr riskieren muss als sonst. Dass er aufhört zu denken.

Und trotzdem ist auch Fury gegen Klitschko der Außenseiter, zumindest aber der gefährlichste Außenseiter der vergangenen Jahre. Ob es doch zu mehr reicht, entscheidet sich allein in Furys Kopf. Dann, wenn er ganz ruhig bleibt, obwohl er wieder und wieder von dieser einfachen und doch genialen linken Gerade getroffen wurde.

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