Christbaumschmuck:Früher war mehr Lametta

Christbaumschmuck: Lametta ist aus der Mode gekommen. Montage: SZ

Lametta ist aus der Mode gekommen. Montage: SZ

Wenn das Opa Hoppenstedt noch erlebt hätte: Die letzte deutsche Glitzerfabrik hat den Vertrieb der Fäden eingestellt.

Von Hans Kratzer

Loriots Fernsehsatire "Weihnachten bei Hoppenstedts" zählt wegen ihrer aberwitzigen Überzeichnung deutscher Weihnachtsseligkeit zu den Klassikern der Fernsehgeschichte. Vor allem Opa Hoppenstedt hat sich in diesem Streifen ein Denkmal gesetzt, indem er nach dem vom Knaben Dicki vorgetragenen Weihnachtsgedicht ("Zicke Zacke Hühnerkacke") eine Klage von großer Hellsichtigkeit anstimmte: "Früher war mehr Lametta!"

Immerhin stammt die Urfassung dieses Filmklassikers bereits aus dem Jahr 1978, also aus einer Zeit, in der die Behängung des Christbaums mit Lametta noch ein gängiger Brauch war. Jetzt erlischt diese Tradition aber definitiv. Nicht nur, dass sich das klassische, aus Stanniol gefertigte Lametta als Weihnachtsaccessoire überlebt hat, es wird seit diesem Jahr auch nicht mehr hergestellt.

Die Firma Riffelmacher & Weinberger aus Roth, der einzig verbliebene deutsche Lamettaproduzent, hat in diesem Herbst die letzten Packungen ausgeliefert. "Wir nehmen das Lametta aus dem Handel", sagt Walter Enzenhöfer, Verkaufsleiter der 1921 gegründeten Firma, die heute vor allem Christbaumschmuck vertreibt. Mit dem Ende des Lamettas endet in Roth bei Nürnberg eine Jahrhunderte alte Fertigungs- und Wirtschaftstradition.

Das Bayerische Wirtschaftsarchiv in München hat den Abschied vom Lametta folgerichtig in seinem aktuellen Weihnachtsbrief aufgegriffen. Mag diese Dekoration mittlerweile völlig aus der Zeit gefallen sein, so lag sie einst total im Trend. Weit vor dem heutigen Glitzerterror in den öffentlichen Räumen verströmten die baumelnden, dünnen Metallstreifen am Christbaum einen eigenartigen Zauber.

In Zeiten, in denen künstliche optische Reize noch sehr unterentwickelt waren, hat das Lametta zumindest das Kerzenlicht reflektiert und den Baum damit sphärisch verändert. Oft wurde allerdings zu viel des Guten getan: Vergilbte Fotografien zeigen in der Regel mit Lametta überladene Christbäume, eine aus heutiger Sicht fast schaurige Anmutung, die freilich belegt, wie sehr auch der Christbaumbrauch dem Wandel der Mode unterworfen ist.

Luftschiffe, Soldaten, Christbaumkugeln mit Hakenkreuzen

Der Christbaum ist ein relativ junger Weihnachtsritus. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete er sich flächendeckend aus. "Und seine Gestaltung hat sich permanent verändert", sagt Brauchtumsexperte Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege. Sich irgendwelche Geschmacklosigkeiten an den Baum zu hängen, ist kein Phänomen der Jetztzeit. "Auch früher hat es furchtbare Auswüchse gegeben", sagt Ritter. In der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden Christbäume mit Luftschiffen und Soldaten geschmückt, und in der NS-Zeit prangten auf den Christbaumkugeln Hakenkreuze.

Insofern bildet auch das Lametta lediglich eine Modeströmung ab. "Die ersten Weihnachtskugeln fertigte im Jahr 1848 ein Glasbläser", sagt Eva Moser, die Leiterin des Bayerischen Wirtschaftsarchivs. Gut 25 Jahre später sei das Lametta in den Handel gekommen, vermutlich als glitzerndes Symbol für die Eiszapfen und den Schnee. "Als Werkstoff diente schweres Stanniol, damit die dünnen Streifen besser fielen", sagt Frau Moser.

Die Geschichte der Lametta-Herstellung ist untrennbar mit der Stadt Roth bei Nürnberg verbunden, sie war bis jetzt quasi die Lametta-Hochburg. Phasenweise gab es dort sieben Fabriken, die diese Ware produzierten. Der Grund liegt auf der Hand: Roth bildete das Zentrum der sogenannten Leonischen Industrie, in der Feinmechaniker Metalldrähte und -fäden verarbeiteten, unter anderem zu Schmuck, Borten und Lametta.

Lametta enthielt giftiges Blei

Von der großen Rother Handwerkstradition ist nur die Firma Riffelmacher & Weinberger übrig geblieben. Sie stellte lange Zeit hauptsächlich Christbaumschmuck aus Leonischen Drähten her. Heute werden aus den veredelten Kupferdrähten nur noch hin und wieder Girlanden gefertigt. Bis zu 50 Tonnen Material wurden jährlich verarbeitet, zuletzt waren es noch ein paar Hundert Kilo. Deshalb hat sich die Firma primär auf den Vertrieb von Weihnachtsschmuck verlegt. Der wird aber mittlerweile nicht mehr in Roth, sondern vor allem in China und aus Kunststoff hergestellt.

Die Leonischen Maschinen sind nur noch im Fabrikmuseum Roth (Obere Mühle 4) zu bestaunen, wo gezeigt wird, wie Leonische Waren hergestellt wurden. Während des Zweiten Weltkriegs lieferte Riffelmacher den Christbaumschmuck sogar an die Front. Überhaupt spielten dünne Stanniol-Streifen auch im Krieg kurzzeitig eine wichtige Rolle. Sie dienten als Täuschkörper zum Schutz vor Radarerfassung, vor allem im Juli 1943 während des Luftangriffes auf Hamburg, bei dem britische Bomber 40 Tonnen dieses Materials abwarfen.

Vor gut vier Jahrzehnten ging die Ära der Leonischen Betriebe in Roth zu Ende. Gegen die Billigware aus Asien konnte man nicht länger bestehen. Die Herstellung von Christbaumschmuck aus Leonischen Drähten war nicht mehr rentabel. "Mittlerweile gibt es auch kein Roh-Lametta mehr", sagt Verkaufsleiter Walter Enzenhöfer. Ein paar Jahre lang wird in den Kaufhäusern und Märkten noch Restware angeboten werden, aber zu höheren Preisen.

Umweltschützer weinen dem Lametta indes keine Träne nach. Auf Lametta aus Stanniol sollte grundsätzlich verzichtet werden, fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz schon seit Jahren. Weil es giftiges Blei enthält, müsste es als Sondermüll entsorgt werden. Häufig ist es jedoch zusammen mit dem Baum im normalen Hausmüll gelandet. Eine solche Achtlosigkeit hatte sich in kargeren Zeiten fast niemand erlaubt. Da wurde das kostbare Silberlametta noch mühsam vom Baum geklaubt, wieder glatt gestrichen, in Pergamentpapier gelegt und gut aufgehoben. Für das nächste Weihnachtsfest.

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