Studium:Studenten müssen bald mehr recherchieren

  • Von Januar 2016 an müssen Universitäten urheberrechtlich geschützte Quellen in Vorlesungsskripten an die VG Wort melden.
  • Den Unis steht ein riesiger bürokratischer Aufwand bevor.
  • Für die Studenten könnte die Neuerung bedeuten, dass Dozenten künftig ganz oder teilweise auf die Herausgabe digitaler Skripte verzichten.

Analyse von Matthias Kohlmaier

Wenn zuletzt über das Urheberrecht an Universitäten gesprochen wurde, dann meistens, weil irgendwer von irgendwem abgeschrieben hatte, ohne das ordentlich kenntlich zu machen. Für viele Studenten war das erheiternd, direkt betroffen waren sie aber kaum. Das könnte sich von Januar 2016 an ändern. Dann wird an den Hochschulen mit großer Wahrscheinlichkeit eine neue, völlig anders geartete Diskussion um Urheberrechte beginnen.

Grund dafür ist die Verwertungsgesellschaft Wort, kurz VG Wort, ein Zusammenschluss von Autoren und Verlagen, der Tantiemen aus Zweitnutzungsrechten einnimmt und an die Urheber weitergibt. Wenn in einem digital von der Uni bereitgestellten Skript zu einer Vorlesung urheberrechtlich geschützte Zitate oder Quellen verwendet wurden, konnten die Unis das bisher mit recht geringem Aufwand pauschal abrechnen. Die VG Wort aber hat gerichtlich erstritten, dass künftig jede Seite aus einem Skript einzeln gemeldet und bezahlt werden muss. Das gilt selbst dann, wenn das Skript vom Dozenten passwortgeschützt nur einer Handvoll Semiarteilnehmern zugänglich gemacht wird.

Das klingt erst einmal staubtrocken, die Regelung wird aber für Dozenten und Studenten gleichermaßen unangenehme Folgen haben. "Was da auf uns zukommt, wird mit einem riesigen bürokratischen Aufwand verbunden sein", sagt Elektrotechnik-Professor Georg Passig von der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI). Er hatte vor einigen Wochen schon in einem vielfach geteilten Blog-Beitrag im Tumblr Techniktagebuch auf das Problem hingewiesen.

Literaturliste statt digitales Skript

Denn Dozenten und Mitarbeiter der Unis müssen wegen der neuen Regelung nicht nur alle digital verfügbaren Skripte nach Quellen durchforsten, die dann an die VG Wort gemeldet werden müssen. Der Paragraf 52a Urheberrechtsgesetz verlangt auch, dass zu jeder Quelle recherchiert werden muss, ob Studierende sie nicht auch anderweitig online finden könnten. "Ist eine Quelle elektronisch verfügbar, dann hat sie in meinem Skript nichts verloren und ich darf den Studierenden an der Stelle nur einen Link präsentieren", sagt Passig.

Für Studenten könnte das bedeuten: Skripte werden zerrupft, weil Dozenten statt Zitaten, Diagrammen oder anderen Werkauszügen nur noch einen Link eintragen dürfen. Oder noch schlimmer: Dozenten stellen wegen des hohen Arbeitsaufwands und der unsicheren Rechtslage gar kein Skript mehr zur Verfügung. Passig schreibt in seinem Blog von Kollegen, die "auf die Herausgabe eines Skripts in elektronischer Form lieber ganz verzichten, nur Literaturlisten verteilen und in der Vorlesung komplett auf das gute alte Vorlesen setzen" könnten.

Bei den Studenten ist das Problem noch nicht angekommen

Wie viel Arbeit Universitäten und ihre Mitarbeiter nach dem neuen Meldeverfahren bei der VG Wort tatsächlich hätten, hat die Uni Osnabrück in einem Pilotprojekt ein Semester lang getestet. Demnach scheuten viele Dozenten den großen Aufwand und überließen den Studierenden die Literaturbeschaffung. "Knapp zwei Drittel der Studierenden gaben an, dass sich im Semester des Piloteinsatzes der Aufwand für die Literaturbeschaffung erhöht (36%) bzw. sogar stark erhöht (26%) hat", schreiben die Projektleiter.

Eine "Katastrophe" für Lehre, Studenten und Serviceabteilungen der Unis befürchtet auch Barbara Rehr, Kanzlerin der THI. An ihrer Hochschule werde man noch in diesem Jahr Schulungen für das wissenschaftliche Personal anbieten, um die rechtliche Lage in Sachen VG Wort zu vermitteln. Immerhin, so Rehr, liefen die Verhandlungen mit der VG Bild-Kunst - quasi die VG Wort für Bilder oder Grafiken - besser. Es sei wahrscheinlich, dass in Skripten verwendete Fotos weiterhin pauschal abgerechnet werden könnten und nicht einzeln gemeldet werden müssten.

Die VG Wort hat unterdessen auf die Erkenntnisse des Pilotprojekts in Osnabrück reagiert. Sprecherin Angelika Schindel sagt, man führe abstimmende Gespräche mit den Ländern, "um sorgfältig zu prüfen, welche Vereinfachungsmöglichkeiten für das Meldeverfahren zu Intranetnutzungen an Hochschulen gemäß § 52a bestehen".

Und was sagen Studenten dazu, dass womöglich schon bald viele Dozenten wieder Literaturlisten verteilen und es kaum noch digitale Skripte geben könnte? Wenig, das Problem ist bisher kaum bei ihnen angekommen. Selbst das Deutsche Studentenwerk schreibt, man habe sich "in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr wirklich" mit dem Thema befasst. Das dürfte sich bald ändern.

Uni-Städte in Deutschland

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