Kommentar:Schizophrene Verbraucher

Lesezeit: 2 min

Zwischen den Ansprüchen an die Art und Weise des Wirtschaftens, wie sie Konsumenten in Umfragen formulieren, und der Realität klafft eine Lücke. Frühere Generationen waren kreativer und engagierter.

Von Caspar Dohmen

Verbraucher haben großen Einfluss auf das reale wirtschaftliche Geschehen, fragen sie doch täglich alleine in Deutschland für mehr als eine halbe Milliarde Euro Waren und Dienstleistungen nach. Was sie verschmähen, verschwindet aus dem Angebot. Verbraucher beeinflussen auch die Wirtschaftsstruktur, wenn sie sich beispielsweise zwischen dem Laden in der Innenstadt oder einem Onlinehändler entscheiden. Allerdings gibt es eine eklatante Lücke zwischen den Ansprüchen an die Art und Weise des Wirtschaftens, die Verbraucher regelmäßig in Umfragen formulieren, und ihren tatsächlichen Entscheidungen. Ständig befördern Verbraucher wirtschaftliche Entwicklungen, die sie eigentlich ablehnen, sie handeln schizophren.

Viel wäre schon erreicht, wenn Konsumenten das kaufen, was sie laut Umfragen eigentlich wollen

Die Mehrheit der Bundesbürger ist beispielsweise strikt gegen die Abschaffung des Bargeldes. Aus gutem Grund. Sie möchten unter anderem verhindern, dass künftig jede ihrer Zahlungen erfasst und sie damit vollends zum gläsernen Konsumenten werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Menschen beim Bezahlen immer weniger Bargeld benutzen. Darunter werden auch viele glühende Verteidiger des Bargeldes sein. Sie zahlen aber selbst immer öfter elektronisch, weil sie es bequemer oder günstiger finden, und befördern damit eine Entwicklung, die am Ende des Tages de facto zur Abschaffung von Bargeld führen könnte.

Tatsächlich handeln Verbraucher massenhaft inkonsequent: Wie groß war der Zorn über Banken nach der Finanzkrise, als Steuerzahler für deren misslungene Geschäfte geradestehen mussten. Aktivisten riefen Verbraucher auf, ihre "Kröten wandern" zu lassen, forderten sie also auf, zu einer der Banken zu wechseln, die beim Geldgeschäft generell auch soziale und ökologische Kriterien zugrunde legen, etwa ein Dutzend in Deutschland. Einige wechselten, eine Massenbewegung wurde daraus nicht. In Umfragen lehnen viele Verbraucher eine industrielle Landwirtschaft ab. Sie schwärmen von einer bäuerlichen, ökologischen und nicht auf fossilen Brennstoffen basierenden Landwirtschaft als Zukunftsmodell für die Ernährung der Menschheit. Ihr Ziel werden sie aber kaum erreichen, wenn sie beim Discounter einkaufen. Im knallharten Preisdruck machen dort am Ende eben industrielle Agrarbetriebe als Lieferanten das Rennen, mögen auf den Produkten auch idyllische Bauernhöfe abgebildet sein. Und das gilt gleichermaßen für konventionelle und biologische Waren.

Natürlich kann ein Verbraucher die Welt nicht retten. Aber viel wäre schon gewonnen, wenn die Verbraucher entsprechend ihren Überzeugungen handeln und die Spielräume nutzen würden, die ihnen ihr Einkommen gibt. Noch mehr wäre möglich, wenn Verbraucher sich stärker organisieren und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern würden. Frühere Generationen waren kreativer und engagierter unter härteren Bedingungen als heute.

Da waren die Arbeiter zu Anfang der industriellen Revolution in England, die es nicht hinnehmen wollten, dass sie ständig von den Händlern übervorteilt wurden, die nicht einmal davor zurückschreckten, Nudeln mit Urin gelb zu färben oder alten Fisch mit Rinderblut aufzufrischen. 28 Weber gründeten deswegen 1844 in Rochdale einen Konsumverein, der einen eigenen Laden eröffnete. Bald gab es Hunderte solcher Einkaufsgenossenschaften in England, und die Idee wurde auch andernorts populär.

Da waren Anfang des 20. Jahrhunderts unzufriedene Verbraucher in den USA. Sie wollten sich nicht mehr auf die Werbung und sonstigen Angaben der Hersteller verlassen, die häufig geschönt waren. Sie gründeten Vereinigungen, die Produkte testeten, und entwickelten die Idee von den Grundrechten eines jeden Konsumenten, die US-Präsident John F. Kennedy in den 60er-Jahren aufgriff. Da waren Verbraucher in den westlichen Industrieländern, die Anfang der 70er-Jahre Weltläden gründeten, um Waren von Kleinproduzenten aus dem Süden zu verkaufen, vorbei an den herkömmlichen Handelsstrukturen. Daraus wurde eine Bewegung.

Natürlich organisieren sich Verbraucher auch heute, teilen beispielsweise Produkte oder kooperieren als Gruppe mit einem Biobauern. Angesichts der heute wesentlich einfacheren Formen der Vernetzung und Organisation nehmen sich die Aktivitäten der heutigen Verbrauchergeneration jedoch ziemlich bescheiden aus. Fantasie ist gefragt. Verbraucher könnten beispielsweise die Idee der Konsumgenossenschaft ins 21.Jahrhundert übertragen, indem sie einen globalen Internethandel gründen würden, der nur Waren verkauft nach Kriterien, die sich die Mitglieder selbst vorgeben. So entstünde eine faire Konkurrenz zu Amazon & Co.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: