Tennis:Murrays Marsmission beschert den Briten den Davis-Cup

Lesezeit: 3 min

Der Held einer ganzen Tennisnation: Andy Murray feiert den britischen Davis-Cup-Sieg (Foto: Getty Images)
  • Nach 79 Jahren gewinnt Großbritannien erstmals wieder den Davis Cup im Tennis.
  • Möglich macht das der Schotte Andy Murray, der alle seine Matches in diesem Jahr gewinnt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen im Tennis.

Von Matthias Schmid

Es ist nicht überliefert, ob Boris Becker gerade gemütlich auf seiner Couch in seinem Haus in Wimbledon saß, als er am Sonntagabend in sein Mobiltelefon folgende Zeilen tippte. "Großartiger Andy Murray", twitterte der Wahl-Londoner also, der sich ja mit Siegen im Davis Cup auskennt, seit er Deutschland 1988 und 1989 zwei Triumphe in diesem Mannschaftswettbewerb geschenkt hat. "Ihr Jungs habt heute Geschichte geschrieben."

Im Sport sind Superlative oder historische Vergleiche meistens schnell und inflationär ausgesprochen, doch der 28-jährige Andy Murray ist in der Tat ein Sportler, der die britische Tennishistorie regelmäßig umschreibt. Sein US-Open-Sieg im Jahre 2012 war der erste Grand-Slam-Titel eines Briten nach 76 Jahren, 2013 bescherte er beim ältesten und bedeutendsten Tennisturnier der Welt in Wimbledon seinen Landsleuten die erste Trophäe eines Einheimischen nach 77 Jahren. Und am Sonntag nun holte er mit dem dritten Punkt an diesem Wochenende im belgischen Gent den ersten britischen Davis-Cup-Sieg seit 79 Jahren.

Tennisspieler Andy und Jamie Murray
:Einer ist Nationalheld, einer fährt U-Bahn

Wimbledon, Olympia - und jetzt der Davis Cup? Andy Murray will seine Karriere krönen. Dafür braucht er Hilfe von seinem Bruder Jamie.

Von Lisa Sonnabend

Murray hat schon einiges erlebt in seiner Karriere, er musste auch viel Gespött aushalten, Anfeindungen und Beleidigungen ertragen, weil er es lange nicht schaffte, seine Begabung in große Siege umzuwandeln. Auch nach seinen Major-Erfolgen und Gold bei Olympia 2012 in London wurde er lange nur respektiert, innige Zuneigung oder gar echte Liebe hatte er auf der Insel kaum erfahren. Das dürfte sich jetzt durch den mit einem Rückhandlob verwandelten Matchball gegen David Goffin ändern. "Die Geister der Vergangenheit zu besiegen, ist Murrays Spezialität. Das war ein Moment größten Stolzes für den britischen Tennissport", schrieb zum Beispiel der Guardian.

Selbst Premierminister David Cameron, am Sonntag zu Beratungen im 60 Kilometer entfernten Brüssel, gratulierte umgehend. "Der erste Titel seit 79 Jahren. Absolut aufregend für jeden in unserem Land", befand Cameron.

Murray war nach dem letzten Punkt in den Sand gesunken, ungläubig hielt er sich die Hände vors Gesicht, wie das Menschen in Momenten des Gefühlausbruchs so machen, wenn das Gehirn nicht mehr zentrale Instanz des Handelns ist. "Ich war nach einem Sieg noch nie emotionaler als heute. Es wird einige Tage dauern, bis das alles sacken wird und ich das realisieren kann", bekannte der Schotte aus Dunblane: "Ich hätte niemals geahnt, dass so ein Triumph für uns möglich werden könnte."

Einzelkarriere und Davis Cup passen eigentlich nicht zusammen

Ein bemannter Flug zum Mars schien wahrscheinlicher zu sein als ein weiterer Sieg Großbritanniens im Davis Cup. Vor fünf Jahren musste das Team noch gegen die Türkei gewinnen, um den Abstieg in der Afrika-/Europa-Gruppe II zu vermeiden, in der sich die kleinsten Tennisnationen tummeln. Dass die Briten wieder zurück sind unter den feinsten Adressen im Tennissport, hängt allein mit Andy Murray und seinem Hang zur Selbstlosigkeit zusammen. Der Weltranglistenzweite hatte sich in diesem Jahr dazu durchringen können, den anstrengenden und mit der Einzelkarriere eigentlich nicht zu vereinbarenden Mannschaftswettbewerb zu einem Einzelunternehmen mit Familienanschluss umzufunktionieren.

Die Briten haben in ihm und seinem Bruder Jamie, einem reinen Doppelspezialisten, nur zwei Spieler, die mit den besten des Planeten mithalten und sie auch schlagen können. Allein die beiden machten sie gegen Belgien zu Favoriten, weil in der besonderen Arithmetik des Davis Cups zwei Einzel und ein Doppel für den Gesamtsieg ausreichen. Der Rechtshänder mit dem wuchtigen Aufschlag, den schnellen Beinen und den kraftvollen Grundschlägen spielte dabei gegen Belgien nicht einmal sein aufregendstes Tennis. Aber Murray war ganz bei sich, es hatte ja schon oft dramatische Geschichten im Davis Cup gegeben, in denen der David über sich hinausgewachsen war.

Doch Goliath Murray ließ sich nicht beeindrucken und gewann als erster Tennisprofi seit 20 Jahren alle seine drei Matches in einem Endspiel und baute seine imposante Bilanz in diesem Wettbewerb auf 11:0 Siege in diesem Jahr aus. Er war sogar so gut, dass er sich in der Nacht vor dem wichtigsten Match seiner Karriere eine kleine Sünde erlauben konnte. Er blieb am Samstagabend auf, um sich den WM-Schwergewichtskampf zwischen Tyson Fury und Wladimir Klitschko anzusehen. "Ich war aufgeregt, weil es nicht die schlaueste Vorbereitung für mich war", gab Murray zu. Der Außenseiter-Sieg seines Landsmanns war ihm wohl ein inspirierendes Beispiel. Er hatte anschließend den belgischen Außenseiter David Goffin nicht unterschätzt.

Macht Murray weiter?

Aber vor allem der Doppelsieg an der Seite seines Bruders verwandelte den oft spröde wirkenden Schotten in einen sentimentalen Menschen. "Wir alle werden dieses Jahr für den Rest unseres Lebens nicht mehr vergessen, egal, was da alles noch kommen möge", gestand Murray.

Ob er und der Trainer Leon Smith auch im kommenden Jahr weitermachen und versuchen, das Kunststück zu wiederholen? Keine Ahnung, antworteten die beiden. "Es ist jetzt nicht an der Zeit darüber nachzudenken. Wir sollten den besonderen Moment lieber genießen", fügte Smith hinzu. In London stünde ja unter Umständen ein Nachfolger bereit, der sich als Trainer des Weltranglistenersten Novak Djokovic einen exzellenten Ruf auf der Tour erworben hat: Boris Becker. Vielleicht hat er noch Zeit.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: