Garnelen:Kinderhände in Eiswasser

Fischerei in Thailand

Ein Mann sortiert Garnelen in Thailand. Die Arbeitsbedingungen in den Fischfabriken werden als katastrophal beschrieben.

(Foto: Barbara Walton/dpa)

In Thailand pulen Sklaven Garnelen für die Vereinigten Staaten und Europa. Die Arbeitsbedingungen in den Fischfabriken sind katastrophal.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Der Verdächtige ist ein alter Bekannter, die Vorwürfe erscheinen schrecklich vertraut, und doch: Was Reporter der Nachrichtenagentur AP jetzt in aufwendigen Recherchen über Thailand und die Zustände in der dortigen Shrimp-Industrie herausgefunden haben, bestürzt in den USA Politiker, Verbraucher und Menschenrechtsorganisationen. Frauen und Männer werden auf Farmen und Fischerbooten als Sklaven gehalten, Kinder müssen 16 Stunden am Tag im Eiswasser Garnelen pulen, wer sich wehrt, wird misshandelt. Und die Regierung in Bangkok? Schaut zu.

Bei praktisch allen großen US-Lebensmittelanbietern - von traditionellen Ketten wie Walmart oder Target bis zu Bio-Riesen wie Whole Foods - fanden die AP-Journalisten Meeresfrüchte, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass an ihrer Herstellung Sklaven beteiligt waren. Der konkrete Nachweis ist oft schwierig, weil die Garnelen vor dem Abpacken mit Lieferungen aus regulären Fabriken vermischt werden. Nach den Richtlinien der Vereinten Nationen gilt der Sklavereiverdacht aber für Exporte aus Thailand generell, da unstrittig ist, dass in dem Land Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Auch Supermärkte in Deutschland und anderen europäischen Staaten sollen betroffen sein, hier liegen aber noch keine Details vor.

Allein die Amerikaner essen pro Jahr 600 000 Tonnen Shrimps, einer der größten Umschlagplätze für die Schalentiere ist Thailand. Für die dortige Regierung ist die Meeresfrüchte-Industrie mit einem jährlichen Umsatz von sieben Milliarden Dollar ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Behörden schauen deshalb bei Gesetzesverstößen gerne weg. Es wird sogar von Fällen berichtet, bei denen die Polizei Razzien in Fischereibetrieben durchführte, nur um befreite Zwangsarbeiter anschließend selbst an Unternehmen verschachern zu können.

Die Leidtragenden sind oft Gastarbeiter aus armen Nachbarländern wie Laos, Kambodscha oder Myanmar, die von Schleuserbanden mit falschen Versprechungen nach Thailand gelockt und dort an die Fabrikbesitzer verkauft werden. Oft müssen sie monate- oder gar jahrelang ohne Lohn und ohne große Pausen in Baracken oder auf Booten schuften. Die Regierung in Bangkok hat zwar die Gesetze gegen Zwangsarbeit verschärft, in der Praxis hat sich aber offensichtlich noch nicht viel verändert.

Politiker und Menschenrechtsaktivisten in den USA riefen die Bürger dazu auf, keinen Fisch und keine Shrimps aus Thailand mehr zu kaufen. "Jedem von uns kann es schon passiert sein, dass er oder sie, ohne es zu wissen, ein von Sklaven hergestelltes Produkt gegessen hat", sagte der republikanische Parlamentsabgeordnete Chris Smith. "Sobald wir aber von den Zuständen wissen, haben wir meines Erachtens die moralische Pflicht, eine persönliche Entscheidung zu treffen und die Waren zu boykottieren." Mark Lagon, der Präsident der Nichtregierungsorganisation Freedom House, sagte, es gehe nicht nur um die schlechte Bezahlung oder die Arbeitsbedingungen in Thailand. Vielmehr würden hier Menschen auf abscheuliche Weise missbraucht. Amerikaner dürften dies nicht unterstützen. Dagegen erklärte das Nationale Fischerei-Institut der USA, ein Boykott Thailands sei keine Lösung.

Thiraphong Chansiri, der Chef des weltgrößten Meeresfrüchteexporteurs Thai Union, räumte ein, dass es seinem Konzern in den letzten Jahren trotz vieler Anstrengungen nicht gelungen sei, Zwangsarbeit bei Zulieferbetrieben vollständig zu unterbinden. Er bezeichnete den AP-Bericht als "Weckruf" für die gesamte Branche, dem endlich Taten folgen müssten. Manche westliche Experten bezweifeln allerdings, dass es Thiraphong mit seiner Reue und Reformbereitschaft ernst ist.

Auch die EU-Kommission war im April mit einer "gelben Karte" - der letzten Warnung vor der Verhängung eines Importverbots - gegen die thailändische Fischereiwirtschaft vorgegangen. Dabei ging es allerdings nicht um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sondern um illegalen Fischfang, der in Thailand ebenfalls weit verbreitet ist.

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