Peter Piot:Ebola: "Die Krankheit kann jederzeit wieder aufflammen"

Peter Piot: Der Belgier Peter Piot ist einer der Entdecker des Ebola-Virus. Er hat für die WHO in der Aids-Forschung gearbeitet und war Direktor von UNAIDS. Heute leitet er die London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Der Belgier Peter Piot ist einer der Entdecker des Ebola-Virus. Er hat für die WHO in der Aids-Forschung gearbeitet und war Direktor von UNAIDS. Heute leitet er die London School of Hygiene and Tropical Medicine.

(Foto: Heidi Larson)

Peter Piot untersuchte 1976 den ersten Ebola-Ausbruch in Afrika - mit einer Ausrüstung, die heute unvorstellbar ist. Dass er nicht selbst erkrankte, war pures Glück. Seither weiß er, wie unberechenbar Seuchen verlaufen können.

Interview von Berit Uhlmann

SZ: Als Sie 1976 den ersten Ebola-Ausbruch im damaligen Zaire untersuchten, waren Sie gar nicht auf eine derart gefährliche Aufgabe vorbereitet ...

Peter Piot: Das stimmt, ich war eindeutig nicht qualifiziert. Ich war nie zuvor in Afrika gewesen, ich hatte keine Erfahrung mit Ausbrüchen oder hochpathogenen Erregern. Aber ich bekam am Tropeninstitut in Antwerpen eine Probe zugeschickt, war sehr motiviert, und so schickte mich mein Chef nach Zaire. Unsere Ausrüstung war simpel: Ich trug Handschuhe, einen Mundschutz und eine Motorradbrille.

So kamen Sie in Kontakt mit Erkrankten?

Ja, wir zogen von Dorf zu Dorf, berührten die Kranken und nahmen Blut ab. Glücklicherweise passierte uns nichts. Wir entdeckten, dass unter den jüngeren Opfern deutlich mehr Frauen waren. Wir brauchten einige Zeit, um darauf zu kommen, was sie von Männern unterschied.

Und zwar?

Frauen werden schwanger. Es stellte sich heraus, dass sehr viele der verstorbenen Frauen ein Kind erwarteten und zur Vorsorge dieselbe Klinik aufgesucht hatten. Dort verabreichten ihnen belgische Nonnen Vitaminspritzen - nebenbei bemerkt: eine überflüssige Maßnahme. Die Schwestern hatten lediglich eine Handvoll Spritzen zur Verfügung, die sie immer wieder verwendeten, ohne sie ausreichend zu sterilisieren. Unwissentlich haben sie damit das Ebola-Virus verbreitet. Mir wurde damals sehr deutlich klar, dass es nicht ausreicht, Gutes tun zu wollen.

Als Sie in Zaire ankamen, sanken die Erkrankungszahlen bereits wieder. Was wäre passiert, wenn der Ausbruch so groß geworden wäre wie der aktuelle?

Es gab damals zwei Fälle in Kinshasa. Unsere größte Angst war, dass sich das Virus in der Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern verbreiten könnte. Wäre der Erreger in die Slums vorgedrungen, hätten wir wahrscheinlich etwas Vergleichbares erlebt wie zuletzt in Westafrika. Auch weil die Beerdigungsrituale ähnlich waren. Die Menschen hatten enge Kontakte zu Verstorbenen und brachten sie zur Bestattung in ihre Heimatorte. In Westafrika setzten sich Angehörige in ein Taxi, den Toten zwischen sich, und fuhren heim. So kann sich die Krankheit ausbreiten. Wir hatten einfach Glück, dass es 1976 zu keinem größeren Ausbruch in Kinshasa kam.

Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass Ebola einen Ausbruch verursacht wie 2014 in Westafrika?

Nein, und wenn ich ehrlich bin, habe ich am Anfang auch nicht daran geglaubt, dass es ein großer Ausbruch wird. Selbst als Ärzte ohne Grenzen im Juni 2014 warnte, dass die Situation außer Kontrolle sei, war ich zunächst skeptisch. Hilfsorganisationen haben manchmal eine drastische Wortwahl. Doch noch im selben Monat flog ich nach Conakry und bemerkte: Wir stecken in großen Schwierigkeiten.

Was haben Sie dann getan?

Ich ging zu CNN in die Sendung von Christiane Amanpour und forderte, den Notstand auszurufen und eine nahezu militärische Infektionskontrolle einzuleiten. Kurz danach fragte ich mich, ob ich vielleicht zu weit gegangen war, aber im Grunde glaube ich, dass ich recht hatte. Wir ermunterten auch Studenten unserer Schule, nach Westafrika zu gehen, und begannen zu forschen - wie übrigens auch Wissenschaftler in Deutschland. Das Robert-Koch-Institut hat einiges geleistet. Doch leider ist die Forschungslandschaft in Deutschland so zersplittert, dass international kaum wahrgenommen wird, welchen Beitrag das Land leistet.

Das gilt auch für Ihr Fachgebiet: Public Health.

Das stimmt. Vor einiger Zeit kritisierten die Leopoldina und die anderen Akademien den Zustand der Gesundheitsforschung in Deutschland. Ich war ein externer Gutachter der Stellungnahme. Ich denke, Deutschland könnte auf diesem Gebiet viel besser dastehen. Public Health als Wissenschaft verdankt Deutschland einen großen Teil seiner Entstehung. Schauen Sie sich unsere Schule an, wir tragen das Wort "Hygiene" im Titel. Deutschland hatte einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung von Hygienemaßnahmen.

"Die WHO sollte sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren"

Vor Kurzem haben Sie zusammen mit Kollegen die WHO stark kritisiert . . .

Ja, ich war sehr kritisch. Ich finde, die Welt sollte den jetzigen Zustand der Organisation nicht hinnehmen. Wir brauchen die WHO, aber eine kompetente WHO, die für die Menschen arbeitet und nicht für die Gesundheitsministerien. Eines der größten Probleme ist, dass die Mitgliedsstaaten permanent mehr von der WHO einfordern; dies muss getan werden und jenes. Im Grunde muss die Organisation weniger, das aber besser machen.

Welche Aktivitäten sind überflüssig?

Eine Menge Angestellte sind mit Forschung beschäftigt. Doch die ist besser in Universitäten und anderen Einrichtungen aufgehoben. Die WHO sollte sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: die Bekämpfung von Krankheiten.

Es gab schon viele Reformvorschläge. Will sich die WHO überhaupt ändern?

Ich bin grundsätzlich skeptisch, dass große Organisationen an Veränderungen interessiert sind. Aber es ist gut möglich, dass die WHO ihr Vorgehen bei Epidemien reformiert. Ebola hat den Anstoß dazu gegeben.

Im Fall von Ebola musste sich die Weltgesundheitsorganisation vorwerfen lassen, viel zu spät den Gesundheitsnotfall ausgerufen zu haben. Auf der anderen Seite: Wie oft kann man diesen Alarm auslösen?

Ich würde mir lieber vorwerfen lassen, zu viel als nicht genug getan zu haben. Der Notfall muss in Zukunft schneller ausgerufen werden können. Es muss dazu ein ständiges Gremium geben, und nicht eines, das erst zusammentritt, wenn die Direktorin es einberuft. Außerdem muss es frei von politischem Einfluss bleiben - zumindest am Anfang, wenn es noch um die Analyse der Lage geht.

Sie hatten in Ihrem Leben mit zwei neuen Erregern zu tun, beide schwer berechenbar: Ebola und Aids. Was haben wir von denen noch zu erwarten?

Das Ebola-Virus wird mit Sicherheit noch weitere Ausbrüche verursachen. Die Krankheit kann jederzeit wieder aufflammen. Bereits Genesende können erneut erkranken. Es gab den Fall einer britischen Krankenschwester, die später eine Meningitis entwickelte. Ich mache mir auch Sorgen um die psychischen Langzeitfolgen von Ebola in Westafrika. Sie werden viel zu wenig beachtet.

Und Aids? Es gibt den Plan, die Krankheit bis 2030 zu besiegen. Wie optimistisch sind Sie?

Ich glaube nicht, dass wir das ohne einen Impfstoff schaffen. Allein in London werden jeden Tag fünf homosexuelle Männer neu mit HIV diagnostiziert. Dabei haben wir eine gute Diagnostik und Versorgung und kaum mehr Diskriminierung. Oder schauen Sie nach Südafrika. Drei bis sechs Prozent der Frauen infizieren sich jedes Jahr. Eine Strategie, die allein auf die Behandlung setzt, wird scheitern. Ein anderes Problem ist Russland: Die dortige Regierung ist homophob und sperrt sich gegen Methadon-Programme für Drogensüchtige. Die Menschen sterben, und nichts geschieht. Es war einer meiner größten Misserfolge als UNAIDS-Direktor, dass ich in Russland nichts bewirken konnte. Ich bin so oft hingefahren, doch die Regierung hat sich nicht einen Zentimeter bewegt. Dennoch können wir gegen Aids mehr tun als bisher.

Was ist die vorrangigste Aufgabe?

Wir müssen die ärmsten Länder unterstützen. Sie werden es allein nicht schaffen, die Erkrankung einzudämmen. Im Jahr 2016 muss der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids erneut gefüllt werden. Ich halte es für die wichtigste Aufgabe der kommenden Jahre, dass das Geld sichergestellt wird. Ansonsten werden Millionen Menschen an Aids sterben.

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